Das Kirchenrecht ist zum Schutz der Gläubigen da *UPDATE

Das Kirchenrecht müsste wieder vermehrt Anwendung finden

*Frischer Wind: Prof. Georg May: Die andere Hierarchie – Teil 45: Zusammenfassung (blog-frischer-wind.de)
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Prälat Prof. Dr. Georg May

Das Kirchenrecht hat die Offenbarung als Basis

Falsch verstandene Nachsicht, welche Sachen einfach laufen lässt, so dass sich Missstände und Irrlehren ausbreiten können, kann schwerwiegende Langzeitfolgen nach sich ziehen, sogar Kirchenspaltungen. Ein Kommentar von Mag. theol. Michael Gurtner

Linz, kath.net, 31. Juli 2012

Verschiedene Interessensgemeinschaften, wie etwa die österreichische Pfarrer-Initiative, die jüngste Freiburger Erklärung zum Thema Wiederverheiratete Geschiedene oder auch andere Gruppierungen distanzieren sich regelmässig vom geltenden Kirchenrecht. Dieses wird der Pastoral, dem Evangelium und der Barmherzigkeit gegenübergestellt, beinahe so, als ob das Kirchenrecht ein reines Willkürwerk wäre. Daher scheint es angebracht, einige Worte über die Finalität des kanonischen Rechtes zu verlieren.

Das Kirchenrecht hat die Offenbarung als Basis

Zuerst einmal ist festzuhalten, dass das Kirchenrecht nicht einfach ein rein rechtspositivistisches Gesetzeswerk ist, gleichsam eine Ansammlung willkürlicher Regeln, deren Einhaltung auf Grund des Willens einiger weniger durchgesetzt werden will. Das kanonische Recht ist vielmehr hin auf den eigentlichen Wesenszweck der Kirche hin ausgerichtet und von selbigen her abgeleitet, nämlich die rechte und angemessene (kultische) Verehrung Gottes sowie das Heil der Seelen. Dies ist der Zweck zu welchem Gott selbst in seinem Sohn Jesus Christus die Kirche eingesetzt hat und was ihr zum Auftrag wurde – den sie mit allem Ernst und mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln nachzukommen hat. Von daher hat die Kanonistik eine enge ekklesiologisch-soteriologische Anbindung und steht nicht einfach so für sich alleine da, was von vielen jedoch leider übersehen wird.

Das Kirchenrecht weist dabei freilich, wenngleich eher am Rande, auch Belange auf, welche nicht in den Glaubensbereich fallen, sondern einfach einer gemeinsamen Regelung bedürfen, um das geordnete Zusammenleben im grossen Organismus Kirche zu ermöglichen. Diese Bereiche gibt es freilich notwendiger Weise auch und sie sind nötig, da die Kirche, auch wenn sie doch eine zunächst übernatürliche Grösse ist, jedoch im Terrenischen ihre sichtbare Gestalt bekommt und daher auch in einem gewissen Sinne zu einer societas humana wird, welche freilich nicht ungeordnet bleiben kann und darf. Doch um diese Teile des Kirchenrechtes soll es uns an dieser Stelle nicht gehen. Uns geht es hier zunächst um all jene Bereiche, welche direkt oder indirekt die heiligen Sakramente oder die Kirche selbst zum Inhalt haben.

In diesen Bereichen ist die Kirche in ihrer Gesetzgebung vom Herrn selbst gebunden. Das Dogma geht dem Gesetz voraus und gibt ihm seine Grundgestalt. Nicht der Zeitgeist oder das Mehrheitsvotum bestimmen was im sakramentalen und dogmatischen Bereich rechtens ist, sondern allein die Wahrheit, welche als solche immer von Gott, dem Schöpfer aller Dinge, entstammt. Würde man also das Kirchenrecht gegen die dogmatischen Gegebenheiten auszuspielen versuchen, so würde das nichts anderes bedeuten, als sich gegen Gott selbst zu stellen. Nicht weil er das Kirchenrecht als solches eingesetzt hätte, aber doch weil das Kirchenrecht die von Gott geoffenbarten Dinge zu schützen hat.

Dies gilt nicht allein für die universale Gesetzgebung, wie sie uns beispielsweise in Apostolischen Konstitutionen, dem Codex Iuris Canonici oder einem Motu proprio vorliegt, sondern selbiges gilt ebenso für die Partikulargesetzgebung, etwa in diözesaneigenen Gesetzen und Bestimmungen. Auch hier muss, wenn man das etwas pointiert formulieren möchte, der Dogmatiker dem Kanonisten vorarbeiten, bzw. der Partikulargesetzgeber hat zuerst sozusagen den “Dogmatiker in sich” zu befragen, bevor er einen rechtkonstituierenden Akt setzt.

Es denkt deshalb falsch, wer meint, das Kirchenrecht sei “Schuld” an der Praxis, wie sie die Universalkirche im Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen vorschreibt, um nur ein ständig diskutiertes Beispiel zu benennen. Es ist keine Frage des Kirchenrechtes, sondern der Sakramententheologie, welche dann im Kirchenrecht rezipiert wird und dort ihren rechtlichen Ausdruck findet.

Das Kirchenrecht schützt den Glauben und die Gläubigen

Die Kanonistik hat es sich nicht selbst auferlegt, sich an die Glaubenslehre zu halten und diese in eine Rechtsgestalt zu hüllen. Dies ist ihr viel mehr von ihrem innersten Wesen her zukommend, sozusagen von selbst gefordert, ohne dass es eine blosse Wahl wäre, etwa wie sich ein Orden in freier Entscheidung diese oder jene Regel selbst auferlegen kann. Sie will somit einerseits sicherstellen, dass Gott gegenüber das rechte Handeln in Lehre und Kult gewährleistet ist, und somit die rechte Lehre umgesetzt und weitergetragen wird. Andererseits ist sie aber genauso auf die Gläubigen bezogen, denen sie ebenso die rechte Lehre bewahren und den rechten Kult schützen will. Denn die Gläubigen haben ein natürliches Recht darauf, dass Glaube und Kult in der Kirche rein, vollständig und unverfälscht gepflegt und praktiziert werden.

Das Kirchenrecht schützt die Menschen letztlich vor der Willkür Zeitgeistiger, welche die ewigen Wahrheiten Gottes durch den vergänglichen Strömungen des gegenwärtigen Augenblickes ersetzen wollen. Dieses natürliche Recht der Gläubigen ist es auch, welche die Rechtspflege und die Anwendung des Kirchenrechtes nicht zu einer fakultativen Sache macht, sondern zur strengen Pflicht der Verantwortlichen. Der Kirche geht es also, wenn sie ein Gesetz promulgiert, nicht um den Erhalt eines eigenen Interesses, sondern um den Schutz der Interessen anderer, zu deren Anwältin sie sich macht. Dieses Recht, welches sie verteidigt, ist dabei kein positives Satzungsrecht, sondern das natürliche Recht der Wahrheit.

Somit könnte sich das Kirchenrecht in bestimmten Belangen niemals rechtmässig ändern, etwa indem es sich dem bloss menschlichen Willen einer vermeintlichen oder tatsächlichen Mehrheit anpassen würde. Auch wenn ein Mehrheitsvotum in bestimmten Dingen von Haus aus nicht rechtsschaffend und daher auch irrelevant ist, so ist an dieser Stelle aber dennoch der Hinweis darauf angebracht, dass es, trotz gegenteiliger Beteuerung, sehr oft nicht wirklich die Mehrheit ist welche die eine oder andere Änderung fordert, sondern oftmals nur eine besonders lautstarke Minderheit. Doch unabhängig davon, ob es Mehrheiten oder Minderheiten sind: Forderungen wie jene nach dem Frauenpriestertum, nach der Abschaffung der Zugangsbedingungen zur Heiligen Kommunion, der Leitung der Pfarreien und anderer kirchlicher Einrichtungen durch Laien, der Sakramentenspendung durch Laien, der Laienpredigt, der kirchenrechtlichen Legitimation einer zweiten Ehe nach Scheidung etc. sind Dinge, welche nicht durch Beschluss geändert werden können. Es handelt sich bei der rechten Handhabung dieser Fragen um ein absolutes Recht der Gläubigen, auf welches sie jedoch auch nicht einfach verzichten können, weil die Sache selbst theologisch gebunden ist.

So müssen wir uns in der Kirche aber auch tatsächlich selbstkritisch der Frage stellen, ob nicht doch auch in der Kirche das eine oder andere Gesetz (sowohl auf universalkirchlicher Ebene, als auch auf partikularrechtlicher Ebene, wie etwa in manchen diözesanen Pfarrgemeinderatsordnungen u.ä.) Eingang gefunden hat, welches der Theologie eigentlich entgegensteht oder diese zumindest nicht in hinreichender Weise umsetzt?

Recht ist etwas nicht deshalb, weil es im Recht steht, sondern im Recht soll stehen was rechtens ist.

Das Kirchenrecht konkurriert nicht mit der Pastoral

Oftmals wird von Privaten wie auch von Priesterzusammenschlüssen suggeriert, das Kirchenrecht stünde in Konkurrenz zur Pastoral, gleichsam als ob die Pastoral für, das Kirchenrecht hingegen gegen die Menschen arbeite und eine unnötige Hürde sei, welche man ihnen aufstelle. Diesen Vorwurf trifft man besonders häufig dort, wo unter “Pastoral” eine rein innerweltliche “Versorgungskirche” verstanden wird, welche durch ihr Angebot der individuellen Nachfrage nachkommen solle, gleichsam als ob man von der Kirche Dienstleistungen und Aussagen “kaufen” könnte.

Abermals sehen wir, dass in einer solchen Vorstellung die Kirche nicht von der Theologie her gedacht wird sondern von der Soziologie, wodurch sich von vorne herein falsche Schlüsse ergeben müssen. Ebenso scheint besonders in diesen Kreisen eine sich in die Ewigkeit hinein erstreckende Wirklichkeit zunehmend fremd zu werden, so dass man teils gar nicht mehr mit dem Gericht Gottes rechnet, welches in ewigem Heil und Verdammnis gipfelt, und für dessen guten Ausgang auch ein gutes (sakramentales) Leben und ein rechtes (kirchliches) Glauben Voraussetzung sind. Genau dafür will jedoch das Kirchenrecht eine Hilfe bieten, sowohl generell für die Gesamtheit der Gläubigen, als auch individuell für jeden einzelnen Fall.

Eine gute Pastoral aber zielt nicht auf die blosse Stillung momentaner Bedürfnisse ab, sondern zielt sozusagen in die Ferne, nämlich auf die Bedürfnisse in der Ewigkeit, auf welche sie vorbereiten muss: der gute Hirte ist stets bemüht, seine Schäfchen in den trockenen und sicheren Stall zu bringen. Das Kirchenrecht möchte aber genau dies sicherstellen: es möchte, um im Bild zu bleiben, die Schäfchen vor den Hirten schützen, welche ihnen momentan zwar alles durchgehen lassen, die dafür aber nicht mehr rechtzeitig den rettenden Stall erreichen, und die somit ihrem Hirtenamt nicht entsprechend nachkommen.

Deshalb ist die Anwendung des kirchlichen Rechtes eine zutiefst pastorale Tat, das Recht minderzuachten, zu vernachlässigen oder zu negieren würde bedeuten, ein schlechter Hirte zu sein, die ihm von der Kirche übertragenen Aufgaben zu vernachlässigen und somit zutiefst unpastoral zu handeln. Im momentanen Wollen einzelner verhaftet zu bleiben wäre oberflächlich und nähme den ernsten Anspruch, welchen das Evangelium an uns stellt –auch im Hinblick auf das Gericht – auf die leichte Schulter. Das Kirchenrecht ist deshalb nicht in Konkurrenz zur Pastoral stehend, sondern gerade deren Hilfsmittel. Denn pastoral zu handeln bedeutet nicht, jedem ungeprüft das zu sagen, zu geben oder zu machen wonach er verlangt, sondern bedeutet das zu tun, was der wahren Lehre der Kirche entspricht und ihm somit zum Heile gereicht, auch wenn das nicht immer das ist, was sich die betreffenden Personen gerade wünschten.

Das Kirchenrecht müsste wieder vermehrt Anwendung finden

Gerade auch aus den eben genannten Gründen müssten wir wieder zu einer neuen Rechtskultur zurückfinden. Derzeit ist die Tendenz nämlich leider eher dahingehend, dass man das kanonische Recht insgeheim nicht mehr anwendet, und teilweise ruft man gar offen zu dessen Missachtung und Übertretung auf – und das, ohne dass daraus Konsequenzen folgen würden.

Ist ein Unrecht jedoch erst einmal zur Gewohnheit geworden, dann ist es um so schwieriger, die Fehler wieder zu korrigieren. Das ist besonders dann der Fall, wenn beispielsweise ein Priester neu in eine Pfarre kommt, wo bislang liturgische Missbräuche begangen wurden, oder wenn sein Vorgänger Leitungskompetenzen “geteilt” oder gar ganz abgegeben hat. Beruft er sich dann auf Theologie und Recht, so kann es durchaus vorkommen, dass ihm das zur Last gelegt wird und er deshalb Vorhaltungen bekommt.

Eine falsch verstandene Nachsicht, welche die Sachen einfach laufen lässt, so dass sich Missstände und Irrlehren ungehindert ausbreiten können, ist kein Akt der Barmherzigkeit, sondern kann schwerwiegende Langzeitfolgen nach sich ziehen, Kirchenspaltungen mit eingeschlossen.

Die Leidtragenden sind schlussendlich diejenigen, welche den vollständigen, unverkürzten und ungeteilten Glauben der Kirche begehren, welche aber, aus welchen Gründen auch immer, nicht die Kraft, den Mut oder die inneren oder äusseren Möglichkeiten haben, ihre natürlich angelegten Rechte auch einzufordern. Leider kann man nicht leugnen, dass sich auch in der Kirche mitunter eine Mentalität breitgemacht hat, welche die Schwäche mancher (oder auch deren Gutmütigkeit) ausnutzt, ganz nach dem Motto “mit denen kann man es ja machen, die wehren sich ja eh nicht im Gegensatz zu den anderen”. Doch oft sind gerade diese die eigentlichen Beter und tragenden Säulen der Pfarreien, auch wenn sie oft schwach und still erscheinen.

Deshalb wäre es das Gebot der Stunde, das Kirchenrecht, welches ja zur Sicherstellung der Ehre Gottes sowie zum Wohle der Gläubigen erlassen worden ist, wieder neu und ganz von der Theologie her kommend bedacht wird. Wir müssen einen neuen, positiven Zugang zum Kirchenrecht schaffen, dessen Sinn und dogmatischen Hintergründe aufzeigen –weshalb nicht auch das Kirchenrecht in die Katechesen und die Predigten mit einbeziehen?- und vor allem den Gläubigen bewusstmachen, dass ihnen hier wirklich eine Hilfe gegeben ist, an welche sie appellieren können.

Vatikan Codex des Kanonischen Rechtes
Vatikan: Kongregation für den Klerus
Kongregation für die Glaubenslehre

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