Ostsibirien

Kirche verkündet das Evangelium in den unendlichen Weiten der Taiga

Als Informationsbeauftragte von Kirche in Not Schweiz/Fürstentum Liechtenstein reiste ich Anfang Juni zusammen mit Peter Humeniuk, dem Russland-Referenten von Kirche in  international, durch die ostsibirische Diözese St. Josef. Es ist das flächenmässig grösste Bistum. Zwischen Irkutsk und Wladiwostok besuchten wir katholische und orthodoxe Geistliche und Gläubige. Wir überzeugten uns vor Ort von der Notwendigkeit der Unterstützung von Projekten für die katholische und orthodoxe Kirche. In den Weiten Sibiriens machten wir viele spannende Begegnungen, so trafen wir ein Dorf, in dem nur Polen leben und machten Bekanntschaft mit der Kultur der Burjaten.

von Lucia Wicki-Rensch

Im Dorf Vershina leben rund 150 Familien polnischer Abstammung.

Die Vorfahren kamen unter Katharina der Grossen freiwillig nach Ostsibirien, dies im Gegensatz zu den vielen Deportierten Europäern während der Zeit des 2. Weltkriegs. Unter dem Kommunismus wurde mehr als 60 Jahre keine katholische Messe gefeiert. Die Grossmütter haben den Glauben aber bewahrt und ihn über all die Jahre heimlich weitergeben.

Verwahrloste Kinder

Über typische sibirische Überlandstrassen, die im Sommer voller Schlamm und im Winter gefroren und schneebedeckt sind, erreichen wir das polnische Dorf Vershina. Die Leute waren begeistert als 1992 wieder ein Gottesdienst in der Kirche gefeiert wurde. Die Kirche wurde während der Sowjetzeit von einem Sportclub benutzt. Mit Geldern von Kirche in Not wurde sie in den 1990er-Jahren wieder Instand gesetzt. Heute wirkt dort ein pensionierter polnischer Pater, der die Liturgie auf Polnisch liest. Während des Gesprächs mit dem Pater kommt ein kleines Mädchen vor die Kirche. Es trägt abgenutzte Kleider, nähert sich aber neugierig dem vertrauten Pater und den Fremden. Der Pater erklärt, dass die Eltern des Mädchens dem Alkohol verfallen seien. In der Nacht davor klopfte das Mädchen bei ihm an die Tür, da es Hunger hatte. Die Eltern waren so betrunken, dass sie vergassen, dem Kind zu Essen zu geben.

Der Pater fasst das Problem in einem Wort zusammen: “Wodka!” Er ist davon überzeugt, dass die Anwesenheit der Kirche die Gesellschaft bereichert und den Menschen einen Lebenssinn vermittelt, den viele momentan leider nicht sehen, weshalb sie zur Flasche greifen. Er sieht dies als ein Erbe des Kommunismus – über Jahrzehnte wurde den Menschen diese zerstörerische Ideologie eingetrichtert.

Bischof Cyril Klimowicz

Abgesehen vom polnischen Dorf Vershina ist die katholische Kirche vor allem in den grossen Städten in Ostsibirien präsent: Krasnojarsk, Irkutsk, Jakutsk, Blagowensk, Magadan, Chabarovsk, Wladiwostok, Juschno-Sachalinsk und Kamchatka. In Irkutsk ist Cyril Klimowicz Bischof. Seine Diözese ist mit 9.960.000 km² die grösste der Welt. In diesem Gebiet leben rund 15.5 Millionen Menschen, von denen rund 52 000 Katholiken sind. Cyril Klimowicz wirkt seit 9 Jahren als Bischof in Irkutsk. Die riesigen Distanzen in seinem Bistum stellen ihn vor grosse Herausforderungen. Er erklärt, dass er Distanzen bis 1 000 km mit seinem Auto zurücklegt, für längere Distanzen aber auf das Flugzeug angewiesen ist. So wird verständlich, warum Kirche in Not die Kirche in Sibirien bei den Pastoralreisen und Motorisierung unterstützt.

Der Bischof ist engagiert und bescheiden. Die Gläubigen seines Bistums schätzen ihn sehr. Seine unkomplizierte Art zeigt sich auch darin, dass er im Exerzitienhaus (Zentrum Johannes Paul II.), das in Listvjanka am Baikalsee liegt, bei der Erweiterung selbst mithilft. Der Bischof ist geübt im Umgang mit Säge und Holz. Im Sommer finden Sommerlager für Jugendliche statt, sonst Exerzitien für Erwachsene und Diözesantreffen. Für den Bischof ist die ländliche Umgebung ein guter Kontrast zum Leben in der Grossstadt Irkutsk, wo er sich mit einer Kathedrale herumschlagen muss, die obwohl erst wenige Jahre alt, baufällig ist. Architekten entschieden sich für einen notwendigen Renovierungsplan.

Auf der Rückreise nach Irkutsk gibt es am Strassenrand immer wieder Bäume und Holzhütten, die mit Stoff behangen sind. Bischof Klimowicz erklärt, dass dies Formen des Schamanismus sind, die vor allem von der sibirischen Urbevölkerung, den Burjaten, nach wie vor gepflegt werden. Bäume vermitteln zwischen der Ober-und Unterwelt. Abgesehen vom Schamanismus gehören viele Burjaten der Russisch-Orthodoxen Kirche und dem Buddhismus an.

Wladiwostok und Juschno-Sachalinsk

In Wladiwostok endet die Transsibirische Eisenbahn. Wichtiger als die Eisenbahn ist heute aber der Warenaustausch auf dem Seeweg. Über Wladiwostok werden die meisten Autos aus Korea und Japan nach Russland gebracht. Der rege Handel beschert vielen Menschen der Stadt einen gewissen Lebensstandard.

Wir trafen den jungen Russisch-Orthodoxen Bischof Innokentij, Vikarbischof in Wladiwostok. Der Bischof erklärt, dass 1922 alle Kirchen in der Stadt von den neuen politischen Machthabern konfisziert oder zerstört worden sind. 1975 wurde ein Kirchengebäude der Kirche für Gottesdienste zurückgegeben. Nach dem Ende der Sowjetunion hat sich die Situation weiter entspannt. Dennoch ist die Russisch-Orthodoxe Kirche über die Unterstützung von Kirche in Not sehr dankbar. Bischof Innokentij dankt alle Wohltätern: “Es ist für uns eine grosse Freude, dass Westeuropäer Anteil an der Wiedergeburt Russlands nehmen. Die Zusammenarbeit zwischen der Römisch-katholischen und Russisch Orthodoxen Kirche ist eine Bereicherung für alle.” Bischof Innokentij pflegt ein gutes Verhältnis Bischof Klimowicz und arbeitet auch mit ihm zusammen. Kirche in Not unterstützte die katholische Kirche in Russland 2011 mit rund 1,9 Millionen CHF und die Russisch Orthodoxe Kirche mit 850 000 CHF.

Wie wichtig gut funktionierende Kirchen sind, zeigt sich an den grossen Gegensätzen der Gesellschaft. Staatliche Stellen kümmern sich kaum um verwahrloste Kinder und um alleinerziehende Mütter. Gerade für diese Bevölkerungsgruppen ist eine Kirche, die ihnen beisteht und Hoffnung schenkt, absolut nötig. Dass aber auch besser gestellte Menschen ein Bedürfnis nach Gott haben, zeigt sich auf der Insel Sachalin. Die Insel war bis 1991 militärisches Sperrgebiet. Noch heute gibt es Spannungen um die Insel mit Japan und auch um die Inselgruppe der Kurilen. Ein Grund für die Diskussionen zwischen Japan und Russland bilden die grossen Erdölvorkommen in der Region. Auf Sachalin leben viele westliche Ölexperten, die für internationale Erdölfirmen arbeiten.

Seit knapp 10 Jahren existiert wieder eine katholische Gemeinde in der Stadt Juschno-Sachalinsk. Der polnische Pater Tomasz Rafalak ist seit drei Jahren der Seelsorger der Pfarrei. Zusammen mit drei Mutter-Teresa-Schwestern kümmert er sich um die rund 500 Katholiken, von denen rund die Hälfte Ausländer sind. Wie sehr er sich mit der Gegend identifiziert zeigt auch, dass er neben Polnisch, Russisch und Englisch auch Chinesisch spricht und dabei ist, Japanisch zu lernen. Obwohl er am Ende der Welt wirkt, will er nicht zurück nach Polen. Zu sehr hat er Land und Leute in sein Herz geschlossen.

Wunden der Vergangenheit

Irgendwie kann ich Pater Tomasz verstehen. Nach dieser intensiven Woche durch den Osten Sibirens schloss ich diese Gegend ebenfalls in mein Herz. Die Herzlichkeit der Menschen und ihre Dankbarkeit für das Wirken der Kirche überraschten mich und zeigten mir, dass es wichtig ist, die Kirchen in Russland zu unterstützen. Obwohl der Kommunismus seit mehr als 20 Jahre vorbei ist, sind seine Nachwirkungen in den Menschen noch immer tief verwurzelt. Gerade die Kirchen können den Menschen Sinn und Hoffnung schenken. Helfen Sie, damit wir auch in Zukunft helfen können!

Kirche in Not.ch

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