Papstrücktritt erfordert Faktencheck zur Lage katholischen Kirche

Innerkirchliche Debatten – Christenverfolgung – Atheismus – Wer ist papabile?

Von Paul Badde (Die Welt)

Vatikan, kath.net/Die Welt, 13. Februar 2013

Karneval ist vorbei, von Köln bis Rio. An diesem Aschermittwoch wird Benedikt XVI. seine letzte öffentliche Messe als Papst zelebrieren. Wegen des enormen Andrangs lässt er sie dafür erstmals von der römischen Basilika Santa Sabina in den Petersdom verlegen. Nach seiner Rücktrittsankündigung, die kein Faschingsscherz war, ist der Aschermittwoch aber auch der passende Tag für einen kleinen Faktencheck zur katholischen Weltkirche von Feuerland bis Alaska und von Berlin bis Hongkong, mitsamt der jüngsten Debatten über die Kirche und ihr Weltbild.

Erstens, und das muss wohl besonders für Deutschland einmal betont werden, ist sie keine Zwangsveranstaltung. Niemand muss ihr angehören, wie sich an den jährlichen Austrittzahlen sehen lässt – und auch daran, dass in Deutschland unter den 30jährigen nur noch knapp 30 Prozent irgendeiner Kirche angehören, Tendenz fallend.

Insgesamt hat die katholische Kirche weltweit jedoch rund 1.2 Milliarden Mitglieder, Tendenz steigend, trotz aller Austritte in Deutschland. Die rund 24.472.000 Katholiken Deutschlands, deren Vorfahren einmal von Köln bis Erfurt und Regensburg so herrliche Dome aufgerichtet haben, stellen heute also etwa 2,05 Prozent der Gesamtkirche. Der Anteil der noch “aktiven” deutschen Kirchenbesucher bewegt sich weltweit irgendwo im Promillebereich.

Der gewaltigen Menge der Weltkirche steht der Papst aus Deutschland nun aber noch knapp zwei Wochen als Oberhirte vor allem vor, bevor ihn danach ein Nachfolger aus einem Winkel der Erde ersetzen wird, den jetzt noch keiner zu nennen weiss.

Dem Glauben und Horizont dieser Weltkirche hat sich Papst Benedikt XVI. immer verpflichtet gefühlt, was die horizontale Dimension betraf.

Hinsichtlich der vertikalen Dimension hat er sich als 267. Nachfolger des Apostels Petrus in den 2872 Tagen seiner Amtszeit hingegen immer radikal Jesus von Nazareth als dem Stifter dieser Kirche und dessen Stifterwillen verpflichtet gefühlt.

Viele Konflikte waren damit gleichsam vorprogrammiert, nicht nur in Deutschland.
Gut möglich ist jedenfalls, dass Benedikt XVI. in dem von ihm ausgerufenen Jahr des Glaubens und vor dem Ende seiner Amtszeit der Weltkirche noch eine vierte Enzyklika als Testament hinterlassen wird, diesmal über den Glauben – nach einer ersten Enzyklika über die Liebe (2005), einer zweiten über die Hoffnung (2007) und einer dritten über die “Liebe in der Wahrheit” (2009). Denn nach seinem Rücktritt als Papst kann er keine Enzykliken mehr veröffentlichen – die allein mit der päpstlichen Autorität Lehrcharakter für die ganze Weltkirche haben.

Seine letzte Enzyklika zum Glauben liegt jedenfalls grosso modo schon seit einiger Zeit auf seinem Schreibtisch als eine Art Vermächtnis zur Veröffentlichung bereit. Denn neben den Vorgaben der Evangelien und des Katechismus und dem Lehramt sind solche Enzykliken in gewisser Weise eine Richtschnur, an der sich Katholiken weltweit in vielen Fragen einigen, wie sie von neuen Entwicklungen in der Geschichte aufgeworfen werden.

Was Katholiken eint, ist gerade weltweit nicht das persönliche Belieben der mehr als einer Milliarde Individuen, sondern neben den Sakramenten eine Übereinkunft ihrer Gläubigen zu zentralen Fragen der Existenz in der jeweils verschiedenen Zeit an verschiedenen Orten.
Dazu eint heute die katholische Kirche aber auch noch ein Zweites, jedoch in abgestufter Weise, zusammen mit vielen Schwesterkirchen, und auch hier wieder abgestuft. Denn die grösste Christenverfolgung der Weltgeschichte fand nicht in der Antike oder gestern oder vorgestern statt, sondern heute, auf beispiellose Weise, und weltweit.

Christen wird in vielen Ländern eine Vielzahl von Rechten vorenthalten, wie das Recht auf den Schutz vor willkürlicher Verhaftung, das Recht auf ein faires Verfahren, das Recht auf Zugang zu Gerichten, Gleichheit vor dem Gericht, das Recht auf Familie, die Minderheitenschutzrechte, die Rechte von Frauen, die Rechte von Kindern und nicht zuletzt das Folterverbot – vor allem aber auch das Recht, die eigene Religion frei zu wählen oder auch zu wechseln.

Alles in allem ist es eine Not, die den Plagen der Antike nicht nachsteht.
Von rund 100 Millionen Menschen, die derzeit “aufgrund ihres Glaubens an Jesus Christus Verfolgung erleiden”, spricht das überkonfessionelle Hilfswerk “Open Doors“ nach Auswertung der Beobachtung ihrer vielen Mitarbeiter in 52 Ländern rund um den Globus. Es ist eine streng konservative und skeptische Schätzung, die all jene nicht mitzählt, die aufgrund ihrer christlichen Herkunft oder ihrer christlichen Namen in verschiedenen Ländern benachteiligt werden. Die zusammen hängende Landkarte der Verfolgung erstreckt sich in verschieden intensiver Farbe vom Maghreb in Afrika bis nach Nordkorea in Asien. Es ist ein riesiges Weltreich, zusammen gesetzt aus vielen islamischen, einigen streng atheistischen Ländern und manchen Staaten des hinduistischen Indien, in dem es für viele Formen der Unterdrückung ohne jede Absprache keinen Imperator braucht, der noch eine systematische Verfolgung anordnet.

Von hierher wird verständlich, dass Benedikt XVI. der Piusbruderschaft Pius X. vor allem auch in Fragen der Religionsfreiheit nicht den mindesten Rabatt gewährte. Ganz im Gegenteil. In einer Botschaft an die Diplomaten beim Heiligen Stuhl erklärte er am 10. Januar 2011 die Religionsfreiheit gleichsam zu einer Mutter aller Grundrechte. Es war eine Art Quantensprung der katholischen Kirchengeschichte, angesichts einer oft übersehenen Realität der globalen Situation der katholischen Kirche.

Noch am letzten Samstagabend nannte der Papst vor Studenten eines römischen Priesterseminars Christen “das meistverfolgte Volk” in der heutigen Welt. Grund dafür sei, dass sie unangepasst seien und sich gegen egoistische und materialistische Strömungen stemmten. “Als Christen sind wir überall verirrt und fremd”, sagte er. Es gebe zwar noch traditionell christliche Länder. Doch auch in denen seien die Christen mittlerweile fremd und stünden stets aussen vor. “Es scheint heutzutage erstaunlich zu sein, dass man noch glauben und danach leben kann”.

In dieser Analyse hatte Benedikt XVI. aber eher Europa und Nordamerika als Asien oder Afrika in Blick, wo die Kirche in vielen Ländern eine Blüte erlebt wie nie zuvor, besonders in Schwarzafrika, trotz der bekannten ethischen Vorgaben der katholischen Kirche auf dem Gebiet der Sexualmoral. Auch Südamerika muss immer noch als Herzland der katholischen Kirche gelten, wo sich Katholiken allerdings in einem oft höchst verbitterten Kulturkampf mit vielen Pfingstkirchen und allen möglich neuheidnischen Sekten befinden, die sich aus Voodoo-Ritualen ebenso frei bedienen wie aus dem grossen synkretistischen Warenkorb des Cyberspace.

Die grossen Auseinandersetzungen der Kirche in Europa drehen sich heute hingegen nicht mehr um klassische theologische Fragen wie die Jungfrauengeburt oder die Auferstehung Christi von den Toten. Daran glauben hier selbst viele Christen schon lange nicht mehr. Das eigentliche “Schlachtfeld” der weltanschaulichen Auseinandersetzungen ist hier das Naturrecht und Fragen nach der Wahrheit und ob es sie überhaupt gibt. Es ist der ethische Komplex um Fragen nach Leben und Tod und irrig und falsch, in der Benedikt XVI. schon am Tag vor seiner Wahl zum Papst vor einer “Diktatur des Relativismus” warnte – und dafür in den letzten Jahren heftig angegriffen wurde. Es ist auch ein Feld, in dem jetzt schon zahllose Kirchen mit Graffiti beschmiert und Priester im öffentlichen Raum zunehmend angepöbelt werden, egal ob man diese summarisch “christiophob” oder sonst wie benennen will.

Denn gerade in Europa sind seit dem Berliner Mauerfall die grossen aggressiv atheistischen Ideologien des 18. und 19. Jahrhunderts zwar auf dem Rückzug und nur noch zur Domäne einiger Bestseller-Autoren geworden. Geblieben ist von ihnen im Westen aber ein verwandeltes Klima, von dem Benedikt XVI. am 18. September 2010 im Hyde-Park sagte: “In der heutigen Zeit wird man als Preis für die Treue zum Evangelium nicht mehr gehängt, gestreckt und gevierteilt, sondern man wird häufig abgelehnt, lächerlich gemacht oder verspottet.” Von diesem Sonderweg soll hier nicht weiter die Rede sein.

Auch in China oder Kuba ist die grosse Feindschaft zur Religion zusammen gebrochen, nicht jedoch das kommunistische Projekt der totalitären Kontrolle und der Furcht vor jeder Freiheit, ohne die das Christentum nur schwerlich gedeiht.
Die besondere Nachricht ist deshalb, dass die Katholiken Chinas in aller Bedrängung die am schnellsten wachsende Kirche der Welt bilden. In den letzten Jahren gab es hier einen regelrechten “Bekehrungsboom”. Pater Bernardo Cervellera in Rom, der lange in Hongkong als Journalist gearbeitet hat, sagte dazu: “Etwa 100.000 Menschen lassen sich pro Jahr taufen. In den Jahren des Kommunismus haben sich die Katholiken vervierfacht. Doch während die Unternehmer freie Hand bei Investitionen, Produktion, Einstellungen und Entlassungen haben, werden die offiziellen Religionen streng kontrolliert. Die Partei duldet immer noch keine deutungsmächtige Grösse neben sich. Durch Verhaftungen und Verurteilungen trifft die religiöse Verfolgung Tausende von Katakombengläubigen. Vor allem aber demütigt sie Millionen Gläubige, weil die Partei sie immer noch als bedrohlich und feindlich betrachtet”. Trotz alledem steige die Zahl der Priesterberufungen – im Gegensatz zu der Kirche im freien Westen – unter jungen Leuten, obwohl sie genau wüssten, wie schwer es unter vielen Schikanen sei, den Glauben in China zu leben.

Am sensationellsten würde deshalb ein neuer Papst aus China die Geschichte die Weltkirche verändern, und wohl auch der Welt. Doch der Salesianer Joseph Zen Se-Kiun aus Hongkong ist 1932 geboren und mittlerweile zu alt für diese Aufgabe.

Der kämpferische Kardinal Timothy Michael Dolan aus New York ist zwar auf aussergewöhnliche Weise mit der Moderne und ihren Auseinandersetzungen vertraut und gerade 63 geworden, doch ihm mangelt es an der Kenntnis verschiedener Sprachen, die ein Papst zumindest so gut beherrschen sollte wie Benedikt XVI.

Diese Fähigkeiten würde Albert Malcom Ranjith aus Sri Lanka zwar mitbringen, der aber für viele Kardinäle vielleicht zu sehr dem aktuellen Papst gleichen mag, von seiner Kenntnis der Theologie bis zu seiner Liebe zur alten Liturgie des Abendlandes.

Eine gewisser Schlüsselrolle könnte auch Vinko Puljic zukommen, der auf dem Balkan als Erzbischof von Sarajevo gleichsam emblematisch vertraut ist mit dem Drama und den Tragödien Europas im Niedergang des abendländischen Christentums.

Die Italiener sähen natürlich wieder gerne einen von ihnen auf dem Papstthron. Tempi passati! Für viele Beobachter ist eher denkbar, dass das Papsttum mit dem Nachfolger Benedikt XVI. gleichsam überhaupt aus Europa auswandern könnte.
Für eine solche Besetzung wäre der weltgewandete Robert Kardinal Sarah aus Guinea ein idealer Kandidat, den Papst Benedikt XVI. wohl schon mit Bedacht mit vielen Aufgaben für die katholische Weltkirche bedacht hat, wie im letzten Herbst, als er ihn als Sonderbotschafter in den Nahen Osten sandte. Er hat ihn auch 2010 in das Kardinalskollegium aufgenommen.

Es sind bislang müssige Spekulationen, wie sie vor jedem Konklave üblich sind. Nicht müssig ist aber ein Blick auf den Zustand und Herausforderungen der Weltkirche, um die Beweggründe angemessen würdigen zu können, die Benedikt XVI. bewogen haben, sein Amt vom Kollegium der Kardinäle einem ähnlich würdigen, doch körperlich kräftigeren Nachfolger übergeben zu lassen.

Quelle
OpenDoors

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