Eine Hoffnung, keine Utopie

Mehr als 200 Vertreter verschiedener Religionen unterzeichnen in München einen Friedensappell

München, Die Tagespost, 14.09.2011, von Clemens Mann

Neugierig und überrascht, aber aus sicherer Entfernung, schaut eine Münchnerin in den Innenhof der Asamkirche, aus dem fremdartiger Gesang und Musik erklingt. Sechs ganz in feine schwarze Gewänder gekleidete Tenrikyo-Mönche, einer fernöstlichen monotheistischen Religion, die 1838 in Japan entstand und zu der sich etwa vier Millionen Menschen auf dem Globus bekennen, haben sich in dem kleinen Hof versammelt. Zum rhythmischen Klang von Flöte, Zimbel und Klangstäben bewegen sich drei Mönche. Sie drehen sich um die eigene Achse, vollführen mit ihren Händen Gesten, als ob sie jemanden umarmen wollten. So drücken sie das Miteinandersein zwischen Mensch und Gott aus und rufen den göttlichen Geist herab, erklärt ein Mönch.

Im vollbesetzten Liebfrauendom in München lauschen die Besucher andächtig Schwester Hartune Dogan: “Wir sind hier und stehen vor dir. Herr gib uns die Kraft, als dein Werkzeug zu handeln für Frieden und Gerechtigkeit”, bittet die syrisch-orthodoxe Christin. Hinter ihr stehen evangelische und anglikanische Bischöfe, katholische Hirten und Purpurträger, Vertreter geistlicher Gemeinschaften, Patriarchen der orthodoxen Kirchen. Es ist ein buntes Bild, das man so nicht oft sieht. Christen aus aller Welt stimmen ein in ein einziges grosses Gebet der Religionen. Denn an mehreren weiteren Orten in der Innenstadt Münchens beten noch Muslime, Anhänger buddhistischer Schulen, Shintoisten und Hindus, Zoroastrier und Jainas. Für den Frieden in der Welt und gegen Gewalt, Krieg und Terrorismus.

Es ist der Höhepunkt des dreitägigen Internationalen Friedenstreffens, das gemeinsam von der Gemeinschaft Sant’Egidio und dem Erzbistum München-Freising vom 11. bis zum 13. September veranstaltet wurde und am Dienstagabend zu Ende ging. Bei zahlreichen Begegnungen war man miteinander in Dialog getreten und hatte über die Verantwortung der Religionen für den Weltfrieden nachgedacht. Bei einer gemeinsamen Gedenkveranstaltung am 11. September setzte man ein Zeichen gegen den Terror. Bei zahlreichen Podien rang man um eine Antwort der Religionen auf die vielen Krisen, die derzeit die Erde und die Menschheit erschüttern. Vor der Abschlusskundgebung auf dem Marienplatz, zu dem die mehr als 200 Vertreter durch die Stadt zogen, beten sie. Die Wurzeln des Geistes und die Kraft des Gebets dürften nicht vernachlässigt werden, sagt Sant’Egidio-Gründer Andrea Riccardi.

Hoffnungsvoller und gestärkt sei man nun, weil man dem Gebet inmitten der Tage Raum gegeben habe, meinte Riccardi dann auf dem Marienplatz. Einige tausend Menschen hören zu, als er alle Anwesenden und die Oberhäupter der Religionen auffordert, den Frieden an Orte zu bringen, “an denen Hass, Unverständnis und Gleichgültigkeit herrschen”. “Ruhen wir nicht, bis Frieden in unserer Nähe und auf der ganzen Welt geschaffen ist”, sagte Riccardi. “Der Friede ist ein Traum und Hoffnung, keine Utopie”. In einem Friedensappell, den der italienische Professor als “Frucht dieser Tage” bezeichnete, wolle man dieser Hoffnung Ausdruck verleihen.

Dass der Egoismus in einer globalisierten Welt zu einer “Zivilisation des Todes” führt und auch real vielen Menschen den Tod bringt, steht in dem Friedensappell. Überhaupt scheine es, dass die Welt ihr Bewusstsein für die eigene Begrenztheit verloren habe. Eine Wende hin zum Guten sei notwendig. Zugleich beschwört das Dokument im Geiste von Assisi die Verantwortung der Religionen für den Frieden. “Mit Entschiedenheit müssen wir uns mit der Frage des Friedens in all seinen Facetten beschäftigen.” Die Welt benötige mehr Hoffnung und mehr Frieden. “Wer den Namen Gottes gebraucht, um den anderen zu hassen und zu töten, lästert den heiligen Namen Gottes.” Der Dialog untereinander sei alternativlos. “Durch den Dialog können wir ein neues Jahrzehnt und Jahrhundert in Frieden gestalten. Seien wir alle Handwerker des Friedens. Möge Gott unserer Welt das wunderbare Geschenk des Friedens machen”, schliesst das Dokument.

Später schreiten die mehr als 200 Vertreter feierlich zur Unterzeichnung des Appells. Kinder verschiedener Ethnien und aus verschiedenen Nationen hatten das Dokument zuvor unter tosendem Beifall und Applaus an die Vertreter der Politik weitergegeben. Und der Beifall ebbt nicht ab, als die Kirchenführer und Religionsoberhäupter ein Friedenslicht entzünden und ihre Unterschrift leisten. Mit jedem Unterzeichner leuchtet das Licht des Friedens heller, während es in der Münchner Innenstadt dunkler wird und die Nacht anbricht. 2012 soll es in Sarajevo beim nächsten Friedenstreffen erneut und stärker strahlen als jemals zuvor.

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