Vandalismus ist erst der Anfang

Diskriminierung von Christen in Europa?

Wiener Dokumentationsarchiv legt Report 2011 über Intoleranz gegenüber und Diskriminierung von Christen in Europa vor.

Die Tagespost, 21.03.2012, von Johannes Seibel

Der Report umfasst 180 Fälle von Ausgrenzung von Christen aus dem sozialen und politischen Leben, Repressalien gegen christliche Symbole, Diffamierung, negative Stereotypisierung, Hassdelikte, Vandalismus und Schändung.

Diskriminierung von Christen in Europa? Möglicherweise liegt es daran, dass die meisten Menschen in deutschsprachigen Ländern immer noch eine volkskirchliche Sozialisation durchlaufen haben oder zumindest Teile ihrer Inhalte kennen, dass sie dieses Phänomen kaum wahrnehmen oder für möglich halten. Sie werden staunen, wenn sie den Report 2011 über antichristliche Stimmungen in Europa lesen, den am Dienstag die österreichische Nicht-Regierungsorganisation “Observatory on Intolerance and Discrimination against Christians in Europe” herausgegeben hat. Zu deutsch lautet der Titel dieser Organisation in etwa: “Dokumentationsarchiv von Intoleranz und Diskriminierung gegenüber Christen in Europa”.

Den Report fasst die Leiterin des Archivs, Gudrun Kugler, mit den Worten zusammen: “Studien zeigen, dass 85 Prozent aller ,Hassdelikte‘ gegen Christen gerichtet sind. Diese Tatsache darf in der öffentlichen Debatte nicht verschwiegen werden.” Zudem führe eine “restriktive Auslegung von Gewissensfreiheit”, so Kugler, allmählich dazu, dass Berufe wie Standesbeamter, Arzt, Krankenschwester, Hebamme oder Apotheker für Christen schwerer auszuüben seien. Lehrer und Eltern gerieten in Schwierigkeiten, wenn sie mit einer “staatlich festgelegten Sexualmoral” nicht einverstanden seien.

Das Dokumentationsarchiv recherchierte und dokumentierte im Jahr 2011 nach eigenen Angaben 180 Fälle von Intoleranz und Diskriminierung gegenüber Christen. Diese Fälle könnten dabei unter die Kategorien Religionsfreiheit, Meinungsfreiheit, Gewissensfreiheit, diskriminierende Gleichstellungspolitik, Ausgrenzung von Christen aus dem sozialen und politischen Leben, Repressalien gegen christliche Symbole, Diffamierung, negative Stereotypisierung, Hassdelikte, Vandalismus und Schändung gefasst werden.

Wie eine negative Stereotypisierung beispielsweise funktionieren kann, illustriert das Dokumentationsarchiv für das Jahr 2011 am Beispiel des norwegischen Attentäters Anders Breivig. Dieser sei in der Berichterstattung sogleich als “christlicher Fundamentalist” etikettiert worden. Diese leichtfertig geäusserte und falsche Behauptung wurde weltweit von den Medien übernommen. “Anti-christliche Vorurteile fühlten sich offenbar durch ein postuliertes christliches Äquivalent zum islamischen Terrorismus endlich bestätigt”, heisst es in dem Bericht.

Statistische Zahlen aus dem Bericht zeigen an, in welche Richtung mit Blick auf Diskriminierung und Intoleranz in Europa sich die Situation von Christen verändern kann. Danach meinen beispielsweise 74 Prozent der in Grossbritannien befragten Kirchgänger, dass Christen häufiger als Anhänger anderer Religionen diskriminiert werden. In Schottland seien sogar 95 Prozent aller anti-religiös motivierten Gewalttaten gegen Christen verübt worden. Die Statistiker hätten einen Anstieg dieser Aggressionen gegen Christen um zehn Prozent von 2009 zu 2010 gemessen. Dass dies in England nicht allein eine christliche Wahrnehmung ist, belegt auch ein Zitat, das der Report vermerkt, und in dem sich die Ministerin Sayeeda Hussain Warsi, britisch-pakistanische Muslimin und jüngstes Mitglied des britischen Oberhauses, am 1. November 2011 so äusserte: “Wir müssen ein Land schaffen, in dem die Menschen ungeniert stolz auf ihren Glauben sein können, wo sie das Gefühl haben, ihren Glauben nicht verstecken zu müssen. Wir müssen stolz auf das Christentum sein, nicht es herabstufen.” Auch Lord Chris Patten, früherer Kommissar der Europäischen Union, wird entsprechend zitiert, als er am 12. April 2011 sagte: “Es ist bemerkenswert, wie intolerant sich die Atheisten gegenüber Gläubigen verhalten.” Der Chefrabbiner der jüdischen Gemeinschaft in Grossbritannien, Rabbi Lord Sacks, wird ebenfalls als Beleg für bedenkliche Tendenzen in dem Report herangezogen. Er äusserte nämlich am 4. Juli 2011: “Der Versuch, das derzeitige System von Gleichheit und Antidiskriminierung Religionsgemeinschaften aufzuzwingen, bedeutet eine Erosion religiöser Freiheit.”

Weiter fanden die Rechercheure des Dokumentationsarchivs beispielsweise heraus, dass 84 Prozent des Vandalismus in Frankreich sich 2010 gegen christliche Gebetsstätten richteten. Insgesamt seien 544 Taten registriert worden. 214 Mal seien 2010 in Frankreich christliche Friedhöfe geschändet worden, 272 Mal Kirchen und Kapellen, 26 Mal Gedenkstätten und zehn Mal Kreuze oder Kalvarienberg. Dabei sind nach den Angaben des Reports 2009 noch 389 solcher Schändungen gemeldet worden, 2008 erst 266, was innerhalb von zwei Jahren beinahe eine Verdoppelung bedeutet. Jacque Remiller, Mitglied des französischen Parlamentes, kommentierte diese Entwicklung am 23. November 2011 mit den Worten, was ebenfalls in dem Bericht der Wiener Dokumentationsstelle zitiert wird: “Auch unser Land wird nicht verschont. Ein Kruzifix und drei Marienstatuen sind innerhalb von zehn Tagen in einem und denselben Departement geschändet worden. Abgesehen von dem Kunstfrevel wird in Frankreich zu oft ohne Respekt mit dem umgegangen, was uns seit Jahrhunderten eigentlich heilig war. Es gibt auch bei uns Christianophobie.”

Allein diese Zahlen und dieses Zitat belegen angesichts der aktuellen Tragödie in Frankreich, in der vor einer Schule vier Menschen jüdischen Glaubens von einem Attentäter erschossen wurden, der vermutlich noch weitere Gewalttaten beging, dass das Thema der Intoleranz und Diskriminierung religiöser Gemeinschaften eines ist, das in die Mitte der gesellschaftlichen Debatte gehört – nicht allein in Frankreich.

Allerdings vermeldet der Report 2011 der österreichischen Nicht-Regierungsorganisation “Oberservatory on Intolerance and Discrimination” aus deren Sicht auch Erfolge: So etwa die Resolution der Parlamentarischen Versammlung der OSZE im vergangenen Jahr, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, eine öffentliche Debatte über Intoleranz und Diskriminierung von Christen in Gang bringen zu wollen. Oder der Fall “Lautsi”, bei dem im vergangenen Jahr der europäische Menschengerichtshof ein Urteil einkassierte, wonach Kruzifixe in staatlichen Schulen in Italien eine Indoktrinierung darstellten. Und als jüngsten Erfolg für die Freiheit der Erziehung, des Gewissens und der Religion vermeldete Gudrun Kugler, dass die spanische Regierung am 31. Januar diesen Jahres die Pläne stoppte, ein Fach “Bürgerkunde” einzuführen, gegen das 55 000 Eltern Einspruch eingelegt hatten.

Der Report kann in Englisch im Internet heruntergeladen werden unter www.intoleranceagainstchristians.eu

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