Deutlicher Wandel im Zeitgeist
Mozarts “Zauberflöte” und ihre Fortsetzung “Das Labyrinth”
Die Tagespost, 27. August 2012, von Werner Häussner
Zusammen bei den Salzburger Festspielen: Mozarts “Zauberflöte” und ihre Fortsetzung “Das Labyrinth” von Peter von Winter.
Der siebenfache Sonnenkreis ist eine Mischung aus Baustellenlampe und Hirnschrittmacher, mit einem Schlauch offenbar direkt mit Sarastros Hirn verbunden. Er und die Königin der Nacht balgen sich am Ende um das technische Gerät, das die jungen Leute als Kinderspielzeug benutzen: Tamino und Pamina laufen den Kinderwagen Papagenos und Papagenas hinterher. Familienidylle statt Weisheitslehre? Jens-Daniel Herzog, der Dortmunder Operndirektor, hat sich mit der “Zauberflöte” bei den Salzburger Festspielen vorgestellt.
Wie viele andere ist er ein Import aus des neuen Intendanten Alexander Pereiras Zürcher Zeit. Seine Botschaft scheint zu sein: Leute, nehmt den ganzen Zauber nicht so wichtig. Das ist ein dürftiges Ergebnis.
Sicher lässt sich bei der “Zauberflöte” das unterhaltsame Abenteuerstück aus der Wiener Vorstadt hervorkehren. Aber Herzog stellt sich – so jedenfalls in einem Interview im Programmbuch – auf die Seite Susan Sontags und ihrer Ablehnung, in einem Kunstwerk einen “Subtext” zu ergründen. Sontag propagiert die postmoderne Beschränkung auf pure Sinnlichkeit und den Primat der individuellen, von keiner Interpretation eingeschränkten Erfahrung. Das mag durchaus sinnenfroh und unterhaltsam sein, ermöglicht aber keine ästhetische Erfahrung, sondern verhindert sie. Der Zuschauer treibt irgendwohin, wird nicht herausgefordert, die eigene Position zu bilden.
Herzog ist natürlich zu klug, um die postmoderne Falle zuschnappen zu lassen, aber er konnte sich ihren Fangzähnen doch nicht ganz entwinden. Hätte er sich konsequenter auf die Gegensätze des Stücks eingelassen, hätte er die naive, aber zutiefst menschliche Welt des Papageno über das putzige Dreirad-Lieferwägelchen und die Vogelfedern hinausgeführt, wäre auch das Potenzial von Bühnenbildner Mathis Neidhardts Felsenreitschul-Imitation zu erschliessen gewesen. Doch so führte das Versteckspiel mit verschiebbaren Kästen und vielen Türen nicht weiter.
Die Salzburger “Zauberflöte” war mit Spannung erwartet worden, weil sie Nikolaus Harnoncourt zum ersten Mal in Salzburg – in Zürich war er schon vor fünf Jahren – und zum ersten Mal mit seinem Orchester, dem “Concentus Musicus” aufführte. Aus lebenslanger, vielleicht ein wenig altersmilder Erfahrung formuliert er eine Gegenposition zu verhetzten “Original”-Zauberflöten. Wir hören den schlanken, dunkel grundierten Streicherklang in einer fast schon manieristisch am Text-Metrum ausgerichteten Varianz. Wir hören seidige Bläser, die nicht mehr jäh, sondern fast schüchtern akzentuieren. Wir erleben, wie Harnoncourt zwar beweglich-flüssige Grundtempi anschlägt, dann aber verzögernd der Emotion Raum gibt, wie in “Schnelle Füsse” oder in Paminas Arie “Ach ich fühl’s”. Irritierend ist, dass Harnoncourt kaum Wert auf den musikalischen Bogen legt. Er fordert nicht nur konsequentes Anti-Legato, sondern nimmt “Löcher” in Kauf, deren Sinn sich nicht erschliesst.
Wer von der Krise des Wagner-Gesangs redet, muss den Mozart-Gesang mit einschliessen. Seit den ernüchternden Eindrücken aus dem Salzburger Mozart-Marathon 2006 hat sich nicht viel geändert. Georg Zeppenfeld als undramatisch-beherrschter Sarastro und die unangestrengt auf dem Atem singende Pamina Julia Kleiters wissen, wie es geht. Mandy Fredrich als “Königin der Nacht” beherrscht die technischen Finessen der Partie, hat ein gut ausgebildetes Fundament für den Klang auch in der Höhe, aber keine charismatische Brillanz.
Markus Werba, ein gewinnender Darsteller, darf sich als Papageno ruhig an seiner Partnerin aus der Vogelwelt, der bezaubernden Elisabeth Schwarz, ein Beispiel nehmen und die Stimme aus der Kehle nach vorne bewegen. Bernard Richter singt den Tamino oft hölzern und kann die Töne nicht binden. Die drei Damen bilden alles andere als ein Ensemble, speziell Sandra Trattnigg zernichtet als Erste Dame mit Trompetentönen den Gleichklang. Und gibt es in Salzburg für den Mohren – der hier nach neuester Quellenkritik “Manostatos” heisst – keinen Buffo-Tenor mehr, der nicht nur haltlosen Sprechgesang bietet wie Rudolf Schasching?
Noch misslicher sind die sängerischen Eindrücke in der einzigen Oper, die bei den Salzburger Festspielen aus dem Repertoire herausfällt: Peter von Winters “Das Labyrinth”, nur sieben Jahre nach Mozarts Tod von Emanuel Schikaneder als “Der Zauberflöte zweyter Theil” konzipiert. Wir finden das bekannte Personal aus Mozarts Oper wieder. Tamino und Pamina müssen neue Prüfungen ablegen. Nach Feuer und Wasser ist nun die Erde dran: ein unterirdisches Labyrinth gilt es zu durchschreiten. Papageno findet seine Eltern und mit ihnen jede Menge Geschwister. Monostatos ist am lunaren Hof trefflich etabliert. Und die Königin der Nacht hat sich mit Tipheus und dessen Freund Sithos zwei Heerführer an ihre Seite geholt, die den Kampf mit dem spürbar militarisierten Sarastro endgültig entscheiden sollen. Nicht Hollywood, sondern Wien hat die Fortsetzung als Erfolgsprinzip entdeckt.
Ein angemessener Blick auf das Stück muss sich davon verabschieden, Konzeption und Musik der “Zauberflöte” auf diese Fortsetzung zu übertragen. In den sieben Jahren seit ihrer Uraufführung haben sich die Perspektiven verschoben, gerade im rasch auf Zeitströmungen reagierenden populären Unterhaltungstheater. Im “Labyrinth” tritt die Ideenwelt zurück, vielleicht, weil Mozarts Einfluss fehlt. Dafür triumphiert das Wunderbare, Effektvolle, Kolportagehafte.
In Salzburg bleibt dieser “zweyte Theil”, wie so manches Film-Sequel, glanzlos hinter dem Original zurück: Das mag auch der inspirationslosen Regie der Opern-Elevin Alexandra Liedtke geschuldet sein. Warum Salzburg für ein solches Werk keinen erfahrenen Opernregisseur findet, liesse sich wahrscheinlich nur durch einen Blick hinter unzugängliche Kulissen ergründen. Raimund Orfeo Voigts Bühne verwendet technisch aufwändige, verschiebbare Licht-Lamellen, erinnert in Reminiszenzen wie der Hanswurst-Bühne an die Tradition des Volkstheaters, mit dem Zitat von Schinkels Berliner Zauberflöten-Himmelsgewölbe an die Spuren des erhabenen Aufklärungstheaters. Doch Liedtke fällt nichts ein als vorhersehbare Auftritte; vom Zauber- und Maschinentheater ebenso wenig eine Spur wie von einem Versuch, szenisch zu durchdringen, wie Schikaneder den Stoff an den Geist einer neuen Epoche angepasst hat.
Im lustlos knappen Beifall zeigt sich der Ärger über festspielunwürdige Besetzungen, über das beflissene, aber schwunglose Spiel des Mozarteum-Orchesters unter Ivor Bolton und über eine konzeptschwache, den Abend unerträglich dehnende Inszenierung. Wären da nicht einige wenige Sänger gewesen, auf deren Auftritt man sich gefreut hat, wie Christof Fischesser als Sarastro oder Thomas Tatzl und Regula Mühlemann als Papageno und Papagena, wären da nicht die heiteren, die “ausschweifende Pracht” der Uraufführung persiflierenden Kostüme von Susanne Bisovsky und Elisabeth Binder-Neururer gewesen, der gut dreistündige Abend wäre in Langweile versauert.
An Peter von Winter lag es nicht. Winters Bezeichnung “grosse heroisch-komische Oper“ deutet eine Entwicklung an: Die Musik gibt sich pathetischer, weniger verspielt, aber auch weniger durchgearbeitet als Mozarts Vorbild. Wir schreiten voran in Richtung Cherubini, Spontini und Beethoven.
Winter zitiert manchmal, liefert aber kein Plagiat und imitiert nicht. Zwar tauchen in der Ouvertüre die feierlichen Dreiklänge auf. Die Königin der Nacht darf noch effektvoller Koloraturen perlen lassen, Sarastro gefällt sich wieder in salbungsvollem Arioso. Doch es kündigen sich auch andere, pathetischere Töne an. Der von Alois Glassner einstudierte Salzburger Bachchor spielt eine gewichtige Rolle. Der Krieg Sarastros mit König Tipheus und der nun eindeutig bösen und rachsüchtigen lunaren Herrscherin entspricht der politischen Lage – ein Jahr vorher stand Napoleon vor Wien – und wohl auch dem Hang der Zeit nach mehr “Action” und weniger Weisheitslehren.
Und wenn ein Schleier auf dem Weg durchs Labyrinth die “Tugend” der Pamina schützen muss, haben sich die Gewichte verschoben von Philosophie und Weltweisheit zur einer am Sexuellen orientierten Moral der neuen bürgerlichen Schichten, auf deren dunkler Seite die Versuchung für Papageno lauert: Für exotischen Sex, sprich, die Nacht mit einer schwarzen Frau, ist er bereit, seinen Aufruf zum Mord an Monostatos noch einmal zu überdenken. Zu wünsche wäre, dass die Salzburger Wiederentdeckung von Winters “Zauberflöte” nicht – wie die letzte Aufführung 2002 in Chemnitz – einfach verpufft. Dem Aufführungsrekord der Mozart’schen Erstversion schadet es nicht, würde hin und wieder an einem Opernhaus die Fortsetzung gespielt.
Salzburger Festspiele
Jens-Daniel Herzog
NikolausHarnoncourt
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