Algerien: Die Angst und die Scham

Die Geiselnahme auf dem Gasfeld In Amenas in Süd-Algerien und die Befreiungsaktion

Die Geiselnahme auf dem Gasfeld In Amenas in Süd-Algerien und die Befreiungsaktion durch das algerische Militär haben mindestens 67 Todesopfer gefordert. Die Regierung in Algier sprach am Montag von 37 getöteten Geiseln, alle bis auf einen waren westliche Ausländer. Zusätzlich kamen 29 islamistische Terroristen ums Leben, fast alle aus arabischen Staaten. Als Reaktion auf das Drama hat das Militär am Dienstag eine strengere Kontrolle der Grenze zu Mali angekündigt, von wo die Terroristen kamen. Der Comboni-Missionar Jan Heuft lebt seit 43 Jahren in Algerien. Radio Vatikan fragte ihn nach seiner Sicht auf das Drama von In Amenas:

„Ich muss zugeben, dass ich vorher mehreren Leuten gesagt habe: Uns droht ein Angriff dieser Art. Und dann ist es tatsächlich so gekommen – mich wundert das nicht. Wenn man sieht, wie herzlich und gastfreundlich der französische Präsident vor kurzem hier aufgenommen worden ist und dass französische Flugzeuge den algerischen Luftraum nutzen dürfen, dass gleichzeitig in Mali die Terroristen in den Norden zurückgedrängt werden, dann war es klar, dass so etwas passieren konnte – als Repressalie gegen die Ausländer. Und zwar auf algerischem Boden, weil es natürlich schon einige Sympathisanten für solche Aktionen gibt.”

Die Zeitungen sprächen jetzt “von gar nichts anderem” als von der Geiselnahme auf dem Gasfeld. Wieviele Tote es gegeben habe, wie es dazu kommen konnte.

“Die Menschen haben Angst”

“Also, die ganze Presse spricht davon. Aber die Leute reden nicht darüber in der Öffentlichkeit. Die haben grosse Angst. Ich habe heute versucht, mit einigen Bekannten darüber ins Gespräch zu kommen – darauf ist keiner eingegangen. Die haben Angst, natürlich auch vor Repressalien. Keiner ist mit den Terroristen einverstanden, ein bisschen Misstrauen Ausländern gegenüber gibt es aber auch. Und dann sind das alles gläubige Muslime, und für einen Muslim ist es schwer, in der Öffentlichkeit einen muslimischen Bruder zu verurteilen, weil der etwas Schlechtes getan hat. Natürlich spielt auch Scham eine Rolle – dass Menschen ihrer Religion zu so etwas imstande waren.”

Nach dem Eindruck von Pater Heuft werden derzeit bei vielen Algeriern wieder üble Erinnerungen wach an die Zeit des Bürgerkriegs und des Terrors in den neunziger Jahren.

“Wir sind mittlerweile in einem Stadium, in dem die Leute begriffen haben, dass man Religion und Staat voneinander trennen sollte. Die Leute sind zwar tiefreligiös, aber auch sehr vorsichtig geworden: Sie wollen sich nicht mehr in Terroristisches hineinrutschen und sich nicht mehr mit Terroristen abgeben. Ich glaube, ausser in einigen ganz abgelegenen Gegenden gelingt es keiner Terrorgruppe mehr, Macht über die Menschen zu gewinnen und sie in ihrem Sinn zu manipulieren. Ich halte eine Rückkehr zu einem islamistischen Staat heute für nicht denkbar. Die Leute haben das satt, sie sind nicht mehr dazu bereit, sich für so was zu engagieren. Dass der Staat sich im ganzen Land sehr um Sicherheit bemüht, gibt vielen Menschen das Gefühl, beschützt zu werden. Ausserdem ist Algerien seit etwa zehn Jahren auf einem Weg der Demokratisierung – auch das gibt diesen Kleingruppen, die den Leuten einen islamischen Staat aufzwingen wollen, wenig Platz.”
(rv 22.01.2013 sk)

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