Eine Frage der Gerechtigkeit
Familien überleben heute, weil sie Synergie-Effekte nutzen
Die Tagespost, 31. August 2012, von Jürgen Liminski
Familien überleben heute, weil sie Synergie-Effekte nutzen, weil sie sparsamer einkaufen, weil sie vielfach nicht in Urlaub fahren (während die kinderlosen Doppelverdiener drei- und viermal fahren), weil die Grosseltern helfen (der private Transfer der älteren auf die jüngere Generation beläuft sich auf 30 Milliarden Euro pro Jahr), weil sie billigeren Wohnraum suchen, weil sie das Kindergartengeld sparen, weil sie mit zusätzlichen Jobs ein Zubrot verdienen, weil sie keine Lebensversicherung für die Altersvorsorge abschliessen, weil sie kein Auto fahren oder nur ein altes, weil sie nicht ins Theater oder Kino gehen, sondern sich Kinoabende zuhause machen, weil sie kein Handy haben oder nur eins mit begrenzten Sprechzeiten, weil sie Restaurants nur von aussen kennen, weil, weil, weil.
Sicher ist: Die grösste Alltagsbelastung sind für deutsche Eltern die Geldsorgen.
Das ist bei den Nachbarn anders. Dort gibt es ausser dem Kindergeld entweder ein Betreuungsgeld in entlastender Höhe oder steuerliche Erleichterungen wie das Familiensplitting oder beides. Natürlich haben wir in Deutschland auch eine steuerliche Erleichterung, der Freibetrag für das Existenzminimum für Kinder liegt bei 7 000 Euro. Aber er wird mit dem Kindergeld verrechnet und wird vom Brutto-Einkommen abgezogen, nicht vom Netto-Einkommen – das ist eine der versteckten Massnahmen, die man unter dem bekannten Begriff Kaufmanns von der “strukturellen Rücksichtslosigkeit” einordnen kann –, kommt also nur zum Teil zur Geltung. Ein echtes Familiensplitting, so wie es jetzt, erwartungsgemäss vor den Wahlen, in der Diskussion ist, muss anders aussehen.
Etwa wie in Frankreich, wo das zu versteuernde Einkommen durch die Zahl der Köpfe in der Familie geteilt wird, wobei das erste Kind allerdings nur zur Hälfte zählt. Bei drei Kindern würde das zu versteuernde Einkommen also durch 4,5 geteilt, bei fünf und mehr Kindern fallen Familien in der Regel schon unter die Grenze der Freibeträge und zahlen keine Steuern mehr. Angesichts der Erziehungsleistungen der Familie für das Gemeinwohl ist das nur gerecht.
Die Diskussion wird hart werden. Schon bei dem sehr bescheidenen Betrag des Betreuungsgeldes agieren die kinderlosen und familienfeindlichen Bataillone in Politik und Medien mit rattenhafter Wut. Sie leben in dem Wahn, Familien bekämen heute zu viele Transferleistungen. Wahr ist, dass das Wunderhorn, aus dem die mythischen 189 Milliarden Euro für die Familien ausgeschüttet werden, zu zwei Dritteln von den Familien selbst gefüllt wird, dass die restlichen Transferleistungen die Kosten für Kinder nur zu 30 Prozent decken und dass die Regierungen der vergangenen 15 Jahre den wirtschaftlichen Spielraum von Familien systematisch eingeengt haben. Betreuungsgeld und Familiensplitting würden diesen Trend umkehren und den immer noch vorhandenen Kinderwunsch einer Realisierung näherbringen. Denn das braucht der Staat, braucht auch das System: Kinder. Ohne sie laufen auch die künftigen Ansprüche der Kinderlosen an das Sozialsystem ins Leere. Auch sie hätten also ein Interesse daran, dass familienspezifische Massnahmen ausgebaut würden. Aber das setzt nüchtern-rationales Denken voraus. Und rational, logisch, vernünftig, sachorientiert verläuft die familienpolitische Debatte in Deutschland schon lange nicht mehr.
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