Kirche als Sündenbock
Die linke Szene hätschelte die Pädophilen
Die gesamte Gesellschaft sollte die lange Zeit betriebene Verharmlosung von sexuellem Kindsmissbrauch als Teil ihrer eigenen Schuld annehmen
“Non praevalebunt”: Die Mächte der Unterwelt werden sie nicht überwältigen. (Mt 16, 18). Auch wenn sich dunkle Wolken über dem päpstlichen Appartement zusammengebraut haben im Kampf gegen das Böse ist der Kirche die Zusage des Herrn gewiss, dass der Widersacher den Felsen Petrus nicht überwinden wird.
1970 erklärte der angesehene Sexualwissenschaftler Eberhard Schorsch unwidersprochen bei einer Anhörung im Deutschen Bundestag: “Ein gesundes Kind in einer intakten Umgebung verarbeitet nichtgewalttätige sexuelle Erlebnisse ohne negative Dauerfolgen”.
Die linke Szene hätschelte die Pädophilen. Bevor sich Jan Carl Raspe in die RAF verabschiedete, pries er 1969 im “Kursbuch” die Kommune 2, in der Erwachsene Kinder gegen ihren Widerstand zum Koitieren brachten. Bei den Grünen gab es 1985 einen Antrag auf Entkriminalisierung von Sex mit Kindern und noch 1989 erschien im renommierten Deutschen Ärzteverlag ein Buch, das offen für die Erlaubnis von pädosexuellen Kontakten warb. In diesen Zeiten wurde insbesondere die katholische Sexualmoral als repressives Hemmnis für die “Emanzipation der kindlichen Sexualität” bekämpft.
Erst Ende der achtziger Jahre haben dann vor allem feministische Beratungsstellen zu Recht klargemacht, dass es keine gewaltfreien sexuellen Beziehungen zwischen Kindern und Erwachsenen gibt. Freilich war es dabei nicht immer einfach, zwischen Bagatellisierung und Skandalisierung einen angemessenen Weg zu finden. Dann ergriff die Welle auch die katholische Kirche und manche ihrer Vertreter verstanden die Welt nicht mehr. Hatten die Pädophilieentkriminalisierer sie gerade noch ob ihrer rigiden unmodernen Moral lächerlich gemacht, sollten sie jetzt plötzlich wegen ihrer Laschheit die eigentlichen Übeltäter sein. Auch in der derzeitigen Debatte wird gewöhnlich der gesamte gesellschaftliche Kontext ausgeblendet und die katholische Kirche isoliert als Sündenbock für all die abseitigen und skandalösen Träume vom Kindersex gebrandmarkt, die in alternativen Kreisen vor vierzig Jahren geträumt wurden. Kirchenkritiker und auch manche Kirchenvertreter ergreifen die willkommene Gelegenheit, ihre üblichen Platten aufzulegen: Die kirchlichen Strukturen, die Sexualmoral, der Zölibat seien schuld. Doch das ist nichts anderes als unverhohlener Missbrauch mit dem Missbrauch, vor allem aber gefährliche Desinformation, die Täter schützt.
Die Wahrheit ist, dass alle Institutionen, die mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben, Menschen anziehen, die missbräuchlichen Kontakt mit Minderjährigen suchen. Das gilt für Sportvereine, Einrichtungen der Jugendhilfe, und natürlich auch für die Kirchen. Einer der führenden Experten in Deutschland, Professor Hans-Ludwig Kröber, sieht keinerlei Hinweis darauf, dass zölibatäre Lehrer häufiger pädophil seien als andere. Leider hat die Wissenschaft noch keine Screeningmethoden entwickeln können, mit denen man solche Menschen herausfinden kann. Es bleibt also nur die verantwortungsvolle Beobachtung und die schnelle Reaktion bei Auffälligkeiten. Da sind die Strukturen der Kirche sogar hilfreich. Sie kann vernetzter und professioneller reagieren als ein örtlicher Sportverein. Andererseits wird aber über den missbrauchenden Jugendwart in Niederbayern bloss im Lokalteil der örtlichen Zeitung berichtet, handelt es sich aber um den Pfarrer, gibt es bundesweite Schlagzeilen. Zu Recht, weil es ein schwereres Verbrechen ist. So entsteht freilich ein verzerrtes Bild über die Häufigkeit. Ausserdem sorgt die Kombination von Sakralität, Sexualität und Kindergesichtern naturgemäss immer für besondere Aufmerksamkeit. Was immer man schliesslich von der katholischen Sexualmoral halten mag, sie war jedenfalls auch in Zeiten der allgemeingesellschaftlichen Verharmlosung von Pädophilie für jeden, der sich daran hielt, ein Bollwerk gegen Kindesmissbrauch.
Und den Zölibat in diesem Zusammenhang zu nennen, ist besonders verantwortungslos. Auf einer Tagung 2003 in Rom erklärten die international führenden Experten – alle nicht katholisch – es gebe keinerlei Zusammenhang dieses Phänomens mit dem Zölibat. Freilich gehört der Hinweis auf den Zölibat nicht selten zu den verlogenen Entschuldigungsstrategien der Missbraucher.
Gerade weil der Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch katholische Priester und Ordensleute ein Verbrechen ist und weil die Sorge um die Opfer Priorität haben muss, wäre es fahrlässig, das Feld denjenigen zu überlassen, die sich bei solchen Themen bloss selbst ins Spiel bringen wollen. Man muss ohne Scheuklappen die Erkenntnisse der Wissenschaft nutzen, sichernde und vorbeugende Massnahmen ergreifen und für Transparenz sorgen. Jeder Bischof, der heute noch auf diesem Feld irgendetwas unter den Teppich kehren wollte, müsste von allen guten Geistern verlassen sein. Uns Deutschen aber ist zu wünschen, dass wir endlich den Mut besitzen, bei diesem ernsten Thema auf die üblichen Projektionen zu verzichten, und die lange Zeit betriebene Verharmlosung von sexuellem Kindesmissbrauch in der gesamten Gesellschaft als einen Teil von unser aller Schuld anzunehmen. Ein Beispiel nehmen kann man sich da an Eberhard Schorsch, der sich 1989 von seiner leichtfertigen Aussage von 1970 öffentlich distanzierte.
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