Die ewige Jugend der Kirche
Die Kirche hört nicht auf, uns zu überraschen
Leitartikel von Msgr. Bruno Forte
Erschienen am Donnerstag, dem 14. März 2013, in “Il Sole 24 Ore”
Rom, 18. März 2013, zenit.org, Bruno Forte
Im Folgenden veröffentlichen wir eine eigene Übersetzung des von Msgr. Bruno Forte, Erzbischof der Erzdiözese Chieti-Vasto, verfassten Leitartikels. Dieser wurde in der Donnerstagsausgabe der italienischen Tageszeitung “Il Sole 24 Ore” publiziert (S. 1 und 6).
Die Kirche hört nicht auf, uns zu überraschen. Der hl. Johannes Chrysostomus, einer der grossen Glaubensväter der ersten Jahrhunderte, fand dazu folgende Worte: “Sie ist höher als der Himmel und grösser als die Erde und altert nicht: Ihre Jugend währt ewig”.
Diese Eigenschaft der Kirche zeigte sich einmal mehr in diesem überraschenden Konklave: Die Pluralität der vorgebrachten Hypothesen und die verschiedenen Formen des von den Medien betriebenen “Papa-Toto”, des Ratespiels um die Papst-Nachfolge, deuteten zunächst auf ein orientierungsloses und sogar gespaltenes Kardinalskollegium hin. Doch dann verging nicht einmal ein ganzer Tag, und der neue Papst war gewählt. Das war ein starkes Zeichen der Einheit, gleichsam eine Botschaft an das “globale Dorf”, ausgesandt von der katholischen Kirche, jener einzigen Institution, die dieses Dorf mit einer flächendeckenden Präsenz zu durchdringen vermag durch den Brückenschlag zwischen Universalität und lokaler Identität, Globalisierung und der Gegenwart des Glaubens unter den Menschen aller Breitengrade, aller Sprachen und aller Kulturen. Die Erwartung der Welt in der Gestalt von tausenden beim Vatikan akkreditierten Medienvertretern, die Menschen aus jedem Winkel der Erde in Realzeit an den Geschehnissen in der Sixtinischen Kapelle und auf der Segensloggia teilhaben liessen sowie die Aussagekraft jedes Wortes übersteigenden Bilder von der auf dem Petersplatz versammelten Menschenschar und vom neuen Papst, der sich einfach und erstaunt Rom und der Welt zeigt, lassen erkennen, dass die Bedeutung der Geschehnisse über die katholische Gemeinde und über das Volk der Gläubigen hinausgelangt. Ich werde daher versuchen, den neuen Nachfolger Petri aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten. Möge sich in den bevorstehenden Tagen die Herzenstiefe des Berufenen offenbaren.
Zunächst soll eine Betrachtung unter dem Aspekt des Glaubens vorgenommen werden: Franziskus, Jorge Mario Bergoglio, ist der von Gott Auserwählte! In der Namenswahl – als Jesuit hat er sich für den Namen des Armen von Assisi entschieden – spiegelt sich die Grundidee, die die Lebensweise des zum Papst bestimmten Erzbischofs von Buenos Aires geprägt hat. Er ist ein Mann, dessen Lebensstil sich durch Genügsamkeit, Schlichtheit und Nähe zu den Armen auszeichnet, der von den Menschen seines Landes geliebt und von all jenen respektiert wird, die seine evangeliumsgemässe Freiheit fürchteten. Er ist ein Hirte der einfachen, unmittelbaren Worte, der das Volk darum bittet, für ihn zu beten, bevor er selbst als Bischof von Rom den Segen “Urbi et orbi” erteilt. Im Glauben zeigt sich Papst Bergoglio vor allem als das, was er vom treffendsten theologischen Standpunkt aus geworden ist: als Hirte der Kirche von Rom, der laut dem göttlichen Plan allen Kirchen der Welt in der Barmherzigkeit vorsteht. Sein Beharren auf der Beziehung mit der konkreten Lokalkirche, deren Bischof er nach dem Willen Gottes sein sollte, ist von tiefer Schönheit und zugleich berührend. Nicht weniger wichtig und untrennbar damit verbunden ist der Blick der Welt auf ihn: Er ist der erste Nachfolger Petri aus Lateinamerika, jenem Kontinent mit der grössten Anzahl der Katholiken, der jedoch auch von erschreckender Armut und Ungleichheit betroffen ist. Seine eigene Aussage, wonach “die Kardinalsbrüder den neuen Bischof von Rom vom Ende der Welt geholt” haben, ist zweifellos eine Botschaft des Lichtes und der Hoffnung an alle Armen der Erde und all jene Situationen, aus denen sich der Ruf nach erneuerter Aufmerksamkeit und einer Wende der Gerechtigkeit erhebt. Franziskus wird der Bischof der armen Menschen sein, der Diener der Einfachen und Freund der Kleinen. Auf diese Weise wird er als Verbreiter des wahren Friedens und wahren Gerechtigkeit wirken. Der Papst wird der Kirche bei der Beantwortung jener entscheidenden Fragen helfen, die ein ihm gut bekannter lateinamerikanischer Theologe von grosser spiritueller Tiefe folgendermassen formulierte: “Wie können wir über einen Gott sprechen, der sich in einer von Armut und Unterdrückung gezeichneten Realität als die Liebe offenbart? Wie soll der Gott des Lebens jenen Menschen verkündet werden, deren Tod zu früh und ungerecht eintritt? Wie kann das Geschenk seiner Liebe und seiner Gerechtigkeit angesichts des Leidens des Unschuldigen erkannt werden? Mit welcher Sprache können wir jenen, die als Menschen nichts zählen, ihre Kindschaft Gottes erfahrbar machen?” (Gustavo Gutierrez). Papst Franziskus beantwortet die Fragen mit seinem Lächeln und seinen einfachen Gesten. Er erinnert daran, dass Gott die Herzen aller erreicht, alle Sprachen spricht und in jedem Schmerz seine Nähe zuteil werden lässt, denn seine Sprache ist die Sprache der Liebe!
Die anderen Christen können diesem Papst mit grossem Vertrauen ihren Blick zuwenden. Wie bereits aus seinen Worten hervorging, möchte er als Bruder auftreten, als Bischof der Kirche, der in der Liebe die Führung übernimmt und dazu entschlossen ist, das Volk der Stadt Roms mit neuem Antrieb zu evangelisieren. Auf diese Weise möchte er an allen Kirchen einen Dienst des Zeugnisses und der Barmherzigkeit vollbringen.
Diese seit Jahren bestehenden Hoffnungen des ökumenischen Dialoges und der Ekklesiologie des II. Vatikanischen Konzils konkretisierten sich im Wunsch nach einem universalen Amt für die Einheit aller Jünger Christi. Ein neuer Tag des Lichts und der Hoffnung zeichnet sich für jene ab, die die Leidenschaft des Eins-Seins unter den Christen erfahren. Auch die Gläubigen anderer Religionen können Papst Franziskus mit Zuversicht betrachten: Wie er von der Segensloggia aus verkündete, möchte er “dem Vertrauen unter uns” und der “Brüderlichkeit” unter allen Menschen dienen. Seine Aufrichtigkeit und sein tiefer Sinn für Gott werden viele Herzen berühren und den Weg für vollkommen neue Dialoge und Begegnungen ebnen. In den Worten und Taten dieses Zeugen Jesu, dem Freund der Menschen, dieses den Dienern Gottes dienenden Bischofs von Rom, werden auch Nichtgläubige eine Botschaft für das eigene Leben erkennen können: Ich bin mir sicher, dass sich von ihm alle Menschen geachtet, aufgenommen, verstanden und geliebt fühlen werden. Einen Mann wie ihn haben die Kirche und die Welt benötigt!
Schreibe einen Kommentar