Die Dimension der wahren Ökumene

Für Joseph Ratzinger und Benedikt XVI. eine ‚Chefsache’:

‚Ökumene ist eigentlich nichts anderes, als schon jetzt im eschatologischen Licht leben, im Licht des wiederkehrenden Christus’. Die Ökumene des Antichrist. Von Armin Schwibach

Rom, kath.net/as, 6. September 2012

Unter dem Motto “Ökumene jetzt – ein Gott, ein Glaube, eine Kirche” wurde am gestrigen Mittwoch ein Aufruf prominenter Katholiken und Protestanten veröffentlicht, der bereits seit dem 28. August mit grossem Aufwand in einschlägigen Medien angekündigt worden war.

Ökumene war auch das Thema der diesjährigen Begegnung des “Ratzinger-Schülerkreises”. Hochrangige katholische und protestantische Theologen haben sich mit einer Problematik auseinandergesetzt, die Papst Benedikt XVI. von den ersten Stunden seines Pontifikats an zur “Chefsache” erklärt hatte:

“Zu Beginn seines Amtes in der Kirche von Rom, die Petrus mit seinem Blut getränkt hat, übernimmt sein jetziger Nachfolger ganz bewusst als vorrangige Verpflichtung die Aufgabe, mit allen Kräften an der Wiederherstellung der vollen und sichtbaren Einheit aller Jünger Christi zu arbeiten. Das ist sein Bestreben, das ist seine dringende Pflicht. Er ist sich dessen bewusst, dass dafür die Bekundung aufrichtiger Gefühle nicht ausreicht. Es bedarf konkreter Gesten, die das Herz erfassen und die Gewissen aufrütteln, indem sie jeden zu der inneren Umkehr bewegen, die die Voraussetzung für jedes Fortschreiten auf dem Weg der Ökumene ist.

Der theologische Dialog ist notwendig, und die Untersuchung der geschichtlichen Beweggründe dieser Entscheidungen, die in der Vergangenheit geschehen sind, ist ebenfalls unerlässlich. Aber am dringendsten ist die “Reinigung des Gedächtnisses”, die von Johannes Paul II. so oft hervorgehoben wurde und die allein die Herzen darauf vorbereiten kann, die volle Wahrheit Christi aufzunehmen. Vor ihn, den höchsten Richter allen Lebens, muss jeder von uns hintreten in dem Bewusstsein, dass er Ihm eines Tages Rechenschaft ablegen muss über das, was er getan, und das, was er nicht getan hat im Hinblick auf das grosse Gut der vollen und sichtbaren Einheit aller seiner Jünger.

Der jetzige Nachfolger Petri lässt sich in erster Person diese Frage stellen und ist bereit, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um das grundlegende Anliegen der Ökumene zu fördern. Auf den Spuren seiner Vorgänger ist er fest entschlossen, jede Initiative zu pflegen, die angemessen erscheinen mag, um die Kontakte und das Einvernehmen mit den Vertretern der verschiedenen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften zu fördern. Ja, ihnen sende ich bei dieser Gelegenheit meinen herzlichen Gruss in Christus, dem einen Herrn aller” (20. April 2005).

Bereits in seinem Beitrag “Zur Lage der Ökumene”, der im Jahr 1995 in “Perspectives actuelles sur l’oecuménisme“ (Louvain) erschienen war und in den Band “Weggemeinschaft des Glaubens. Kirche als Communio – Festgabe zum 75. Geburtstag” (Augsburg 2002) aufgenommen wurde, erklärte der damalige Kardinal Joseph Ratzinger zum Unterschied zwischen wahrem und falschem Ökumenismus:

“Beim Nachdenken über die Lage der Ökumene und die Lage der Christenheit überhaupt kommt mir in letzter Zeit immer häufiger Solowjews Geschichte vom Antichrist in den Sinn. Im Augenblick der letzten Entscheidung zeigt es sich dort, dass in allen drei Gemeinschaften, bei Petrus, Paulus wie bei Johannes Parteigänger des Antichrist leben, die ihm in die Hände spielen und sich ihm unterwerfen, aber ebenso zeigt es sich, dass es bei allen dreien wahre Christen gibt, die dem Herrn die Treue halten bis in die Stunde seines Kommens hinein. Im Angesicht Christi erkennen sich die Getrennten um Petrus, Paulus, Johannes als Brüder; es erkennen sich die getrennten wahren Christen als immer schon einig, wie umgekehrt die Schar des Antichrist ihrer Lüge überführt wird. Im Licht des Erlösers zeigt sich, wer die einen wie die anderen waren und sind.

Es muss uns schon jetzt und immer auch die Sorge umtreiben, dass wir nicht mit grossen christlichen Worten und Drapierungen zu Dienern des Antichrist werden, der sein Reich in dieser Welt einrichten und das künftige Reich Christi überflüssig machen will. (…) Ökumene ist eigentlich nichts anderes, als schon jetzt im eschatologischen Licht leben, im Licht des wiederkehrenden Christus. Sie bedeutet daher auch, dass wir die Vorläufigkeit unseres Tuns erkennen, das wir nicht selbst zum Abschluss bringen können; dass wir nicht selber machen wollen, was nur der wiederkehrende Christus bewirken kann.

Es wäre völlig verfehlt zu denken, diese Vision des leidenschaftlichen Ökumenikers Solowjew verschiebe die Sache der christlichen Einheit auf das Ende der Zeiten oder überhaupt ins Nach-Zeitliche. In der Vision Solowjews ist Eschatologie biblisch richtig verstanden: Sie ist nicht das datumsmässig Späte, das im Nacheinander der Tage in einer unbestimmbar fernen Zukunft einmal kommt und heute eben nicht da ist. Nein, das eschatologische ist das eigentlich Wirkliche, das einmal als solches offenbar wird, aber immer schon all unsere Tage prägt” (S. 222/3).

Deutlich wird: ein “Jetzt” der Ökumene jenseits der eschatologischen Dimension bedeutet allein, Zeitgeschichte zu Offenbarungsgeschichte zu erklären. Der russische Denker Wladimir Sergejewitsch Solowjew (1853-1900) warnte in der von Kardinal Ratzinger zitierten “Kurzen Erzählung vom Antichrist” davor, das Christentum auf eine Ansammlung von “Werten” zu reduzieren. Solowjew präsentiert den Antichrist als Pazifisten mit einer grossen Hingabe an die ökologische Problematik. Zudem tritt er radikal für die Ökumene ein, beruft ein ökumenisches Konzil ein, um zu einem Konsens aller christlichen Konfessionen zu kommen. Ein Konsens, der damit zu bezahlen ist, dass alle auf etwas von ihrer Wahrheit verzichten. Der Antichrist sucht die Sympathie aller, er ist ein “mitleidsvoller Philanthrop”, der ein Buch mit dem Titel “Der offene Weg zu Frieden und Wohlfahrt der Welt” geschrieben hat.
Die “Eingeweihten”, enttäuscht von der fehlenden Eintracht in der “Weltverwaltung”, statten ihn als “Mensch der Zukunft” mit allen Vollmachten aus. Ziel des Antichristen ist es, dass die Führer der Christenheit ihn verehren und Christus absagen. Ein “Weltmuseum der christlichen Archäologie” will er einrichten. Die kleine Schar der Glaubenstreuen, die ihm widersteht, sagt ihm jedoch: “Das Teuerste am Christentum ist für uns Christus selbst – Er Selbst, und alles, was von Ihm kommt; denn wir wissen, dass in Ihm die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig wohnt. Aber auch von dir, Herrscher, sind wir bereit, jegliches Gute entgegenzunehmen, sobald wir in deiner freigebigen Hand die heilige Hand Christi entdecken. Und auf deine Frage, was du für uns tun kannst, ist dies unsere klare Antwort: Bekenne jetzt hier vor uns Jesus Christus, den Sohn Gottes, erschienen im Fleische, auferstanden und wiederkommend – bekenne ihn, und voller Liebe werden wir dich aufnehmen als den wahren Vorläufer Seiner Wiederkunft in Herrlichkeit”.

Diese Worte lassen den Antichrist die Selbstkontrolle verlieren. Sein wahres Gesicht kommt zum Vorschein.

UnitatisRedintegratio: Dekret über den Ökumenismus
Missa Pro Ecclesia: 20. April 2005

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Kategorien

Die drei Säulen der röm. kath. Kirche

monstranz maria papst-franziskus

Archiv

Empfehlung

Ausgewählte Artikel