Der Platz der Kirche ist nicht das stille Kämmerlein

Öffentlich zu sein ist eine der kirchlichen Grundeigenschaften

Überlegungen zur Präsenz der Kirche in der Öffentlichkeit. Ein Gastkommentar von Michael Gurtner.

Salzburg, kath.net, 6. August 2012

Es gibt zwei wesentliche Faktoren, welche die öffentliche Präsenz der Kirche zunehmend in Frage stellen: Einerseits wird im Zuge der immer bedrängender werdenden Neo-Säkularisation Glaube und Religion an sich in Frage gestellt und daher in das rein Private zu verdrängen gesucht, auf der anderen Seite tritt gleichzeitig eine immer deutlicher werdende Verschiebung der ethnischen und damit auch der religiösen Mehrheitsverhältnisse hinzu.

Dies führte dazu, dass die Diskussion um die rechte Position der Religion in der Öffentlichkeit, besonders in ihrer institutionalisierten Form des Staatswesens, heute im Wesentlichen zwischen zwei grossen Meinungsblöcken verläuft:

Auf der einen Seite stehen jene, welche meinen, Religion an sich – und damit freilich auch und erst recht die Kirche – gehöre eben in das Private abgedrängt und dürfe sich in der Öffentlichkeit nicht mehr kundtun, und schon gar nicht in die öffentlichen Debatten und Entscheidungen einmischen, weil der allgemeine Grundkonsens einer deutlichen demokratischen Mehrheit fehle.

Auf der anderen Seite stehen die, welche zwar meinen, Religion und daher auch die Kirche dürfe oder müsse sehr wohl auch öffentlich präsent sein, aber da der Glaube ein persönliches Einzelinteresse sei, und die Einzelnen zu wie auch immer gearteten “Interessens- und Glaubensgemeinschaften” zusammengeschlossen sind, müsse allen Glaubensrichtungen und Religionen derselbe Platz und Einfluss in der Öffentlichkeit zugestanden werden.

Zwischen diesen beiden grossen Meinungsblöcken gibt es eine gewisse Minderheit, welche sehr wohl für eine Bevorzugung der Kirche oder des Christentums im Gesamten eintreten, dies jedoch für gewöhnlich aus der kulturellen Prägung und aus einer –noch – bestehenden und immer fraglicher werdenden statistischen Mehrheit heraus begründen. Diese Argumentation kann sich jedoch schnell selbst zum Gegenargument des eigenen Anliegens werden, nämlich dann, wenn sich die Mehrheitsverhältnisse geändert haben bzw. dann, wenn man den christlich geprägten Kulturraum verlässst und universaler nach der Stellung der Kirche in den klassischen Missionsländern fragt.

Der zweite Argumentationsstrang

Betrachten wir den zweitgenannten großen Meinungsblock, so wie wir ihn – freilich etwas zusammengerafft, wie es die Kürze verlangt – eben skizziert haben, dann stellen wir sehr schnell fest, daß es, bei aller auch inneren theoretischen Problematik, welche diesem Konzept innewohnt, weil es letztlich überzeugungslos ist, vor allem die Praxis sehr schnell lehren wird, daß dieses Modell, welches ein betont pragmatisches und gerechtes sein möchte, im Grunde genommen nicht praktikabel ist. Allein schon deshalb, weil bei diesem Ansatz, welcher allen entgegenkommen möchte, nicht der Glaube als solcher im Vordergrund steht, sondern die Ermöglichung der je eigenen Lebensweise und die Umsetzung der eigenen Überzeugung, welche wie auch immer sei.

Doch gemäß einer konsequenten Umsetzung der eigenen Ansprüche, welche niemanden bevorzugen oder zurücksetzen möchten, muß dem Ungläubigen dasselbe zugestanden und ermöglicht werden, wie dem Gläubigen. Zu schnell würden die unterschiedlichen Ansprüche aufeinanderprallen, wollte man eine konsequente Umsetzung anstreben. Zunächst einmal zwischen denen, welche eine Religion praktizieren wollen und denen, welche sie dezidiert nicht praktizieren wollen, und dann nochmals zwischen den Anhängern der verschiedenen Religionen und Konfessionen selbst.

Um es an einem Beispiel konkret zu machen: Ich kann nur entweder einen gemeinsamen Ruhetag haben, oder diesen nicht haben. Eine Gruppe wird auf jeden Fall ihr Anliegen nicht durchbringen können, da ich nicht zugleich einen gemeinsamen Ruhetag halten und nicht halten kann. Und wenn man sich für einen solchen entscheiden sollte: Optiere ich für Freitag, Samstag oder Sonntag?

Ähnlich bei der Zählung der Jahre: Heute wäre es undenkbar, die Geburt Jesu Christi als Ausgangspunkt unserer Zeitrechnung neu einzuführen. Spreche ich also einer Gruppe der Gläubigen zu, die für alle gültige Zeitrechnung nach ihrem Glauben zu erhalten? Wenn ja: welcher? Oder hindere ich sie daran, indem ich eine neutrale Zeitrechnung einführe, dadurch aber zugleich für die atheistische Variante optiere? Solche Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen, und hatten nach der französischen Revolution bereits durchaus praktische Relevanz – es ist nicht auszuschließen, daß sich Ähnliches wiederholt.

Der erste Argumentationsstrang

Wenden wir uns dem ersten Argument zu, welches die Religion als solche und generell in die Sphäre des rein Privaten verbannen möchte, meist mit der Argumentation des mangelnden allgemeinen Konsenses, so stoßen wir hier an ein Grundsatzproblem, nämlich an die Frage, ob dies wirklich ein allgemeingültiges Kriterium sein darf und kann, oder ob hier nicht Teile der Wirklichkeit einfach scheuklappenartig verdrängt werden, weil man sie fälschlicherweise für unwissenschaftlich hält, da sich generell das Wissenschaftsverständnis als Gesamt auf den empirisch-naturwissenschaftlichen Bereich verengt hat, und daher auch selbst nur einen Teil der Wirklichkeit abdeckt.

Im Grunde ist dies die oben bereits angedeutete Option für den praktischen Atheismus, welche konsequenter Weise ebenfalls wieder in der aufklärerischen, betont religionslosen Gesellschaftsorganisation münden müßte. Mit dieser Form liebäugeln immer mehr, da die in der Philosophie erfolgte Abkehr von der Metaphysik (die „theologia moderna“ zog ihr bereitwillig nach) nun auch nach einer gründlichen praktischen Umsetzung schreit.

Dies ginge absolut auf Kosten der Kirche und des Glaubens, und zwar nicht allein auf struktureller Ebene, sondern dieser Pfeil würde sie mitten in ihre Existenz treffen – nicht in dem Sinne, daß diese ausgelöscht würde, aber die Kirche würde doch wieder in ein überaus primitives Stadium zurückfallen. Dies würde jedoch erst am Ende der Entwicklung stehen, welche aber, erst einmal ins Rollen gekommen, wohl schwer rückgängig zu machen wäre. Das Trägheitsgesetz ist nämlich nicht bloß ein naturwissenschaftliches, sondern ein generell Menschliches. So sehr es hilfreich sein mag, Bestehendes über einen gewissen Zeitraum hinweg auch dann noch zu erhalten, wenn sozusagen dessen innere Lebendigkeit schon lang erkaltet ist, so ist dasselbe Gesetz überaus hinderlich, wenn es darum geht, begangene Fehler wieder zu korrigieren und gleichsam „endlich wieder in die richtige Richtung“ aufzubrechen.

Paradoxerweise zeigt sich immer deutlicher, welch große Bereitschaft seitens der Kirche selbst in der jüngeren und jüngsten Kirchengeschichte mancherorts bestanden hat, diesen Prozeß ins Rollen zu bringen. Man schlug eine Richtung ein, ohne zu bedenken oder sich bewußt zu sein, wo dieser Weg enden wird, wenn er erst einmal konsequent zu Ende gegangen ist. Doch nach halber Wegstrecke entscheidet man sich schwieriger für eine Umkehr als noch ganz am Beginn, sozusagen bevor man wirklich losgeht.

Öffentlich zu sein ist eine der kirchlichen Grundeigenschaften

Gegenwärtig stehen wir in Mitteleuropa also ein Stück weit an einem Scheideweg: Entweder man versucht, die Kirche, so wie alle anderen Religionen auch, ins private Abseits zu drängen, oder uns eine Stimme unter vielen doch sehr unterschiedlichen Stimmen werden zu lassen. Es ist dabei überflüssig zu erwähnen, daß ein irriger philosophischer Zugang zum Thema Wahrheit den denkerischen Grund für die gegenwärtige Situation darstellt.

Dabei kann sich die Kirche allein schon von ihrem eigentlichen Selbstverständnis, ebenso von ihrem Auftrag her, mit keiner der beiden Alternativen zufrieden geben. Als was sich die frühe Kirche, in Zeiten massiver Bedrängung und Verfolgung, verstanden hat, das macht allein schon deren Bezeichnung deutlich. Die Kirche, also die „ecclesia“, die „Herausgerufene“, war nämlich im antiken Griechenland die öffentliche Volksversammlung der Städte mit souveränen Leitungsfunktionen.

Die Kirche gibt sich denselben Namen, und deutet damit an, daß auch sie sich als ein öffentliches und öffentlich in Erscheinung tretendes Organ versteht. Auch wenn sie, zumindest heute, nicht an der eigentlichen Regierung der Staaten und Länder beteiligt ist, so ist sie dennoch als Trägerin der von Gott selbst her geoffenbarten Wahrheit dazu „herausgerufen“, in bestimmten Bereichen ihre Überzeugungen in die Gesellschaftsgestaltung und Gesetzgebung einzubauen – was freilich eine öffentliche Bekundung voraussetzt.

Die Kirche ist nicht zum bloßen Selbstzweck von Gott gegründet, es darf ihr niemals um den reinen Selbsterhalt gehen, sondern ihr Sein hat eine Sendung, welche im letzten in der „Heilig-Machung“ des Menschen liegt. Das letzte Ziel ihrer Sendung ist somit sicherlich in der Ewigkeit gelegen, aber es bleibt dabei stets auf den Menschen und auf Gott hin bezogen: Der einzelne Mensch soll einmal in die Ewigkeit eingehen, doch muß das Bemühen der Kirche um dieses Ziel doch auch in den zeitlichen Dingen ansetzen, in welche sie ja selbst hineingeworfen ist, weil auch der Mensch auf Erden lebt.

Darum können und dürfen der Kirche die irdischen Strukturen, Gesetze und Entwicklungen nicht egal sein, sondern sie hat das Ihre dazu beizutragen, daß die menschliche Umwelt derart Gestalt nimmt, daß sie dem letzten Ziel des Menschen auch wirklich zuträglich ist. Auch wenn dies zugleich die Grenzen ihrer zeitlichen Verantwortung in Staat und Gesellschaft darstellt, so ist all jenes, welches sich innerhalb jener befindet, ihr doch göttliche Verpflichtung und daher auch natürliches Recht.

Es würde „Entweltlichung“ vollkommen missverstehen, wer sagte, die heilige Kirche solle am besten so wenig als möglich mit der „schlechten Welt“ zu tun haben. Richtig verstanden bedeutet Entweltlichung in dieser Hinsicht, sich auch innerhalb der zeitlichen Dinge wirklich auf jene Belange zu begrenzen, welche die von Gott aufgetragenen Bereiche der Kirche sind: In Fragen rund um die Abtreibung oder die Euthanasie, um nur zwei Beispiele anzudeuten, würde die Kirche bzw. die verantwortlichen Personen in ihr (speziell der Klerus, aber dann auch die Theologen, die Laien mit entsprechenden Möglichkeiten etc.) schwer sündigen, würden sie nicht das ihnen Mögliche tun, um Einfluß auf die dementsprechende Gesetzgebung (und Praxis) zu gewinnen, oder würden sie gar direkt oder indirekt Initiativen und Praktiken unterstützen, welche Euthanasie oder Abtreibung befürworten oder durchführen.

Das, was der Kirche in diesen und ähnlichen Belangen die Pflicht und das natürliche, unveräußerliche Recht dazu gibt, ist die dahinter liegende Wahrheit, welche eine göttliche Wahrheit ist. Gott ist nicht abwählbar und unterliegt keinem Mehrheitsvotum: Er ist aus sich selbst heraus, und daher wahr. Somit ist sein Wille auch der für alle Menschen verbindliche Wille, was sich analog auch auf die Staaten niederschlägt, da auch die Staaten und andere Gesellschaftsstrukturen ja immer aus einzelnen Menschen zusammengesetzt sind.

Aufgabe der Theologen ist es, den Glauben zu verteidigen

Im Angesicht einer so allgemeinen Verwirrung des Zeitgeistes, welcher auch zu Konsequenzen für die äußere Freiheit der Kirche selbst führt, ist es, gelinde gesagt, enigmatisch, weshalb es doch einerseits so viele Theologen gibt, jedoch so wenige von ihnen öffentlich Stellung für den Glauben, die Kirche, den Heiligen Stuhl oder bedrängte Bischöfe nehmen, wenn die Hirten oder der Glaube der Kirche, oder aber diese selbst angegriffen werden.

Hier müßte es wieder zu einer stärkeren Präsenz des eigentlich Theologischen – nicht des (kirchen)politischen! – kommen, um nicht zu kapitulieren und das Feld jenen inner- wie außerkirchlichen Kräften zu überlassen, welche sich des Glaubens und der Kirche und deren mithin unangenehmen Botschaft entledigen wollen, indem sie diese als reines Privatvergnügen abtun und so in der Bedeutungslosigkeit versinken lassen.

Ohne Zweifel gibt es vorbildhafte Initiativen – wir denken dabei nur etwa an Deutschland pro Papa, zahlreiche private Blogprojekte, welche sich zu einer „Blogozöse“ vereinigt haben und durch eindeutige Kirchentreue positiv in Erscheinung treten, Priesterkreise etc. – aber die Kleriker und Theologen als solche machen sich mehrheitlich aus dem Staub, wenn es darum geht, Falschinformationen richtig zu stellen, die kirchliche Position öffentlich präsent zu machen oder ein Gegengewicht zu irrigen Meinungen zu bilden, und dadurch der katholischen Position zu vermehrter „Salonfähigkeit“ zu verhelfen. Dabei wäre gerade darin eine ihrer Hauptaufgaben gelegen, denn die Kirche ist von ihrem Wesen her eine missionarische – „herausgerufen“ und „hinausgeschickt“, mit einem Auftrag versehen und in ihren Inhalten gebunden.

Michael Gurtner ist Magister der Theologie in der Erzdiözese Salzburg

Deutschland pro Papa

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