Ein historisches Pontifikat

Das bedeutet eine historische Zäsur für die Kirche

Die Tagespost, 27. Februar 2013, von Guido Horst

Hätte es am Rosenmontag nicht die überraschende Nachricht vom Rücktritt Benedikts XVI. gegeben, sondern die Schock-Meldung vom plötzlichen Tod des Papstes, man hätte kurz darauf schweren Herzens Bilanz ziehen müssen. Eine Einerseits-Andererseits-Bilanz: Einerseits hat das Pontifikat Joseph Ratzingers vieles angestossen, andererseits hat Benedikt XVI. auch manches seinem Nachfolger überlassen. Zum Beispiel die Reform der Arbeitsweise der römischen Kurie. Einerseits stand er ganz in der Tradition seines Vorgängers Johannes Paul II., andererseits hat er dessen gewaltigem Erbe Neues hinzugefügt, so die Konzentration der päpstlichen Liturgien auf das Wesentliche, auf den Herrn. Zum Beispiel bei Auslandsreisen weniger Schnickschnack und Getanze vor dem Papstaltar, dafür aber Eucharistische Anbetung mit Hunderttausenden von jungen Leute bei der Vesper auf den internationalen Weltjugendtagen.

Einerseits hat Benedikt XVI. “regiert” und durchgegriffen. In Sachen Missbrauch hat er eine klare Linie vorgegeben und so viele Bischöfe in den vorzeitigen Ruhestand geschickt wie noch kein Papst vor ihm. Andererseits war Benedikt XVI. vor allem ein überragender Theologe und Gelehrter und niemand, der mit eisernem Besen kehrt.

Auch die Personalentscheidungen Papst Benedikts wären dann zur Sprache gekommen. Einerseits waren es einige sehr gelungene. Mit Kardinal Kurt Koch hat er einen kongenialen Meister des Dialogs in die Kurie geholt. Aber andererseits hat es auch Missgriffe gegeben. Der grösste – so hört man im Vatikan überall – war wohl die Berufung Tarcisio Bertones in das Amt des Staatssekretärs. Doch alle diese Bilanzierungen, die man zu gegebenem Anlass noch anstellen wird, haben jetzt zurückzutreten.

Auf den letzten Metern, in der Zielgerade hat Benedikt XVI. aus seinem großen Pontifikat ein historisches gemacht, an das man noch in Jahrhunderten denken wird. Er hat den Weg frei gemacht dafür, dass Päpste, wenn sie alt und schwach geworden sind, zurücktreten dürfen. Nicht der schwache Mensch zählt, der in den Schuhen des Fischers die Kirche führt, sondern das Amt des Petrus-Nachfolgers. Die Päpste der Zukunft sind nicht mehr verpflichtet, mit einer vor den Kameras der modernen Medienwelt vollzogenen Agonie das letzte Kapitel ihrer eigenen Hagiografie zu schreiben. Sondern sie sind frei zu entscheiden, den Weg frei zu machen für einen Jüngeren und Kräftigeren, wenn sie überzeugt sind, dass es mit den eigenen Kräften nicht mehr geht.

Diese historische Entscheidung Benedikts, die die katholische Kirche und ihr Zentrum in Rom verändern wird, hat auch ihre Unwägbarkeiten. In Zukunft wird sich jeder Papst, der trotz Leiden und offensichtlicher Schwäche im Amt verbleibt, rechtfertigen müssen. Vielleicht wird er Demonstranten erleben, die seinen Rücktritt fordern. Aber nach langer Meditation, nach Gebet und aufrichtiger Gewissenserforschung war es dem deutschen Papst wichtiger, dass seine Nachfolger in Zukunft die Freiheit haben, so oder so zu entscheiden. Neben den Weg des Leidens ist nun eine neue Möglichkeit getreten. Aus freiem Entschluss beendet Benedikt XVI. heute sein Pontifikat, um aufgrund seiner schwindenden Kraft einem neuen Pontifex Platz zu machen. Das bedeutet eine historische Zäsur für die Kirche.

Quelle
Erklärung von Bischof Kurt Koch zum Offenen “Brief an Papst Johannes Paul II.”

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