Wohlfühl-Lieder mit Lametta-Flair

Die christliche Botschaft taucht dabei selten auf

Im Radio werden jetzt wieder Weihnachtslieder gespielt: Die christliche Botschaft taucht dabei selten auf

Die Tagespost, 10. Dezember 2012, von Stefan Meetschen

Süsser die Kassen nie klingeln, als zu der Advents- und Weihnachtszeit. Wer weiss dies nicht. Auch in der Popmusik-Branche werden die Wochen der Andacht gerne für kommerzielle Zwecke ausgeschlachtet. Mit dem Ergebnis, dass spätestens ab dem 1. Advent die immer gleichen Weihnachtshits, interpretiert von den bekanntesten Pop-Stars, im Radio gespielt werden: 2Santa Claus is coming to town” (Bruce Springsteen), “Step into Christmas” (Elton John), “Have yourself a merry little Christmas” (Michael Buble), “What Christmas means to me” (Stevie Wonder), “Coming home for Christmas” (Chris Rea) oder “Thank God it’s Christmas” (Queen).Wohlfühl-Lieder mit Lametta-Flair, die bei vielen Erwachsenen und Jugendlichen mittlerweile bekannter sind als die herkömmlichen kirchlichen Weihnachtslieder.

Zu Unrecht, denn schaut man sich die Texte an, so begegnet man einer Mischung aus Naturtrivialität und Naturheidentum, wie etwa bei Paul McCartney: “The moon is right, the spirit’s up, We’re here tonight – simply having a wonderful Christmas time.” (Der Mond steht richtig, der Geist ist lebendig, wir sind heute Nacht hier, einfach um eine wundervolle Weihnachtszeit zu haben).

Dabei stammt der erfolgreichste Weihnachts-Song eigentlich aus der Vor-Pop-Ära: Bing Crosbys “White Christmas” aus dem Jahre 1941. Komponiert von Irving Berlin. Mehr als 50 Millionen Mal wurde das Lied als Single verkauft und führt damit im Guinness-Buch der Rekorde die Liste der kommerziell erfolgreichsten Pop-Songs an – mit deutlichem Abstand zu Elton Johns “Candle in the Wind 1997”, dem Abschiedslied für Lady Di.

Was wenige wissen: “White Christmas” schlug nicht gerade wie eine Hit-Bombe ein. Erst Weihnachten 1942 startete das Lied seinen Siegeszug in den Charts. Die Melancholie und Sehnsucht der Melodie, die Bilder vom sicheren Zuhause und glitzernden Bäumen trafen die düstere Stimmung des Zweiten Weltkriegs und bauten eine heile Gegenwelt auf. Jedoch ohne christliche Bezüge. Die besungenen Glocken im Schnee stammen nicht von einer Kirche, sondern von einem Pferdeschlitten. Winterromantik pur – ein Motiv, das in vielen anderen Weihnachtshits auftritt.

Zum Beispiel bei dem wahrscheinlich am meisten gespielten Weihnachts-Popsong neueren Datums: “Last Christmas” von George Michael aus dem Jahre 1984. Damals trat der britische Songwriter noch im Duett mit Andrew Ridgeley unter dem Namen “Wham!” auf und im Video zum Hit sieht man die beiden zusammen mit fröhlichen jungen Leuten bei Schneeballspielen und Glühwein-Umtrunk in einer rustikalen Hütte. Das einzige Problem: “Last Christmas – I gave you my heart and the very next day you gave it away”. Auf Deutsch: “Letztes Weihnachten schenkte ich dir mein Herz, doch gleich am nächsten Tag hast du es wieder verschenkt.” Logische Konsequenz: “Dieses Jahr, um mich vor Tränen zu schützen, werde ich es jemand Besonderem schenken.” Wer dabei ans Christkind denkt, liegt natürlich falsch. George Michael, wie so viele andere Weihnachts-Pop-Poeten sucht das winterliche Glück allein auf der menschlichen Ebene. Für jede Frau, jeden Mann gibt es Ersatzmöglichkeiten. “Ein überfüllter Raum, Freunde mit müden Augen, die dir und deiner Seele aus Eis aus dem Weg gehen. Mein Gott! Und ich dachte du wärst jemand, auf den man sich verlassen kann.” Soweit das Weihnachtsmysterium nach George Michael, das – ähnlich wie Bing Crosbys Schnulze von der weisssen Weihnacht – ohne Transzendenzdimension auskommt. Gott wird nur in Form eines Stossseufzers erwähnt.

Im Unterschied zu einem anderen Weihnachts-Pop-Evergreen: “Do they know it’s Christmas?“ (Wissen sie, dass Weihnachten ist?) von Band Aid, einer Versammlung der populärsten Pop-Stars der 1980er Jahre, die unter Leitung von Bob Geldof Spendengelder für das unter einer Hungersnot leidende Äthiopien ersingen wollten und taten. Über die musikalische Qualität des Songs kann man streiten, doch eine gewisse religiöse Dimension ist spürbar. Mag sie auch provozierend sein. Der Wohlstand des Westens, den meisten mitsingenden Popstars nicht ganz unbekannt, wird gegeisselt: “Für die anderen zu beten, während der Weihnachtszeit ist schwierig, gerade wenn man so vergnügt ist, doch draussen vor dem Fenster gibt es eine andere Welt … die Weihnachtsglocken, die dort klingen, sind das klirrende Glockenspiel des Untergangs, danke Gott, dass sie (die anderen Menschen – A. d. V.) dort an Deiner Stelle sind.” Ausgerechnet der fromme U2-Sänger Bono sollte die letzte, den Theodizee-Gedanken widerspiegelnde Zeile singen und weigerte sich. Tat es dann aber doch. Mit gewaltigem Erfolg. Das Benefizlied erreichte in 13 Ländern der Welt Platz 1 der Charts, Bono wurde weltbekannt. Das Lied begründete die moderne Lebenshaltung des Gutmenschentums, die Allianz von Pop und Benefiz. Seitdem wurde Geldofs Projekt häufig kopiert, neuaufgelegt. Die Botschaft lautete stets: Hilf anderen, hilf der Natur und es wird Dir guttun. Nicht ganz falsch, aber auch ein wenig anmassend. Braucht es wirklich nur singende Popstars und Musik-Konsumenten, um die Welt zu retten? Im Christentum übernimmt diese Rolle der Erlöser, dessen Geburt in Bethlehem gefeiert wird.

Immerhin: Hin und wieder sind sich auch alternde Rockstars nicht zu schade, authentische kirchliche Weihnachtslieder zu singen und die nostalgischen Kindheitserinnerungen in Gold zu münzen. Rod Stewart hat dieses Jahr ein Album mit dem verheissungsvollen Titel “Merry Christmas, Baby” veröffentlicht, das sich tatsächlich auch (aber nicht nur!) um das wichtigste Baby der Welt, eben das Christkind, dreht. “Silent Night” (Stille Nacht), “We three kings” (Wir drei Könige) aus der Kehle eines Rockstars, sicher gewöhnungsbedürftig. Wenn auch nicht ganz neu: Bereits vor drei Jahren überraschte Sting mit einem Weihnachts- und Winteralbum “If on a Winter’s night”, auf dem er der Popwelt ferne Lieder wie “Lo how a rose e’er blooming” (“Es ist ein Ros entsprungen”) oder alte englische Kirchenlieder wie “There is no rose of such virtue”, “I saw three ships” und “Gabriels Message” zum Besten gab. Später aufgeführt in der Kathedrale von Durham. Doch so selbstverständlich der Auftritt auch wirkte, Sting beschränkte sich laut eigener Aussage auf den “psychologischen Kern” der Weihnachtsbotschaft. Eine erstaunliche Interpretationsakrobatik, wenn man sich die Texte der Lieder ansieht.

Bleiben Pop-Künstler, die sich in der Öffentlichkeit zu ihrem christlichen Glauben bekennen und auch Weihnachtsalben produziert haben: Cliff Richard (“Cliff at Christmas”), Amy Grant (“A Christmas to remember”), Third Day (Christmas Offerings), Johnny Cash (“The Christmas Collection”) wie natürlich diverse Gospelaufnahmen, die sich um das christliche Weihnachten drehen. Merry oder Happy Christmas, wie man auf Englisch sagt. Jedenfalls bisher. Denn: Seit den 1950er Jahren werden in Amerika und Grossbritannien die “Season’s greetings” oder “Happy holidays” Wünsche immer beliebter, die das christliche Weihnachten sogar namentlich verdrängen. Populär wurden diese Wünsche übrigens durch ein Lied: “Happy holidays”. Komponiert von Irving Berlin, gesungen von Bing Crosby. Dann doch lieber Paul McCartney und George Michael oder das Radio ganz ausschalten.

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