In Rom erleben wir
….. wie vital die Weltkirche in Wirklichkeit ist
“Ich blicke optimistisch in die Zukunft”
Der 20-jährige Jurastudent Georg Dietlein, zukünftiger Priesteramtskandidat, erläutert im kath.net-Interview, warum er optimistisch in die Zukunft der Kirche sieht.
Köln, kath.net, 21. Dezember 2012
“Ich blicke optimistisch in die Zukunft. Wer einmal erleben will, wie es um die römisch-katholische Kirche bestellt ist, dem empfehle ich, das nächste Osterfest gemeinsam mit mir in Rom zu verbringen. Am Grabe Petri erhalten wir ein Gespür dafür, wie vital die Weltkirche wirklich aufgestellt ist.” Dies sagt der 20-jährige Jurastudent Georg Dietlein im Interview.
kath.net: Immer mehr katholische Geistliche sprechen von einem Ende der Volkskirche in Deutschland. Am Ende dieses Jahres wollen wir den Blick in die Zukunft wagen: Verliert die katholische Kirche den Rückhalt in der deutschen Gesellschaft?
Georg Dietlein: Noch immer gehören fast 60 % der deutschen Bevölkerung einer der grossen christlichen Kirchen an – davon je hälftig der katholischen bzw. der evangelischen Kirche. Statt vom “nur noch” dürfen wir auch einmal vom “noch immer” sprechen. In Deutschland jammern wir, so bemerkte Kardinal Kasper in diesem Jahr, auf einem ziemlich hohen Niveau, kath.net hat berichtet. Auch wenn sich deutlich weniger als die benannten 60 % wirklich religiös nennen würden und sonntags einen Gottesdienst besuchen, so dürfen wir doch festhalten: Verglichen mit dem Mitgliederschwund, den zur Zeit gesellschaftliche Gruppierungen wie Vereine und Parteien erleben, geht es den Kirchen noch am besten. Wenn die katholische Kirche jährlich unter einem Prozent an Mitgliedern verliert, so ist dies nicht nur auf Kirchenaustritte, sondern auch auf unsere negative demographische Entwicklung in Deutschland zurückzuführen. Wohlgemerkt: Nach dem schrecklichen Missbrauchsskandal im Jahr 2010 haben sich die Kirchenaustritte 2011 wieder auf ein Normalmass gesenkt. Die verheerende Kirchenaustrittswelle ist ausgeblieben. Viele Gläubige stehen nach wie vor zu ihrer Kirche, auch wenn vieles besser laufen könnte.
Deutlich problematischer als die Mitgliederentwicklung der katholischen Kirche empfinde ich die Gefahr einer “Kernschmelze”, die derzeit der katholischen Kirche droht. Jedes Kirchenmitglied ist auf seine je eigene Art und Weise Christ: Da gibt es Gelegenheits-Kirchgänger, kritisch Distanzierte, Kirchenentfremdete, kirchlich Engagierte und viele stille, aber treue Katholiken, die sich in ihrem persönlichen Umfeld für den Glauben einsetzen. Gerade letztere Christen sind deshalb so wichtig, um in ganz unterschiedlichen Kreisen unserer Gesellschaft – auf der Arbeit, in der Politik, in der Wirtschaft, in Verbänden, in der Schule und Hochschule – jemandem begegnen können, der sich offen zu seinem Christ-Sein bekennt. Wir brauchen immer eine “Kerngemeinde”, die sich sonntags am Tisch des Herrn versammelt und die Eucharistie feiert. Dieser kirchliche Kern nimmt leider immer weiter ab. Eine missionarische Kirche muss vom Sakrament der Eucharistie, vom Herrn selbst ausgehen. Hieran führt kein Weg vorbei.
kath.net: Werden Christen in zwanzig Jahren noch in der Mehrheit sein?
Dietlein: Ich habe den Eindruck, dass wir als Christen schon heute in der Minderheit sind. Unsere deutsche Gesellschaft und Kultur sind zwar eng mit dem christlichen Glauben verknüpft, was wir etwa in der Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes sehen können. Wenn wir aber in Deutschland weiterhin die (gemeldete) jährliche Tötung von 100.000 ungeborenen Kindern hinnehmen, wenn wir uns mit der Legalisierung von aktiver Sterbehilfe in eine Kultur des Todes manövrieren, so kann man sich schon die Frage stellen, ob wir nicht vielmehr in einem Säkularstaat leben, der sein christliches Profil längst aufgegeben hat. Politik aus christlicher Verantwortung zu gestalten meint nicht einen Gottesstaat mit einer Staatskirche aufzubauen. Aber auch in einem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat muss es Wertentscheidungen geben, die dem Mehrheitsprinzip von vornherein entzogen sind – so etwa die Menschenwürde, die Religionsfreiheit oder auch das Demokratieprinzip. Wenn ein Staat seine eigenen Grundlagen und den tieferliegenden Sinn des demokratischen Zusammenlebens vergisst, macht er sich selbst überflüssig.
In spätestens zwanzig Jahren wird der Anteil der Christen an der Gesamtbevölkerung zum ersten Mal die 50 Prozent-Schwelle unterschreiten. Ich glaube, dass man uns als Christen gerade dann, wenn wir in der Minderheit sind, am besten erkennt. Wir kennen das ja aus unserem Alltag: Manchmal können wir den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen. Wir sehen die Vielfalt der kirchlichen Landschaft in Deutschland, aber vergessen schliesslich den, der dahinter steht – Jesus Christus selbst. Vielleicht hält uns in Deutschland auch so mancher scheinbarer Besitzstand der Kirche davon ab, uns auf das Wesentliche zu konzentrieren. Ich glaube, dass in den nächsten Jahren genau das geschehen wird, wozu uns der Heilige Vater in seiner Freiburger Rede 2011 motiviert hat: Entweltlichung. Die Kirche befindet sich im Wandel von einer Mehrheitskirche zu einer Minderheitskirche. Sie ist damit auch auf dem Weg zurück zur frühchristlichen Kirche, in der unser Glaube sehr intensiv gelebt wurde.
kath.net: 1995 wurden in Deutschland fast 250 Priester geweiht, 2012 waren es nur noch ca. 100. Die Zahl der Priesteramtskandidaten hat sich in diesem Zeitraum von ca. 1800 auf 900 halbiert. Hat sich der Heilige Geist aus Deutschland zurückgezogen?
Dietlein: Bei Johannes lesen wir: “Der Wind weht, wo er will. Du hörst sein Brausen, weisst aber nicht, woher er kommt und wohin er geht“ (Joh 3,8). Mit dem “Wind“ meint der Evangelist Johannes den Heiligen Geist, durch den wir alle als Kinder Gottes getauft sind. Der Heilige Geist weht, wo er will – und das tut er sicherlich auch in Deutschland. – Aber in der Tat: Der Priestermangel stellt ein ernsthaftes Problem dar. Auch wenn sich das Verhältnis “Gläubige pro Priester” nicht wesentlich verschlechtert hat, wissen wir ja um die Folgen des Priestermangels gerade im ländlichen Bereich. Eine Pfarrgemeinde erfüllt heute schon verstärkt mit nicht-geweihten kirchlichen Mitarbeitern ihre Sendung. Aber ohne Priester gibt es keine Eucharistie und keine Beichte – und damit kein kirchlich-sakramentales Leben.
Ich persönlich glaube, dass Gott viel mehr junge Männer zum priesterlichen Dienst beruft als schliesslich in den Seminaren unserer Diözesen ausgebildet werden. Ich erlebe so viele junge Männer in meinem Umfeld, die mit dem Gedanken eines priesterlichen Weges “spielen”, aber schliesslich an ihrer Berufung scheitern, weil sie darin zu wenig gestützt werden. Für viele erscheint das priesterliche Berufsbild in Armut, Gehorsam und Ehelosigkeit als unzeitgemässe Zumutung. Andere schätzen gerade das Anders-Sein des priesterlichen Lebens und gehen darin ganz auf. Wenn wir Gottes besondere Berufungen in den Herzen junger Männer reifen lassen wollen, brauchen wir eine neue Berufungspastoral. Wir sollten uns an erster Stelle wieder bewusst machen, dass Gott jeden von uns je individuell berufen möchte. Berufen sind nicht nur Priester. Berufen ist jeder einzelne Christ. Aus der allgemeinen Berufung des Christen zur Heiligkeit kann dann auch die besondere Berufung zum Priester erwachsen.
Wir sollten alle ein wenig mehr Sensibilität entwickeln für das Thema Berufung. Gottes individuellen Plan mit und für uns können wir am besten im Gespräch mit dem Herrn selbst erkennen und vertiefen. Lassen wir uns dabei nicht von unseren eigenen Wünschen und Träumen verleiten. Stellen wir Gottes Willen in den Mittelpunkt. Haben wir aber auch Mut: Wen Gott zum Dienst in der Kirche beruft, dem steht er auch ganz besonders bei.
kath.net: Wäre die Kirche eine Demokratie, würden Reformvorhaben wie Frauenordination, Abschaffung des Zölibats und Neuorientierung im Bereich der Morallehre vermutlich längst umgesetzt sein. Brauchen wir ein Drittes Vatikanisches Konzil?
Dietlein: Dieser Tage werden ja furchtbar viele alte Themen wiederaufgewärmt. Im Rahmen des Gesprächsprozesses der Deutschen Bischofskonferenz spricht man eben nicht nur über den Umgang der Kirche mit “wiederverheiratet” Geschiedenen, sondern macht sich auch grundsätzliche Gedanken über die Unauflöslichkeit der Ehe, die Sakramentalität des Weihesakraments und die Ökumene. Ein Drittes Vatikanisches Konzil brauchen wir sicherlich nicht, denn sämtliche Fragen, die wir zur Zeit diskutieren, hat das zurückliegende Konzil klar beantwortet. Vielleicht sollten wir uns in diesem Jahr des Glaubens einmal eingehender mit der grossen Fülle der Konzilstexte beschäftigen. Ich vermute, dass ein Drittes Vatikanisches Konzil in der Sache genauso auf die Fragen unserer Zeit antworten würde, wie es das Zweite Vatikanische Konzil vor 50 Jahren getan hat.
Wir sollten uns abseits grosser dogmatischer Kontroversen auch einmal die Frage stellen, welche Themen die Menschen heute eigentlich bewegen. Die kirchlichen Streitthemen der 68er-Generation sind längst überholt. Viele Menschen suchen nach Halt und Orientierung. Ich glaube, dass innerkirchliche Grabenkämpfe im Stile eines “Aufrufs zum Ungehorsam” uns nicht weiterbringen. Wir sollten uns ganz im Geiste des Zweiten Vatikanischen Konzils darüber Gedanken machen, wie Neuevangelisierung gelingen, wie Kirche wieder missionarisch werden kann. Wenn wir den Menschen wieder in den Mittelpunkt stellen, sind wir gar nicht so weit vom Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils entfernt. Dieser Geist will auch in Deutschland wehen.
kath.net: Wie sehen Sie die katholische Kirche in Deutschland im Jahr 2030?
Dietlein: In den nächsten Jahren werden sich die negativen Trends, die wir bereits behandelt haben, fortsetzen. Es wird immer weniger Kirchenmitglieder, weniger Kirchgänger und weniger Priester geben. Wenn ich aber auf das vielfältige kirchliche Leben in diesen Tagen blicke und die vielen frischen Laien-Initiativen sehe, so bin ich voller Zuversicht, dass die Kirche zwar an Quantität, nicht aber an Qualität abnehmen wird. Viele ideologische Grabenkämpfe sind im Laufe der Zeit verstummt. Man konzentriert sich auf das Wesentliche: auf den Glauben, auf das Gebet, auf die eucharistische Begegnung mit dem Herrn selbst.
Entweltlichung kann auch ein Prozess der Reinigung sein, bei dem die Kirche zu ihrem Herzen zurückfindet – ohne sich daran messen zu müssen, ob sie immer noch mehrheitsfähig ist. Von einer kleinen entschiedenen Herde an Christen kann eine ganz andere Leuchtkraft ausgehen als von einer grossen, aber lauen Menge an Mitläufern. Kardinal Woelki hat in diesem Kontext von einem neuen “Entscheidungschristentum” gesprochen, kath.net hat berichtet. Von einer kleinen christlichen Kerngemeinde und neuen geistlichen Bewegungen werden Impulse, wird Strahlkraft ausgehen, die Menschen wieder Halt und Orientierung geben.
Ich blicke also ganz optimistisch in die Zukunft. Wer einmal erleben will, wie es um die römisch-katholische Kirche bestellt ist, dem empfehle ich, das nächste Osterfest gemeinsam mit mir in Rom zu verbringen. Am Grabe Petri erhalten wir ein Gespür dafür, wie vital die Weltkirche wirklich aufgestellt ist. Im Vergleich zu dem hohen kirchlichen “Zulauf” ausserhalb Europas erscheinen die Probleme der deutschen Kirche doch marginal: Ja, die Kirche erlebt einen klaren Aufwärtstrend! – Glauben wir daran: Christus ist der Herr seiner Kirche. Er lenkt sie durch die Zeiten – seit 2000 Jahren und in Zukunft.
Georg Dietlein wurde 1992 in Köln geboren. Parallel zu seiner Gymnasialzeit studierte er seit 2006 Katholische Theologie und Philosophie in Köln und Bonn. Aus dieser Zeit stammt sein Erstlingswerk zum mittelalterlichen Philosophen Wilhelm von Ockham, das er 2008 veröffentlichte. 2009 folgte ein Studium der Rechtswissenschaften an der Universität zu Köln. Mit Erlangung seines Abiturs setzte er 2010 das Studium der Rechtswissenschaften fort und begann zusätzlich ein Studium der Betriebswirtschaftslehre. Er ist kirchlich, politisch und gesellschaftlich engagiert und veröffentlicht regelmässig in juristischen Fachzeitschriften, ausserdem ist er freier Mitarbeiter bei KATH.NET. 2011 gründete Georg Dietlein gemeinsam mit Kölner Studierenden die erste selbständige studentische Rechtsberatungsgesellschaft in Deutschland – “Student Litigators”. Nach seinem rechtswissenschaftlichen Studium möchte Georg Dietlein ins Priesterseminar eintreten.
Quelle
Student Ligitators: Studentische Rechtsberatung
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