Getarnte Wirtschaftsförderung

“Jedes Leben hat den gleichen Wert”

Die Tagespost, 27.01.2012, von Stefan Rehder 

Warum die “Bill & Melinda Gates Foundation” Programme zur Familienplanung künftig noch stärker fördern will als bisher.  

“Jedes Leben hat den gleichen Wert.” So lautet das Motto der grössten privaten Stiftung der Welt. Gegründet 1999 vom ehemals reichsten Mann der Welt, Microsoft-Gründer Bill Gates, verfügt die “Bill & Melianda Gates Foundation” heute über ein Stiftungskapital von 36,3 Milliarden US-Dollar. Und auch das übrige Zahlenwerk beeindruckt. So hat die von Bill und Melinda Gates persönlich geleitete Stiftung seit ihrer Gründung Fördergelder in Höhe von 24,81 Milliarden US-Dollar vergeben, davon 2,6 Milliarden allein im Jahr 2010. An ihrem Hauptsitz in Seattle im US-Bundesstaat Washington sowie in weiteren Büros in Washington D.C., Delhi, Peking und London beschäftigt die Stiftung inzwischen rund 1 000 Angestellte.

In Medienberichten wird überwiegend das Engagement der Stiftung bei der Bekämpfung von HIV hervorgehoben. Dabei ist die Förderung von Programmen, die der Ausbreitung des AIDS-Virus den Kampf angesagt haben, nur ein kleiner Bestandteil eines viel umfassenderen Programms, das sich die “Bill & Melianda Gates Foundation” auf die Fahne geschrieben hat, und das nicht weniger als die “Verbesserung der Weltgesundheit” zum Ziel hat. Allein im Jahr 2009 vergab die Stiftung zu diesem Zweck Fördermittel in Höhe von 1,49 Milliarden US-Dollar. Gefördert wurden dabei bislang nicht nur Programme, mit denen in Entwicklungsländern Krankheiten wie Polio, Malaria, HIV/AIDS und Tuberkulose sowie der Medinawurm und die Flussblindheit bekämpft werden sollen, sondern auch Programme der Familienplanung.

Zum Vergleich: Für Programme zur Bekämpfung der Armut, die einen eigenen Bereich der Arbeit der Stiftung bildet, und über die die Berichte der Stiftung immer an erster Stelle Rechenschaft ablegen, vergab die Organisation zuletzt Fördermittel in Höhe von 490 Millionen US-Dollar. Verglichen mit staatlichen Programmen zur Bekämpfung der Armut sind die von der Stiftung geförderten Programme dabei erstaunlich “kreativ”. Sie sollen, wie es in einer Selbstdarstellung der Stiftung heisst, “den Menschen in Entwicklungsländern die Möglichkeit” geben, “der Armut zu entrinnen, indem sie Geld an einem sicheren Ort zurücklegen, ihr Land effektiver bebauen und wertvolle Informationen online abrufen können”. So geht es bei Armutsbekämpfung nicht nur um die Unterstützung von Kleinbauern oder die Verbesserung der Wasserqualität, sondern auch um die Einführung und Verbreitung “bezahlbarer Finanzdienstleistungen” sowie den Auf- und Ausbau öffentlicher Bibliotheken mit Computer- und Internetzugang.

Damit nicht genug: Künftig will die Stiftung der Förderung von Programmen zur Familienplanung offenbar noch mehr Bedeutung als bisher beimessen. Denn wie Bill Gates in einem persönlich verfassten Schreiben ankündigt, werde sich seine Frau ab diesem Jahr bei ihrer Stiftungsarbeit vor allem “auf die Familienplanung konzentrieren”, um “Frauen die Mittel zur Verfügung zu stellen, die sie benötigen, um zu planen, wie viele Kinder sie haben möchten und wann”. Melinda werde, so Gates weiter, “viel darüber sprechen, wie die Möglichkeiten zur Planung das Leben der Frauen und ihrer Familien verändern und damit die gesamte Gesellschaft verbessern”.

Dabei geht es letztlich um Wirtschaftsförderung. Denn in dem mehr als 20 Seiten umfassenden “Jahresbrief von Bill Gates 2012”, der ausser in Englisch auch in chinesischer, arabischer, französischer, spanischer und deutscher Sprache erhältlich ist, bezeichnet es der aktuell zweitreichste Mann der Welt als “eine erstaunliche Sache”, “dass der Wunsch von Eltern, ihren Kindern alles zu geben, einen grossen Einfluss auf die nationale Wirtschaft hat”. Vor der Weltbank habe, so Gates weiter, seine Frau kürzlich über die Chance der Entwicklungsländer gesprochen, “von der sogenannten demografischen Dividende zu profitieren”. Hinter diesem Begriff verbirgt sich die Vorstellung, dass Staaten in Ländern, in denen die Eltern weniger Kindern haben, mehr Geld in die “Bildung und Ausbildung junger Menschen investieren können”. Wenn diese jungen Menschen nun das erwerbsfähige Alter erreichten, dann “steigern sie die Produktivität und das Wirtschaftswachstum”. In seinem Schreiben bezeichnet Gates “Südkorea und Thailand” als “zwei aktuelle Beispiele dafür, wie Länder, die diese Grundsätze verstehen und anwenden ihre Volkswirtschaften schnell verändern können”.

Laut Gates wird die Weltbevölkerung, die gerade die 7-Milliarden-Marke überschritten habe, in den “nächsten 40 Jahren” voraussichtlich um “0,8 Prozent pro Jahr” auf “9,3 Milliarden” wachsen. Dabei werde sich “die Bevölkerung der meisten armen Länder, die es bei der Ernährung und Bildung ihrer Bürger am schwersten haben, zwischen heute und 2050 mehr als verdoppeln”. Gates: “Wenn wir uns die Bevölkerung nach Kontinenten heute und 2050 anschauen, sehen wir, dass sich die Bevölkerung von Afrika mehr als verdoppeln wird (von 1 auf 2,2 Milliarden), während die Bevölkerungszahlen in Asien und Amerika um etwa 25 Prozent anwachsen und in Europa nahezu gleichbleiben.” Auf Länderebene ergebe sich “ein noch eindeutigeres Bild”. So werde etwa “die Einwohnerzahl von Nigeria, dem bevölkerungsreichsten Land Afrikas, von 163 auf 392 Millionen – also um 140 Prozent – anwachsen”. Dies werde “das Leben der Menschen in diesem sehr armen Land wahrscheinlich noch schwieriger machen”. Er und seine Frau seien aber überzeugt, dass das Bevölkerungswachstum “in Ländern wie Nigeria sehr viel geringer ausfallen wird”, wenn die “richtigen Schritte unternommen” würden. So gut wie “alle globalen Programme” ihrer Stiftung konzentrierten sich deshalb “auf Ziele, die dies unterstützen”, schreibt Gates. Wie der “Philanthrop” (Bill Gates über Bill Gates) ferner ausführt, gäben weltweit “mehr als 200 Millionen Frauen an, dass sie in den nächsten zwei Jahren kein Kind bekommen möchten”, verwendeten “aber dennoch keine Verhütungsmittel”. Gates: “Wenn Familien, die den Zeitraum zwischen zwei Geburten verlängern oder weniger Kinder bekommen möchten, Zugang zu den richtigen Mitteln hätten, würden zwei Dinge passieren: Erstens hätten es die Familien leichter, den Herausforderungen der Armut zu begegnen. Zweitens wären die Regierungen durch den allmählichen Rückgang der Bevölkerungszahlen in der Lage, die Bedürfnisse aller Menschen besser zu erfüllen.” Dabei wollen der Microsoft-Gründer und seine Frau nicht bloss die im Westen gebräuchlichen Kontrazeptiva verteilen. Dem Ehepaar schweben viel nachhaltigere Methoden vor. So schreibt Gates: “Die Mittel, die sich im Afrika südlich der Sahara wahrscheinlich am ehesten durchsetzen würden, sind Implantate oder Injektionen, nicht die oralen Kontrazeptiva, die in den Vereinigten Staaten so populär sind.” In Indonesien, schwärmt der “Philanthrop” habe man “Implantate bereits für eine breite Masse verfügbar gemacht”, die heute von mehr als 1,7 Millionen Frauen genutzt würden. Bereits in der Vergangenheit habe seine Stiftung geholfen, “die Qualitätssicherung für ein kostengünstigeres Implantat, Sinoplant II, zu finanzieren, das heute in mehr als 17 Ländern registriert ist und 60 Prozent weniger kostet als die Alternativen.”

Frauen werden für fünf Jahre faktisch steril

Laut der “Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung” (BZgA) verhindern Hormonimplantate wie Sinoplant II “einerseits den Eisprung”, andererseits veränderten sie die Gebärmutterschleimhaut so, dass “das Eindringen von Samenzellen in die Gebärmutter verhindert” werde. Dazu setzt Sinoplant II, das den Frauen wie alle Implantate in der Regel “unter der Haut an der Innenseite des Oberarms eingepflanzt” wird, das Hormon Gestagen frei. Faktisch werden die Frauen damit über einen Zeitraum von fünf Jahren steril. Wie Gates weiter schreibt, glauben er und seine Frau, “dass auch Injektionen günstiger werden können. Ausserdem könnten sie eine längere Wirksamkeit haben und so angeboten werden, dass die Frauen sie sich selbst verabreichen können.” Es sei zwar eine “grosse Anzahl von Schritten erforderlich, um für neue Mittel eine Zulassung zu bekommen, sie herzustellen und sie den Frauen so nahezubringen, dass sie fundierte Entscheidungen zur Verhütung treffen können”. Aber wenn diese Schritte getan würden, sei das Ergebnis klar: “gesündere Mütter und Kinder und wohlhabendere Nationen”. Vielleicht sollte sich die “Bill & Melinda Gates Foundation” ein neues Motto zulegen. Denn das derzeitige ist entweder ein Etikettenschwindel oder aber extrem erklärungsbedürftig.

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