“Das Konzil hat die Kirche lasch gemacht”

“Aggiornamento heisst: den Widerspruch der Kirche zur Welt aktualisieren, für unsere Zeit”

Vor 50 Jahren begann das Zweite Vatikanische Konzil, von dem gesagt wird, dass es dem Katholizismus den Weg in die Moderne bahnte. Der Philosoph Robert Spaemann sieht das anders. Von Lucas Wiegelmann

Vor 50 Jahren, im Oktober 1962 begann das Zweite Vatikanische Konzil, von dem gesagt wird, dass es dem Katholizismus den Weg in die Moderne bahnte. Der Philosoph Robert Spaemann kommt rückblickend zu einer sehr kritischen Wertung der damaligen Ereignisse in Rom.

Die Welt: Sie waren bei den Feierlichkeiten zum Jubiläum des Zweiten Vatikanischen Konzils in Rom. Für sie persönlich ein Grund zum Feiern?

Robert Spaemann: Eigentlich nicht. Man muss offen sagen, dass es zunächst eine Epoche des Niedergangs eingeleitet hat. Eine Jubelfeier kann man wohl nicht machen angesichts der Tatsache, dass Tausende von Priestern schon während des Konzils ihren Dienst verlassen haben.

Die Welt: Was kann das Konzil dafür?

Spaemann: Es war Teil einer Bewegung, die die ganze westliche Welt erfasst hat, Teil der Kulturrevolution. Papst Johannes XXIII. sagte damals, Ziel des Konzils sei ein Aggiornamento der Kirche. Das wurde von vielen mit Anpassung übersetzt, Anpassung an die Welt. Aber das war ein Missverständnis. Aggiornamento heisst: den Widerspruch der Kirche zur Welt, den es immer gegeben hat und den es geben muss, aktualisieren, für unsere Zeit. Das ist das Gegenteil von Anpassung.

Die Welt: Aber Johannes XXIII. hat doch in seiner Eröffnungsrede des Konzils selbst die Erwartungen geweckt, es gehe um Anpassung.

Spaemann: Das stimmt. Johannes XXIII. war ein tief frommer Mann. Aber er war von einem Optimismus geprägt, den man fast schon ruchlos nennen könnte. Dieser Optimismus war nicht gerechtfertigt. Im Übrigen lautet die christliche Geschichtsperspektive nun einmal gemäss dem Neuen Testament: Am Ende wird es einen grossen Abfall geben, und die Geschichte läuft zu auf den Antichrist. Von dem aber war auf dem Konzil gar keine Rede. Man hat alles, was auf Streit und Konflikt hindeutete, eliminiert, bis in die Gesangbücher hinein. Man wollte den emanzipatorischen und kulturrevolutionären Zeitgeist segnen.

Die Welt: Wenn in Deutschland wie Anfang des Jahres ein Gericht urteilt, dass man die katholische Kirche ungestraft “Kinderfickersekte” nennen darf, protestiert niemand. Hat das auch etwas mit dem Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils zu tun?

Spaemann: Ja. Das Konzil hat die Katholiken lasch gemacht. Die Kirche hat sich immer in einem Kampf befunden, einem geistlichen Kampf, nicht einem militärischen, aber in einem Kampf. Der Apostel Paulus spricht von den Waffen des Lichts, dem Helm des Glaubens usw. Heute ist das Wort “Feind” anstössig geworden, das Gebot “Liebet eure Feinde” kann gar nicht mehr zur Anwendung kommen, weil wir keine Feinde mehr haben dürfen. Für sogenannte fortschrittliche Katholiken gibt es eigentlich nur noch ein Feindbild: Die Traditionalisten. Das ist wohl ein Erbe des Konzils. Gewiss, wir Christen sollen bei Beleidigungen ihres Glaubens und der Kirche keine Gewalt anwenden. Aber protestieren sollte man schon dürfen.

Die Welt: Die Texte, die das Konzil nach jahrelangen Verhandlungen verabschiedet hat, sind schwammige Kompromisse. Wer hat damals denn gewonnen, Reformer oder Traditionalisten?

Spaemann: Keiner von beiden. Beide Seiten haben auf dem Konzil oft wie Politiker agiert. Das gilt vor allem für die Fortschrittspartei. Wenn sie für einen Beschlussvorschlag absehen konnten, keine Mehrheit zu bekommen, haben sie in den Kompromissvorschlag irgendeine allgemeine Klausel eingebaut, von der sie wussten, dass sie nach dem Konzil aufgeweicht werden könnte. Sie haben oft richtig konspirativ gearbeitet. Und sie haben bis heute die Deutungshoheit über das Vatikanum. Allmählich allerdings setzt eine Neubesinnung ein. Langsam hört man auf, sich in die eigene Tasche zu lügen. Es ist alles so welk geworden: Menschen, die die Auferstehung Christi leugnen, können katholische Theologieprofessoren bleiben und als Priester während der Messe predigen. Leute, die die Kirchensteuer nicht zahlen wollen, fliegen aus der Kirche heraus. Da kann doch etwas nicht stimmen.

Die Welt: Was meinen Sie damit, dass die Neuerer die Deutungshoheit über das Vatikanum hätten?

Spaemann: Ich nenne Ihnen drei Beispiele. Heute wird oft gesagt, das Konzil hätte um ein Haar den Zölibat abgeschafft. Man müsse die damaligen Ansätze nur zu Ende führen. Dabei hat kein Konzil jemals zuvor den Zölibat mit so viel Nachdruck verteidigt.

Zweites Beispiel: Die deutschen Bischöfe haben in der sogenannten Königsteiner Erklärung verkündet, die Lehre der Kirche in Sachen “Pille” sei nicht verpflichtend. Das Konzil hatte aber das genaue Gegenteil gesagt, nämlich dass die Lehre der Kirche den Katholiken in dieser Frage im Gewissen verpflichte.

Oder, drittes Beispiel: Jeder weiss, dass das Konzil die Volkssprache in der Messliturgie erlaubt hat. Kaum einer weiss aber: Das Konzil hat vor allem festgestellt, dass die eigentliche Liturgiesprache der westlichen Kirche das Latein sei und bleibe. Und Papst Johannes XXIII. hat eigens eine Enzyklika über die Bedeutung des Latein für die westliche Kirche geschrieben.

Die Welt: Was stört Sie am meisten?

Spaemann: Ich denke nicht an einzelne Entscheidungen. Es geht heute wirklich eher um das, was aus dem Konzil gemacht wurde. Vielleicht wird man ja einmal wieder anfangen, die Originaltexte zu lesen. Schon gegen Ende des Konzils, erhob sich, wie Joseph Ratzinger schrieb, wie ein Gespenst etwas, das man den “Geist des Konzils” nannte und das nur sehr bedingt mit den tatsächlichen Beschlüssen zu tun hatte. Geist des Konzils, das hiess: Der Wille der Neuerer. Bis heute berufen sich die sogenannten Reformer bei allen möglichen Reformideen auf den Geist des Konzils und meinen damit Anpassung. Wir brauchen aber heute das Gegenteil des “Weltlichwerdens der Kirche”, das schon Luther beklagte. Wir brauchen das, was der Papst “Entweltlichung” nennt.

Die Welt: Sie haben geschrieben: “Echter Fortschritt macht manchmal Kurskorrekturen notwendig und unter Umständen auch Schritte zurück.” Wie muss die Kirche umkehren?

Spaemann: Im Grunde muss sie das tun, was sie immer getan hat: Sie muss immer umkehren. Sie lebt von den Heiligen, die Vorbilder der Umkehr sind. Es ist nicht in Ordnung, wenn die Kirche in Deutschland, der der Weltbildverlag gehört, sich jahrelang sich durch den Verkauf von Pornos alimentiert. Zehn Jahre lang haben Katholiken die Bischöfe darauf hingewiesen, und nichts ist passiert. Jetzt, als das Ganze herauskam, hat der Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz diese Gläubigen auch noch als Fundamentalisten verächtlich gemacht. Dass diese Geschäftspraxis jetzt eingestellt wird, hat mit Umkehr offenbar wenig zu tun.

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