Christliche Kulturrevolution

Das Jahr des Glaubens hat begonnen: Das Schöne darf zum Leuchten gebracht werden

Die Tagespost, 12.10.2012

Das Jahr des Glaubens hat begonnen: Das Schöne darf zum Leuchten gebracht werden – unter den Christen selbst und bei allen, die dem Glauben fernstehen und nach einer neuen Art des Sehens und des Denkens suchen. Gerade Kunstwerke können bei der Kontemplation und bei Begegnungen eine Hilfe sein, um die Seele und die Sinne für Christus zu öffnen. Ein kleiner Kulturfahrplan für die Evangelisation – quer durch alle Zeiten und Stile, Kunst- und Kultursparten. Von Stefan Meetschen

Architektur

Dass Kirchen etwas mit dem christlichen Glauben zu tun haben, weiss auch der religiös ahnungsloseste Zeitgenosse.

Egal, ob es sich um romanische Basiliken, gotische Kathedralen oder Barockkirchen handelt. Kirchen sind in Stein gehauene Zeugen des Glaubens mit hohem Kulturwert. Wenn man sich vorstellt, dass allein in der Stadt München über 150 katholische Kirchen existieren. Wie viele sind es erst in einer Diözese. In ganz Deutschland, ganz Europa. Fest steht: Tausende von Touristen reisen nur deshalb auf den alten Kontinent, um den Kölner Dom mit den Überresten der heiligen drei Könige zu bewundern, die Sankt-Paul-Kathedrale in London und natürlich den Petersdom in Rom. Die meisten dieser Bauwerke wurden nicht im Schnellverfahren entwickelt – manchmal zog sich der Bauprozess über Jahrhunderte hin. 120 Jahre dauerte es in Rom, 600 Jahre in Köln. Das beeindruckt. Gerade im Readymade-Zeitalter, wo allein Schnelligkeit und Pragmatismus zählen. Wahrhaft grosse Dinge brauchen Zeit und setzen eine Vision voraus. Das gilt auch für Sagrada Familia in Barcelona, mit deren Bau der spanische Architekt Antoni Gaudi 1882 begann. Sein Motto: “Mein Kunde hat keine Eile.” 2026 soll die Basilika fertig sein. Dass man auch in postmoderner Zeit eine Kirche zur Ehre Gottes architektonisch planen und bauen kann, zeigt die Wallfahrtskirche des Heiligen Pater Pio in Pietrelcina. Die Kirche, immerhin die zweitgrösste Europas, wurde von 1991 bis 2004 nach einem Entwurf des italienischen Stararchitekten Renzo Piano erichtet. Wer über “The Shard” in London, das “Debis-Haus” am Potsdamer Platz in Berlin und das Centre Pompidou in Paris staunt, sollte an dieser Kirche, die Platz für 6 5000 Menschen bietet und den Leichnam des populären Heiligen ausstellt, nicht vorbeigehen. Schön, wenn der Architekt nicht nur persönlich hoch hinaus will, sondern weiss, dass über seinem Bauwerk immer ein Höherer wohnt. Exquisite Kirchenfenster von Deutschlands Starmaler Neo Rauch kann man im Naumburger Dom bewundern. Szenen aus dem Leben der Heiligen Elisabeth von Thüringen. Angefertigt für einen Gotteslohn.

Malerei

So schier unbegrenzt wie die Zahl der Kirchen ist in Europa auch die Anzahl der Gemälde, Zeichnungen und Bilder, die sich mit christlichen Themen und Motiven beschäftigen. Sei es mit dem Leben der Apostel, der Heiligen und der Jungfrau Maria, sei es mit dem Leben Jesu, der Kreuzigung und der Auferstehung. Viele Kunstwerke berühmter Maler wie Tizian (“Assunta”), Michelangelo (“Sixtinische Kapelle”) oder Caravaggio (“Bekehrung des Paulus”) sind christliche Dokumente, die zeigen, dass Hochkultur immer auch etwas mit der Grösse des Sujets und Motivs zu tun hat. Christliche Malerei ist keine Schönfärberei. Sie erhebt den Geist anstatt ihn zu senken. In Kirchen, aber auch in vielen Kunstmuseen. Am bekanntesten ist das “Letzte Abendmahl” von Leonardo da Vinci. Es wurde in den Jahren 1494 bis 1498 geschaffen und schmückt die Nordwand des Speisesaals des Dominikanerklosters in Mailand. Man sieht auf 422 mal 904 cm Jesus und die zwölf Apostel, unmittelbar nach der Aussage: “Einer von euch wird mich verraten”. Fundiertes Glaubenswissen hilft bei der richtigen Interpretation. Zu den zahlreichen Kopien und Verfremdungen dieses genialen christlichen Meisterwerkes gehört übrigens auch eine Version von Andy Warhol. Es war das letzte Werk des grössten Pop-Artisten. Sollte dies nicht auch zu denken geben?

Musik

Vier Evangelisten stehen in der Bibel. Wer der fünfte ist, darüber streiten die Musikliebhaber! Bach oder Mozart? Vivaldi oder Schubert? Beethoven oder Händel? Fest steht, dass man klassische Musik ohne christliche Kenntnisse zwar hören aber nicht in allen Nuancen wirklich verstehen kann. Soli Deo gloria (“dem alleinigen Gott die Ehre”) – mit diesen Worten, meist in der Abkürzung S. D.G., unterzeichneten Bach und Händel viele ihrer Werke. Auch jenseits der Klassik ist Musik im christlichen Geist für die Menschen seit Jahrhunderten ein Arkanum. Man denke nur an den Gregorianischen Choral. Im Zeitalter der Rockmusik haben sich Musiker, die zur Ehre Gottes spielen, etwas rar gemacht, obwohl es weltweit eine lebendige, christliche Musikszene gibt. Immerhin sind die Musiker einer ganz grossen Band, nämlich U2 dezidierte Christen, die es nicht nur geschafft haben, 30 Jahre im Showbusiness ohne Skandale zu überleben. Immer wieder geben sie in Liedern und Konzerten Zeugnis von ihrem Glauben. Es lohnt sich daher, diese Musik nicht nur zu hören, sondern gelegentlich die Texte zu lesen.

Literatur

Womit wir bei der Abteilung Literatur wären, die für jeden evangelisationsbegeisterten Christen eine grosse Fundgrube darstellt. Zu Recht! Ist es doch immer wieder geschehen, wie etwa im Fall des Hl. Ignatius von Loyola, dass Menschen aufgrund der Lektüre eines Buches ihr Leben geändert und sich auf den Weg der Nachfolge gemacht haben. Lesen bildet und formt den Geist. Egal, ob es sich dabei um Romane oder Gedichte handelt. Wer also unter der Geistlosigkeit der modernen Literatur leidet, und das tun sicher auch Nicht-Christen, dem sei ein Ausflug in den christlichen Lesesaal der Literaturgeschichte empfohlen: Im Spiegel der Schriften von Dante (“Göttliche Komödie”), Geoffrey Chaucer (“Canterbury-Erzählungen”) oder Cervantes (“Don Quichote”) gehen einem neue Wissens- und Glaubenshorizonte auf. Vieles von dem, das heute auf dem Bestseller-Tisch liegt und schon morgen auf dem Ramschtisch endet, relativiert sich. Auch die christlichen Romane von Dostojewski, Bernanos und Chesterton, Julien Green und C.S. Lewis haben moralische und stilistische Standards gesetzt, die heute nur selten von modernen, postmodernen oder postpostmodernen Autoren erreicht werden. Beliebigkeit ist nämlich kein gutes dramaturgisches Mittel. Nur der innere oder äussere Konflikt von gut und böse erzeugt eine Gänsehaut.

Auch die christliche Lyrik verdient Beachtung. Die “Dunkle Nacht der Seele” des spanischen Mystikers Johannes vom Kreuz, “Das Geistliche Jahr” der Annette von Droste-Hülshoff sind auch für Katholiken und solche, die es werden wollen, im 21. Jahrhundert eine praktische Entsäkularisierungsmedizin, die geistlichen Verse von Gertrud von le Fort gilt es neu zu entdecken. Gerade in unserer zerrissenen Zeit liegt in christlicher Dichtung eine Chance, die Schönheit der Schöpfung und der Seele neu zu begreifen. Europa darf schliesslich nicht wie “ein Sandkorn im Wirbelwind der Meinungen, Ideen und Religionen” (Theodor Haecker) untergehen.

Theater

Mag sein, dass die geistlichen Dramen von Calderon (“Das grosse Welttheater”), Vondel (“Luzifer”), Claudel (“Der seidene Schuh”) oder T.S. Eliot (“Mord im Dom”) nicht mehr häufig auf den Spielplänen stehen. Richtig ist aber auch: Ohne das christliche Mysterienspiel des Mittelalters gäbe es heute weder Spielpläne noch überhaupt ein Theater, sondern höchstens Arenen und Dschungelcamps. Schon im alten Griechenland wussten die Theatermacher, dass ein Zusammenhang zwischen Drama und Kult existiert. Kirchenkritische Theaterbesucher von heute müssen zugeben, dass die grössten Theaterstücke aller Zeiten, Goethes “Faust” und Shakespeares “Hamlet” ohne die Dimension von Versuchung, Sünde und Höllengefahr ziemlich fad wären. Erst der christliche Glaubenskontext verleiht diesen Stücken den notwendigen dramatischen Bezugsrahmen. Der bedeutendste Dramatiker der Gegenwart, Botho Strauss, scheint dies zu wissen. Hellsichtig hat er vor zwanzig Jahren Kardinal Ratzinger (Papst Benedikt XVI) als den “Nietzsche unserer Zeit”, den wahren Revolutionär bezeichnet. Christsein ist also alles andere als konventionell.

Film

Schon ein kurzer Blick auf die Liste der erfolgreichsten Filme aller Zeiten genügt: “Quo vadis?”, “Die Zehn Gebote”, “Passion Christi”. Glaube und Kino, das muss kein Widerspruch sein, auch wenn es natürlich jede Menge düsterer Film-Produktionen gibt. Doch, geben wir es zu: Auch im Alten und Neuen Testament fliesst Blut. So ist die Welt. Die sündige Natur des Menschen verlangt schon aus Authentizitätsgründen sündige Geschichten, das wusste schon Kardinal Newman. Es kommt jedoch auf die Botschaft an. Was passiert mit den Akteuren? Wie gehen die Geschichten aus? Hoffnungsvoll oder resignativ? Beim katholischen Western-Regisseur John Ford kann man die göttliche Gerechtigkeit im Handlungsverlauf spüren. Bei vielen kommerziellen Weihnachtskomödien ebenfalls. Avantgarde-Filmer frönen dagegen häufig der Lust am (scheinbaren) Tabubruch. Komisch nur, dass ausgerechnet die grössten Filmregisseure der letzten 50 Jahre, Andrej Tarkowskij, Krzysztof Kieslowski, Wim Wenders und Lars von Trier in ihrem Schaffensprozess irgendwann auf das Christentum gestossen sind. Zufall, Schicksal, Gott? Vielleicht aus einem Grund: Mit dem Christentum sieht man besser.

Design

Wer dabei gleich an McDonalds, Nike oder Coca Cola denkt, liegt nicht ganz verkehrt. Manche Werbelogos erlangen tatsächlich den Rang von kommerziellen Ikonen. Der britische Kunsthistoriker Martin Kemp aus Oxford hat vor einem Jahr ein Ranking der wichtigsten modernen Ikonen aufgestellt. Das überraschende Ergebnis lautete: Auf Platz eins kam Christus, auf Platz zwei das Kreuz. Coca-Cola landete auf den hinteren Plätzen. Eigentlich kein Wunder. Ikonen (auf Deutsch: Bilder, Abbilder) haben gerade für die orthodoxe Kirche eine tiefe theologische Bedeutung. Sie schaffen eine Verbindung zwischen dem Betrachter und Gott. Man werfe dazu bei Gelegenheit einen Blick auf Andrej Rublevs “Dreifaltigkeitsikone” oder die ältesten Marien- und Christus-Ikonen aus dem 6. Jahrhundert. Unvergängliche Schönheiten, die jeden Trend überleben. Auf Postkarten ideal für Grüsse zu den christlichen Feiertagen.

Skulptur

Gucken ja, aber nicht berühren. Das gilt vielleicht im Zoo oder im Aktionshaus, aber nicht wenn es um Denkmäler und Skulpturen geht. Entweder fassen die Menschen Statuen an, wie die Bronzestatue des Apostelfürsten im Petersdom, oder sie lassen sich von sakralen Skulpturen berühren. Vor allem, wenn sie einen jüdisch-christlichen Hintergrund haben wie Michelangelos römische Pieta und die David-Statue in Florenz. In Deutschland haben die Bildhauer Wilhelm Lehmbruck und Ernst Barlach unter Eindruck des Krieges gezeigt, dass Figuren, die sich beugen oder niederknien, die wahre menschliche Grösse ausdrücken können. Mit mehr innerer Spannkraft als jede Schaufensterpuppe.

Mode

Womit wir beim Thema Mode und Schmuck wären, das sich für die Evangelisation ebenfalls ausgezeichnet eignet. Das am Hals getragene Kreuz ist mehr als nur ein Schmuckstück, es kann Bekenntnischarakter gewinnen. Ein anderes katholisches und modisches Markenzeichen sind römischer Kragen und Habit. Jeder Werbemanager und Drehbuchautor weiss etwas über den schnellen Wiedererkennungswert dieser Utensilien. Leider geben viele Priester, Mönche und Nonnen die kirchliche Markenkleidung freiwillig auf. Beten wir im Jahr des Glaubens, dass Mut und kirchliche Identifikationsbereitschaft wieder wachsen und die Tendenz zur “Selbstsäkularisierung” (Kardinal Meisner) aufhört.

Bibel

Last but not least – Das Buch der Bücher. Die Bibel. Die Heilige Schrift. Nicht nur Bertolt Brecht mochte diesen Kulturschatz der göttlichen Extraklasse. Die Zivilisation, unser mythisches Denken und Fühlen, unsere Sprache und viele Redewendungen basieren auf dieser Schrift, die jeden Menschen lehrt, wie man schön und richtig lebt. Wie man Kraft und Hoffnung empfängt. Wem das nicht genügt, der findet in den Weisheitsschriften der Heiligen inspirierende Ergänzungen. Historische Dokumente und Aufzeichnungen, die das Herz jedes Historikers und Archivars schneller schlagen lassen. Gewiss aber auch das Herz jeden Zukunftsforschers, denn wer wissen will, wie es mit der Welt und den Menschen weitergeht, kommt ohne das Christentum nicht aus. Ohne Christus verliert die Kultur den Sinn, den sie mit ihm gewinnt und teilt.

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