Der Besuch von Benedikt XVI. in Rebibbia ist ein Zeichen der Zeit

Justizminister und Gefängniskaplan begrüssen den Papst bei seinem Pastoralbesuch

Rom, 19. Dezember 2011, zenit.org

“Eure Heiligkeit, ich kann nicht verheimlichen, dass ich über alle Massen bewegt bin. Ich heisse Sie herzlichst an diesem Ort des tiefen Leidens willkommen.” Mit diesen Worten empfing am Sonntagmorgen die Justizministerin Paola Severino Papst Benedikt XVI. in der Vaterunser-Kapelle der römischen Strafanstalt Rebibbia.

Die Ministerin erklärte, der Pastoralbesuch des Papstes nur wenige Tage vor der heiligen Weihnacht “ist für uns ein Grund zu erneuten Überlegungen bezüglich der Gefängnissituation und der Lebensumstände der Menschen, die in Justizvollzugsanstalten einsitzen.”

Die Parlamentsabgeordnete Severino machte auf die zahlreichen Daten aufmerksam, die mittels “trockener numerischer Quantifizierungen” die ausserordentlich schwierigen Umstände und Probleme, unter denen die Gefängnisinsassen in Italien leben, zusammenfassen – “Menschen, die in ihren Herzen Erfahrungen, Leid und Hoffnung tragen.”

In diesem Zusammenhang las die Justizministerin in Gegenwart des Heiligen Vaters einen Brief vor, der ihr bei einem Besuch der Haftanstalt in Cagliari von einem Häftling überreicht worden war, und der ein ergreifendes Zeugnis der prikären Lebensumstände ist.

“Kontakt mit Menschen, die in Gefängnissen inhaftiert oder in psychiatrischen Kliniken eingewiesen sind, aufzunehmen, bedeutet Kontakt mit einer Welt des Leidens, der Einsamkeit, der Demütigung aufzunehmen; diejenigen, die um Gehör, Verständnis, Respekt und vor allem brüderlichen Geist bitten, dürfen nicht ignoriert oder vergessen werden”, so der Text.

“Es ist traurig und frustrierend, Fehler gemacht zu haben”, las die Justizministerin weiter vor, “denn früher oder später stellt man sich selbst in Frage; man zweifelt an den eigenen Fähigkeiten, aufzuholen und sich wieder eingliedern zu können, und schliesslich ist man davon überzeugt, dass man nicht in der Lage ist, sein Leben zu ändern. An diesem Punkt verliert man die Hoffnung, als wertgeschätzte Person akzeptiert zu werden; man ist für immer mit einem Makel behaftet, und man verliert die Kraft zu leben.”

Der Brief endet mit dem Appell: “Wenn wir unseren Brüdern helfen, das Boot über den Fluss zu setzen, erreicht auch unser Boot das Ufer.” Eine Sinnbild, das darauf verweist, dass es heutzutage nicht darauf ankommt, lediglich die eine oder andere gute Tat zu vollbringen, “sondern Gerechtigkeit walten zu lassen, indem man in der Gesellschaft, die so überaus  verschwenderisch ist, ‚Platz macht‘ für diejenigen, die am Rande leben, denn auch wir sind Bestandteil dieser unserer Gesellschaft.”

Nach dem Beitrag der Parlamentsabgeordneten Paola Severino folgte die Begrüssung durch den Gefängniskaplan von Rebibbia, Pater Pietro Sandro Spriano. Dieser berichtete zu Beginn von einem persönlichen Traum, in dem Benedikt XVI. am 15. August, am Festtag Mariä Himmelfahrt, “ganz ohne Geleitschutz und Insignien” in die Vaterunser-Kirche nach Rebibbia kommt, um das Hochfest Mariä Himmelfahrt zu feiern und sich dann in die verschiedenen Gefängnissabteilungen begibt, um allen Ausgestossenen, Drogenabhängigen und ausländischen Insassen dieser Mauern “ein Wort des Lebens” zu bringen.

“Ich wache aus meinem Traum auf,” fuhr der Priester fort, “und ich sehe, dass Sie, Heiliger Vater, tatsächlich bei uns zu Besuch sind. Wir können uns nun selbst davon überzeugen, dass Sie, unser Hirte und Bischof, uns kennen lernen, uns zuhören und uns lieben möchten.”

Pater Spriano sprach gleich im Anschluss ein Gebet, auf dass durch die Fürsprache des Papstes “sich der Wunsch und die Sehnsucht nach Versöhnung in die Herzen der hier anwesenden Menschen, der 1700 Häftlinge, die über die Fernseher in ihren Zellen zuhören,  und in die Herzen aller Gefangenen Italiens und der Welt einpflanzen möge.” Eine Versöhnung mit sich selbst, mit der Gesellschaft, vor allem aber mit Gott, dem Vater, der das letzte Ziel nach dem Tod sei, die Auferstehung Jesu Christi und die Erlösung.

Der Kaplan bat Benedikt XVI. auch “inständig darum”, alle Christen, die außerhalb dieser Mauern das Volk Gottes bilden, “davon zu überzeugen” für die Gefangenen zu beten: „Männer, Frauen, Kinder und Alte, die Fehler gemacht und Sünden begangen haben, so wie wir alle Fehler machen und sündigen”, aber die dennoch “Kinder Gottes bleiben und Trost und Liebe brauchen.”

Es folgte die Bitte um Vergebung im Namen aller Häftlinge, die anderen Männern und Frauen Unrecht und Leid zugefügt haben. “Doch wollen wir nicht immer mit unserer Fehlern und Untaten identifiziert werden”, erklärte Pater Spriano mit lauter Stimme. “Wir bitten darum, wieder in die Gesellschaft zurückkehren zu dürfen, ohne als ‚Monster des Bösen‘ gebrandmarkt zu sein.”

Der Priester erinnerte an den “Aufruf” der Bischöfe, der im Dokument “Evangelisierung und Zeugnis der Nächstenliebe” der Italienischen Bischofskonferenz veröffentlicht worden war: “Die Armen, die Kranken, die Fremden, die Gefangenen aufzunehmen bedeutet, ihnen Raum zu geben in der eigenen Zeit, im eigenen Zuhause, bei den eigenen Freundschaften, in der eigenen Stadt und in den eigenen Gesetzen.”

Schliesslich wurde an alle regierenden Politiker und Parlamentarier appelliert, in diesem “Zeichen der Zeit” des Pastoralbesuchs des Papstes die dringende Notwendigkeit zu erkennen, die Anforderungen der menschlichen Rechtsprechung mit denen der Barmherzigkeit und der Vergebung zu verbinden: “Kain und Abel gemeinsam zu retten, indem man den Mut zu Vergebung und Akzeptanz aufbringt und das Herz von Rachegefühlen befreit!”

Das Grusswort an den Heiligen Vater schloss mit dem Versprechen, Gebete aus dieser Gefängniskirche zu sprechen, die “von Leid geprägt, aber lebendig ist”, aus Gefangenen, Polizisten, Gefängnisleitern und Erziehern besteht, die “dem Wort Gottes lauschen und sich auf den Weg zu einem neuen Himmel und einer neuen Erde machen.”

[Übersetzung aus dem Italienischen von Sabrina Toto]

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Kategorien

Die drei Säulen der röm. kath. Kirche

monstranz maria papst-franziskus

Archiv

Empfehlung

Ausgewählte Artikel