Mein Freund Benedikt XVI.

Unser Interview mit dem italienischen Staatspräsidenten Giorgio Napolitano

L’Osservatore Romano, 13. Juli 2012 Mario Ponzi

Papst Benedikt XVI. empfängt und begrüsst ihn mit der Herzlichkeit, die man einem lieben alten Freund gegenüber empfindet. Maestro Daniel Barenboim bezeichnet ihn als den “Architekten” des historischen Ereignisses, das gestern abend in Castel Gandolfo stattfand. Giorgio Napolitano, der Staatspräsident der Republik Italien, bekundet seine volle Zufriedenheit darüber, dass es ihm gelungen ist, zwei Männer besser miteinander bekannt zu machen, die dieselbe Botschaft der Gewaltlosigkeit und des Friedens verkünden. Der eine ist der Papst, dessen Worte bis in jeden Winkel der Erde dringen. Der andere, Orchesterleiter Maestro Barenboim, verfolgt denselben Weg im Rhythmus einer Friedenssymphonie, die von jungen israelischen, palästinensischen, syrischen, libanesischen, ägyptischen, amerikanischen, deutschen, spanischen und argentinischen Künstlern interpretiert wird.

Mit der ihm angeborenen Herzlichkeit, seiner aussergewöhnlichen Dialogbereitschaft, die weder vor den grossen noch den kleinen Themen des Lebens je schwächer geworden ist, hat sich Staatspräsident Napolitano gerne bereiterklärt, mit Redakteur Mario Ponzi von der italienischen Tagesausgabe des “Osservatore Romano” zu sprechen.

Erst Kardinal Ravasi und dann Maestro Barenboim haben ein kleines Geheimnis enthüllt: Sie waren der Initiator, der Architekt dieses Abends, der weit über seine gleichwohl ganz hervorragende künstlerische und kulturelle Bedeutung hinausging. Können Sie uns erklären, weshalb Sie so auf diesen Augenblick gedrängt haben?

Ich kenne Maestro Barenboim seit vielen Jahren, bewundere ihn sehr und bin ihm durch eine tiefe Freundschaft verbunden. Ich kenne auch sein Jugendorchester gut. Und ich war überglücklich, den Dan-David-Preis, der mir am 15. Mai 2011 in Tel Aviv verliehen wurde [eine mit einer Million Dollar dotierte Auszeichnung, A.d.R.], diesem Orchester zukommen zu lassen, um ihm dabei zu helfen, seine weltweite Tätigkeit zu konsolidieren und auszubauen. Ich habe wundervolle Bilder ihrer Konzerte in aller Welt gesehen. Das Konzert, das sie in Ramallah aufgeführt haben, hat mich innerlich zutiefst berührt: es ist unglaublich, wie diese jungen Leute es fertigbringen, so viele unterschiedliche Jugendliche zu verbrüdern, geradeso wie die Musik das schenkt, was leider auch heute noch die Regierungen und die Politik nicht zu geben vermögen, nämlich ein Gefühl von Frieden, von Anteilnahme, vom Teilen gemeinsamer Werte, die von Solidarität und Spiritualität sprechen. Werte, die die Lösung eines seit Jahren anhaltenden und dramatischen Problems wie etwa das Verhältnis zwischen Israelis und Palästinensern erleichtern könnten. Deshalb sollte der Papst diese Realität einfach kennenlernen.

Wann ist Ihnen die Idee gekommen, sie miteinander bekanntzumachen?

Ich hatte vor einiger Zeit Gelegenheit, ihm persönlich von diesem Jugendorchester zu erzählen, von der Botschaft, die es in alle Welt trägt. Der Papst liess erkennen, dass er die Bedeutung dieser Initiative sofort verstand, und wollte mehr darüber erfahren. Und dann dieses grosse Geschenk! Das Geschenk, das er diesen Jugendlichen dadurch gemacht hat, dass er sie in seinem Haus empfangen hat. Auch für den Maestro Barenboim war das ein grosses Geschenk. Sie waren zutiefst gerührt von so viel Feinfühligkeit.

Woher kommt Ihre so offenkundige Übereinstimmung mit Papst Ratzinger?

Seit dem Beginn meines Amtes sind sechs Jahre vergangen. Im Mai hat das letzte der vorgesehenen sieben Amtsjahre begonnen. Ich zögere nicht, zu bekennen, dass eine der schönsten Erfahrungen meiner Amtszeit gerade durch die Beziehung zu Benedikt XVI. charakterisiert ist. Wir haben zusammen sehr viele Gemeinsamkeiten entdeckt, wir haben das Gefühl eines grossen und gegenseitigen Respekts voreinander erlebt. Aber da ist noch mehr, etwas, das unsere menschlichen Saiten hat zum Erklingen bringen lassen. Und dafür bin ich ihm sehr dankbar. Heute beispielsweise haben wir gemeinsam einen Augenblick erlebt, der sich gerade durch sehr viel einfache Menschlichkeit auszeichnet. Wir sind spazierengegangen, wir haben miteinander geredet wie Menschen, die sehr eng befreundet sind, bei aller Ehrfurcht, die ich vor ihm und seinem erhabenen Amt, seiner hohen Sendung habe. Wir fühlen uns einander in gewisser Weise nahe, auch weil beide dazu berufen wurden, über sehr komplizierte Realitäten zu regieren. Der Papst ist natürlich nicht nur ein “Staatsoberhaupt”, sondern und vor allem auch das Haupt der Universalkirche. Meinerseits stehe ich gerade zu einem äusserst schwierigen Augenblick an der Spitze der Institutionen der Republik Italien. Es ist erforderlich, dass ich in jedwedem Kontext überzeugende Gründe zur Geltung bringen kann, dass Gelassenheit, Friede und Mässigung geübt werden. Sehen Sie, ich interpretiere meine Rolle als die eines Schlichters: und was gäbe es alles zur vergleichbaren Aufgabe zu sagen, die der Papst erfüllen muss?

Und dann vereint Sie auch noch die jeweilige Vorstellung von Frieden.

Ich glaube schliesslich, dass die unablässigen Friedensappelle des Papstes von unendlich vielen Menschen auf der ganzen Welt vernommen und geteilt werden. Natürlich stossen Friedensappelle – vor allem in Gegenden wie dem Nahen Osten – auf eine gewisse Zuspitzung der Konflikte und Kontraste. Wie es immer geschieht, wenn Jahrzehnte auf Aberjahrzehnte vergehen, ohne dass eine Lösung gefunden werden kann, dann gibt es etwas, das sich in Verhärtungen verwandelt, die sehr schwer aufzuweichen sind. Ein jeder von uns macht, was er tun muss, und der Papst kann mit seiner Eingebung und mit der Beständigkeit seines Handelns unendlich viel erreichen. Darauf hoffe ich wenigstens.

Wie würden Sie das Verhältnis zwischen Benedikt XVI. und Italien interpretieren?

Ich werde nie die Botschaft vergessen, die er aus Anlass des 150. Jahrestags der Einigung Italiens gesandt hat: ich trage sie in meinem Herzen und werde sie immer bei mir tragen, als Vermächtnis meines Präsidentenmandats. Es ist klar, dass mit Sicherheit eine herzliche, formelle Botschaft zu erwarten war, aber bei weitem nicht so anspruchsvoll wie seine Worte und sein historisches Urteil dann ausgefallen sind. Und das zeigt wahrlich, wie in Italien Staat und Kirche, das Volk der Republik und das Kirchenvolk, zutiefst und ganz innig vereint sind.

 Quelle
150.Jahrestag der politischen Einheit Italiens: Ansprache Papst Benedikt XVI.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Kategorien

Die drei Säulen der röm. kath. Kirche

monstranz maria papst-franziskus

Archiv

Empfehlung

Ausgewählte Artikel