Wird ein Ratzingerianer erster nichteuropäischer Papst?

Der kanadische Kardinal Marc Ouellet gilt als einer der möglichen Nachfolger von Papst Benedikt XVI.

Der konservative Ratzinger-Anhänger würde erstmals die Reihe der europäischen Päpste durchbrechen. Von Paul Badde (Die Welt)

Vatikan, kath.net/Die Welt, 20. Februar 2013

Im Gegensatz zum Konklave von 2005, in dem am zweiten Tag Pläne aufgedeckt wurden, dass Kardinal Martini aus Mailand von einem entschlossenen Lager europäischer Kardinäle als liberaler Kandidat gegen Kardinal Ratzinger in der Sixtina ins Feld geführt werden sollte, gibt es für das kommende Konklave kaum einen prominenten Kopf, dem zugetraut werden könnte, den konservativen Kurs Benedikts XVI. für die katholische Kirche ab März in eine Gegenrichtung zu lenken.

Im Gegenteil. Es gibt immer noch Lager. Eins davon, immer noch überproportional gross für die internationale Weltkirche, besteht aus den vielen Italienern. Doch heute soll keiner mehr wirklich verhindert werden, und die aussichtsreichsten Nachfolgekandidaten Joseph Ratzingers auf dem Stuhle Petri sind heute fast alle Ratzingerianer.

Beispielhaft ist dabei der Name, der in diesen Tagen in Rom (und dem Rest des Erdkreises) vielleicht am häufigsten fällt. Das ist Marc Kardinal Ouellet, 68, aus Kanada, der von 2002 bis 2010 Erzbischof von Quebec war. Als 268. Nachfolger des Apostels Petrus, der selbst ja noch aus Kleinasien kam, würde er erstmals die lange Kette der Europäer brechen.

Ein eiserner Ratzingerianer

Dennoch ist Ouellet sehr europäisch geprägt. Er hat über Hans Urs von Balthasar, einem verehrten Freund Joseph Ratzingers, promoviert. Johannes Paul II. hat ihn im Oktober 2003 zum Kardinal erhoben, wobei ihm als Titularkirche die Kirche Santa Maria in Traspontina auf der Via di Conciliazione in der unmittelbaren Nähe des Vatikans anvertraut wurde, die in Rom auch als “Vorkammer von Sankt Peter” gilt.
Als Kanadier spricht er natürlich Französisch und Englisch akzentfrei und längst auch Spanisch und Italienisch völlig fliessend, was in Rom unerlässlich ist, und er versteht auch noch einmal bestens Deutsch, die Sprache der Theologie des letzten Jahrhunderts. Seit Jahren ist der weltgewandte und höchst spirituelle Mann von Benedikt XVI. mit besonders verantwortungsvollen Aufgaben betraut worden, der ihn 2008 zum Relator für die XII. Generalversammlung der Bischofssynode in Rom ernannte und im Juni 2010 zum Kardinalpräfekten der Kongregation für die Bischöfe und zum Präsidenten der Päpstlichen Kommission für Lateinamerika, wo die katholische Weltkirche schon seit Langem ihr personales Schwergewicht hat.

Am 13. April 2012 sandte ihn der Papst als seinen Sondergesandten nach Trier, um dort in seinem Namen den Eröffnungsgottesdienst zur Heilig-Rock-Wallfahrt zu zelebrieren.

In Rom gilt er als ein “Ratzingeriano di ferro” (eiserner Ratzingerianer), nur körperlich unvergleichlich viel kräftiger als das gegenwärtige Original. Seine strikte Haltung zu ethischen Fragen und seine katholische Gegnerschaft jedweder Abtreibung oder etwa der Adoption von Kindern durch homosexuelle Paare haben schon mehrfach für Stürme der Entrüstung in seiner Heimat gesorgt.

Entscheidung zum Priestertum traf er mit 17

In La Motte, einem kleinen Kaff in Kanada, wurde er 1944 in eine Familie mit acht Kindern hinein geboren, wo sein Vater sich als Farmer zuerst selbst unterrichtet hatte und später Kopf der lokalen Schulbehörde wurde. Sehr fromm war die Familie nicht, in der der kleine Marc am liebsten Bücher las, Eishockey spielte und jagen und fischen ging – als kleiner Tom Sawyer der kanadischen Wildnis, wo er im Sommer in der örtlichen Feuerwehr auch mithalf, die Waldbrände zu bekämpfen. Diese Erfahrung könnte ihm auf dem Stuhl Petri in diesen Tagen natürlich noch sehr zugute kommen für die Weltkirche, in der er es zuletzt Jahr für Jahr einen Brand nach dem anderen zu löschen galt.

Die Entscheidung zum Priestertum fasste Ouellet nach einem Eishockey-Unfall mit Beinbruch mit 17 Jahren, als er auf dem Krankenlager die “Geschichte einer Seele” der kleinen Thérèse von Lisieux las. Weder sein Vater noch sonst jemand konnte ihn danach von seinem Entschluss einer radikalen Christusnachfolge abbringen, und mit dieser Bestimmtheit ist er seinen Weg eigentlich bis heute gegangen.
Sein Arbeitspensum und Tempo sind im Vatikan inzwischen legendär. Hier kam er häufig mit dem Papst zusammen, dessen Aufgaben und Position er 2011 in einem Interview als “Albtraum mit einer riesigen Verantwortung” bezeichnete, für die sich keiner im Ernst bewerben könnte.

Als Wahlspruch hat er bei seiner Bischofsweihe aus dem Johannesevangelium den Satz “Ut unum sint” gewählt (Dass alle eins sein mögen). Es ist ein Anspruch, der in dem ethnisch und religiös so überaus stark gemischten Kultur Kanadas absurd wirken könnte – und der als Jesus-Wort dennoch die grösste Herausforderung jeder ökumenischen Anstrengung bleibt.

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