Der Papst im Urlaub
Von Paul Badde, Die Welt, für die Kölner Kirchenzeitung
Vatikan, kath.net/KölnerKirchenzeitung, 7. Juli 2012
Im Urlaub geht der Blick des Papstes aus seinem Arbeitszimmer nach Osten über den Albaner See, nach Westen zum Meer und nach Norden auf Rom hin, wo er an klaren Tagen die Kuppel des Petersdoms in der Ferne erkennen kann. Es ist ein Panoramablick wie aus einem Flugzeug-Cockpit, wo er seinen Blick dennoch am liebsten auf das weisse Papier vor ihm senkt, auf dem er so dringend den dritten Teil seiner Jesus-Trilogie zu Ende bringen will, über die Kindheit und Jugend des Gottessohnes aus Nazareth. Darum hat Benedikt XVI. schon vor einem Jahr entschieden, im Sommer auf sein geliebtes Hochgebirge zu verzichten und gleich von Rom in die Albaner Berge aufzubrechen.
Castelgandolfo hat eine ideale Höhe, ein Ambiente, wo er sich blind auskennt und gleich vom ersten Tag im Erholungsmodus ist, ohne Eingewöhnungsphasen und den enormen Sicherheitsapparat, der sonst wieder in Gang geworfen werden müsste. Mit 85 Jahren setzt er nun auch im Urlaub andere Prioritäten. Die gebrochene linke Hand am Anfang seines Urlaubs im Aosta-Tal vor drei Jahren war ein Signal, das er bestens verstanden hat.
Der Tagesablauf ist ein wenig entspannter, das geistige Leben unverkürzt, das Frühstück identisch, in einer deutsch-italienischen Mischung, wo es auch an süssen Biscotti und Cornetti nicht fehlt, und bei den Mahlzeiten wechselt die Küche nicht. Italiens Rezepte kommen seiner heimatlichen Vorliebe zu Mehlspeisen entgegen, den Rest geben die Jahreszeiten in den Gärten um Castelgandolfo vor; nur Sonntagsabends gibt es Brot mit Aufschnitt wie früher in Bayern. Sind keine extra Gäste in der Familie seiner kleinen Wohngemeinschaft dabei, dauern die Mahlzeiten mittags 45 Minuten, abends eine halbe Stunde. Schlemmereien sind ihm auch im Urlaub so fremd wie Schnäpse oder Gymnastik vor dem offenen Fenster. Seine Sinnenfreuden sind anderer Art.
Schon nur ein wenig mehr Zeit zu haben, ist ihm ein Hochgenuss. Den eigenen Zeitblock ein wenig dehnen zu können. Eine kleine Zeitlang ungestört lesen zu können, ist ihm Luxus: mal die Biographie eines seiner Zeitgenossen oder einen klassischen Roman, den er immer schon einmal lesen wollte, oder Zeit für seinen älteren Bruder Georg zu haben, der ihn zu Beginn des Urlaubs immer für einige Wochen besuchen kommt. Denn auch als Papst ist er ja geblieben, was er schon immer war: ein sehr methodischer Mensch – wenn möglich ohne Überraschungen und Störungen, was natürlich auch im Urlaub an den meisten Tage nur ein frommer Wunsch sein kann. Die Post strömt ungehindert über viele Pipelines weiter in die Sommerresidenz, mit den üblichen dringenden Anfragen.
Mehr als jedes Fest liebt er darum gerade in diesen Tagen einen Rhythmus ohne Störungen, an dem er nach einem festen Stundenplan, so oft es geht, die Arbeit an seinem Buch aufnehmen kann, wie seine Mutter früher die Wolle zum Stricken wieder auf den Schoß nahm und an den Pullovern für ihre Kinder weiter strickte. Was für Johannes Paul II. in jüngeren Jahren das Schwimmbad war, ist für Benedikt XVI., der nun schon so alt ist wie sein Vorgänger nie wurde, noch immer die schöpferische Arbeit an seinem nächsten Buch. Was er für die nötigen wissenschaftlichen Hintergrundrecherchen aus welchen Büchern braucht, hat der letzte Papst des Gutenberg-Zeitalters so säuberlich im Kopf, wie es ein Computer nicht besser könnte.
Bevor er sich an seinem Schreibtisch niederlässt, hat er sich von Don Giorgio, seinem Privatsekretär, einen kleinen Apparat mit der nötigen Fachliteratur zusammen stellen lassen. Keine Tapetentür führt aus seinem Arbeitszimmer in die Datenautobahnen der virtuellen Welt. Selbstverständlich hat er hier keinen PC und kein Internet, sondern nur das weiße Papier und den Bleistift vor sich, in einer der letzten Oasen im digitalen Kosmos. Er surft nicht. Er schaut und betrachtet. Er gleitet mit seinen Gedanken wie ein Adler vor und zurück durch die Hochgebirge seiner Erkenntnis und Erfahrungen, bevor er die Worte auch heute noch so analog zu Papier bringt wie der heilige Hieronymus in seinem Gehäus’. Urlaub? Für den alten Priester muss es schon ein Stück Himmel sein, sich Jesus über dieses Papier auch noch einmal als Intellektueller zu nähern.
Punkt viertel vor sieben aber ruht der Stift. Da wartet in den Gärten die Madonna auf ihn, zu der er so pünktlich kommt wie Staatsgäste zu einer seiner Audienzen. Vogelgezwitscher begleitet ihn und seinen Sekretär auf dem schattigen Rosenkranzweg. Kein Handy, kein gar nichts darf ihn hier zwischen den bemoosten alten Bäumen stören. Inzwischen geht er leicht gebeugter und benutzt einen Stock. Doch das kann er eigentlich noch gar nicht. Aus der Ferne scheint es, als trage er den Stock, der ihn doch stützen soll, auf dem Weg seiner Vorgänger, deren Gebete er hier weiter spricht. Hier ist er zuhause. Urlaub? Das ist die Bank bei dem Fischteich am Ende des Weges, wo er vor dem Bild Marias ausruht wie Joseph in Nazareth, deren Sohn er sein Leben verschrieben hat.
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