“Gnade erfahren wir auch nicht mehr”
Ein Gespräch mit Bischof Anba Damian über die Situation der koptischen Christen
Die Tagespost, 04.11.2011, von Michaela Koller
Der ägyptische Kopten-Papst Schenuda III. hat am vergangenen Wochenende den Augsburger Friedenspreis erhalten, den sein Vertreter in Deutschland, Bischof Anba Damian, für ihn entgegennahm. Damian, Generalbischof der koptisch-orthodoxen Kirche in Deutschland, arbeitete bereits drei Jahre als Oberarzt in der Radiologie in Baden-Württemberg, bevor er seiner Berufung als Mönch nach Ägypten folgte. Die Sehnsucht nach der Eremitage wurde nicht erfüllt: Seit 1995 ist der Ägypter für gut 6 000 Kopten in Deutschland als oberster Repräsentant seiner Kirche verantwortlich. Michaela Koller sprach mit ihm über den derzeitigen Auswanderungsdruck auf seine Glaubensbrüder, über die Befürchtungen der in Deutschland lebenden Kopten und über deren Integration sowie seine Erfahrungen in der Ökumene.
Exzellenz, es heisst, dass die Auswanderung der Kopten aus Ägypten in den vergangenen Monaten seit Beginn des “Arabischen Frühlings” am Nil stark zugenommen hätte. Spüren Sie etwas davon hier in Deutschland?
Ich habe den Bericht eines ägyptischen Rechtsanwaltes gelesen, demzufolge 100 000 Kopten seit Beginn der Revolution das Land verlassen hätten. In Deutschland sehen wir keine allzu grosse Strömung von ägyptischen Christen ankommen. Aus einer offiziellen Quelle weiss ich, dass im August insgesamt 18 und im September 15 Kopten einen Asylantrag in Deutschland gestellt haben.
Wie reagieren hierzulande lebende Kopten auf die Ereignisse? In Ägypten zeigte sich die Gemeinschaft der Christen zunächst zurückhaltend gegenüber den Entwicklungen.
Die koptische Kirche weltweit bildet einen intakten Körper. Wenn ein Organ oder ein Glied leidet, leidet der ganze Körper. Wir sind zwar vom Heimatland rund 4 000 Kilometer entfernt, jedoch eng verbunden mit den Wurzeln, der Kultur. Unsere Angehörigen leben in Ägypten, deshalb sind wir in enger Verbindung. Das, was in Ägypten geschieht, erfahren wir hier. Die Kopten, die in Deutschland leben, sind sehr betroffen und traurig, ja verletzt, aber auch zornig. Anfang des Jahres ereignete sich in der Kirche der Heiligen in Alexandria ein grausames Bombenattentat, in das das Innenministerium in Kairo verwickelt war. [Gegen den früheren ägyptischen Innenminister Habib el-Adly wird wegen des Verdachts auf Verstrickung in den Terroranschlag auf Kopten in der Neujahrsnacht in Alexandria ermittelt; Anm. d. Red.] Und am 9. Oktober erfuhren wir von den Übergriffen der Armee auf unsere Glaubensbrüder, die sie mit Panzern überfuhren und mit scharfer Munition trafen. Das ist Staatsterrorismus. Das können wir nicht dulden. Die Ägypter in Deutschland sind nicht einfach zu beruhigen. Wir werden nicht aufhören unsere Stimme zu erheben, bis sich die Situation verbessert hat.
Der ägyptische Islamwissenschaftler und Jesuit Samir Khalil Samir sagte kürzlich, er rechne mit einem Wahlsieg der Islamisten, die sich auf verschiedene Wahlbündnisse aufgespalten haben. Was denken Sie und die Kopten in Deutschland über die aktuelle Entwicklung dort?
In Ägypten sehen wir drei wichtige Kräfte: Al Azhar, die älteste und grösste islamische Universität der Welt, die Übergangsregierung sowie die Armee. Letztere ist ein verlängerter Arm des Islams. Führende Kräfte im Militär sind Salafisten und Islamisten. Das ist nicht mehr zu übersehen. Die Realität hat gezeigt, dass die Armee nur islamische Pläne umsetzt. Wir sind darüber besorgt, dass die Kopten wie immer unterrepräsentiert werden. Wir hatten früher keinen Schutz per Gesetz, genossen jedoch die Gnade des Präsidenten. Heute haben wir noch immer keinen Schutz, aber Gnade erfahren wir auch nicht mehr. Wir sind sehr besorgt und fürchten, dass das alles auf eine Vertreibung der Christen hinauslaufen wird. Entweder sie treten zum Islam über oder sie verschwinden. Das ist auch das, was uns immer gesagt wird. Und einer der schlimmsten Akte ist die aktive Beteiligung der Armee an der Ermordung von Kopten.
Was fordern die Kopten für die Zukunft?
Die Christen möchten mit ihren muslimischen Mitbürgern gleichberechtigt leben, mit allen Rechten und Pflichten. Wir möchten nicht mehr als minderwertige Menschen betrachtet werden. Wir streben einen säkularen Staat an, in dem die Menschen bei Einstellungen aufgrund von Qualifikation beurteilt werden und nicht aufgrund ihrer Religion oder Konfession. Die Kopten möchten gerne, dass der Mensch die Freiheit hat, seine Religion oder Konfession zu wählen oder zu wechseln, ohne bestraft oder belohnt zu werden. Wir möchten, dass die Familien der Opfer der Anschläge entschädigt werden und fordern die Verfolgung der Täter. Die Scharia, die Hauptquelle der Gesetzgebung ist, besagt, dass ein Muslim nicht für eine Tat an einem Christen verfolgt werden darf. Die nach den Übergriffen am Maspero-Platz am 9. Oktober eingesperrten Kopten müssen befreit werden. Es kann nicht sein, dass unsere Mitchristen getötet und dann auch noch Unschuldige inhaftiert werden. Die Drahtzieher in hohen Positionen müssten eigentlich in Den Haag vor Gericht gestellt werden.
Lassen Sie uns über die Situation der Kopten hierzulande sprechen. Der koptische Geograph Fouad Ibrahim, der in Bayreuth lehrte, hat schon vor Jahren anhand zahlreicher Daten belegt, wie gut ägyptische Christen hierzulande integriert sind…
Ja, richtig. Die Kopten, die in Deutschland leben, zeigen sich als sehr integrationsfähig. Einige von ihnen haben schon besondere Leistungen erbracht. So war zum Beispiel der Projektleiter vom Berliner Hauptbahnhof ein Kopte. Einige ägyptische Christen haben auch schon das Bundesverdienstkreuz bekommen. Viele sind auch in den Parteien aktiv. Sie fühlen sich hier zu Hause. Für sie ist Deutsch wie eine Muttersprache geworden. Wir sehen uns nicht nur zur Loyalität, sondern auch als Brückenbauer zwischen den Kulturen verpflichtet. Wir haben auch die Liturgie auf Deutsch übersetzt. Wir pflegen auch sehr intensiv ökumenische Beziehungen.
Wie erleben Sie den Dialog mit der katholischen Kirche?
In dieser harten Zeit, die wir erleiden, zeigt sich, wer zu uns steht. Papst Benedikt XVI. hat absolut klare Worte der Solidarität gesprochen und sich für unsere Rechte eingesetzt. Ich habe mich in Freiburg während seines Deutschlandbesuchs auch persönlich dafür bedankt. Gerade vor wenigen Tagen habe ich durch die Apostolische Nuntiatur die Annahme des Dankes durch den Papst und seine Segenswünsche übermittelt bekommen. Wir sehen in dieser Zeit ehrliche, enge und treue Freunde in den Katholiken. Es gibt sogar viele Gemeinden in Deutschland, die jetzt Partnerschaften mit ägyptischen Gemeinden suchen.
Was empfehlen Sie der deutschen Regierung, die sehr viel Entwicklungshilfe an Ägypten zahlt, in dieser fragilen Situation?
Die Bundesregierung muss die Ernsthaftigkeit der Situation erkennen. Es kann nicht sein, dass eine Armee mit modernsten Waffen, die teilweise aus Europa geliefert wurden, so gegen die eigene Bevölkerung vorgeht, wie geschehen. Deutschland muss Kairo an die internationalen Vereinbarungen erinnern. Die Entwicklungshilfe muss an die Situation der Menschenrechte gekoppelt werden.
Wie beurteilen Sie denn die Rolle der Medien in der Berichterstattung über den 9. Oktober?
Ich bin darüber schwer enttäuscht. Vorher habe ich sie immer hoch gelobt, weil sie über den Anschlag in Alexandria gross berichtet haben. Als aber am 9. Oktober die ägyptischen Kollegen eine schmutzige Rolle spielten und Muslime gegen uns mobilisiert haben, indem sie die Armee als hilfsbedürftig darstellten, haben dann einige deutsche Reporter undifferenziert diese Berichte übernommen und die Opfer zu Tätern gemacht. Das hat uns doppelt so weh getan.
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