Der schiefe Dialog
Ein Gastkommentar von Marcus Bauer
München, kath.net, 13. Juli 2011
Neben den spirituellen und intellektuellen, organisatorischen und publizistischen Mitteln muss wohl auch daran gedacht werden, geschlossen, koordiniert und vermehrt via Nuntiatur in Rom zu protestieren
Als Deutungsmuster für den Zustand der kriselnden Kirche dient derzeit eine Art “Zwei-Reiche”-Lehre. Demnach gebe es innerkirchlich einen “konservativen” und einen “progressiven” Flügel und damit quasi zwei Kirchen in einer. Gerne übernehmen die Funktionärinnen und Funktionäre des deutschen Laienkatholizismus diese Sicht, um sogleich den “Konservativen” gegenüber anzumahnen, was im Zeitalter des Subjektivismus und Relativismus mit trivialphilosophischer Anfangsplausibilität beim Publikum verfängt: Niemand habe doch die Wahrheit gepachtet oder gar “mit Löffeln gefressen”! Niemand dürfe für sich “Rechtgläubigkeit” in Anspruch nehmen, der Gegenseite aber das Katholischsein und die Kirchlichkeit absprechen.
Auf “Augenhöhe” müsse dialogisiert werden. Kirchlich “konservative” Positionen sind nur einige unter vielen denkbaren. Die derlei Spielregeln des fairen Umgangs und der intellektuellen Bescheidenheit des Wahrheitssuchers aufstellen, pflegen sich selbst davon jedoch zu dispensieren. Beispielsweise wissen sie ohne auch nur einen Anflug heilsamen Zweifels an der eigenen Unfehlbarkeit exklusiv stets darüber Bescheid, was Jesus eigentlich wollte. “Nicht kleckern sondern klotzen” lautet ferner die Devise, wenn sie in ihrem Verdikt über die Römisch Katholische Kirche ganze kirchengeschichtliche Epochen als Irrweg entsorgen, der, wie sollte es auch anders sein, spätestens mit dem “Pflichtzölibat” einsetzt und den nur die Impulse der deutschen Räte-Kirche zu revidieren vermögen, in welcher der Weltgeist zum Bewusstsein seiner selbst kommt. Wer sich nicht fügt, ist, wie Papst Benedikt, “schwerhörig” oder “bekommt nichts mehr mit”.
Wer Sünde auch Sünde nennt und gewisse Sünder zur Umkehr einlädt, läuft Gefahr, eines “nächstenliebelosen Christentums” geziehen zu werden, und Anhänger der traditionellen Liturgie gelten als “in ihrer Humanität gescheitert”. Im wohlmeinendsten Fall weiss sich der Katholik strenger Observanz als armes, unterbelichtetes Würstel karikiert, das sich ob seiner “Modernisierungsängste” in “einfache Wahrheiten” flüchtet. So viel zum Thema “Augenhöhe”.
Was katholisch ist (und was nicht), entscheidet sich nicht nach Massgabe subjektiver Befindlichkeiten, der je eigenen “Lebenswirklichkeit”, der Erwartungshaltung der Säkulargesellschaft oder akademischer Moden, sondern lässt sich anhand objektiver Kriterien zuverlässig eingrenzen. Um festzustellen, “wo wir stehen”, bedarf es keiner Dialogexzesse und Selbstfindungsakte. Man schaue lieber in den Katechismus, nehme, anstatt verbiestert in permanenter Realitätsverweigerung zu verharren, “Humanae Vitae”, “Ordinatio Sacerdotalis” oder “Dominus Jesus” endlich zur Kenntnis, eigne sich die Tradition der Kirche im Lichte einer Hermeneutik der Kontinuität an und, last but not least, öffne sich – ganz “angstfrei” – den Texten des 2. Vaticanums, die dem Wortlaut nach bisweilen das Gegenteil dessen aussagen (z.B. Latein, Zölibat), was unablässig unter Verweis auf ein geheimnisvolles Gespenst eben dieses Konzils (“Konzilsgeist”) eingeklagt wird.
Auch ein Rückgriff auf Etymologie und Semantik als Minimalkonsens führt nicht dazu, dass “katholisch” drin ist, wo “katholisch” draufsteht. Wir wissen, worauf das hinausläuft: “katholisch” heisst dann “allgemein”, heisst dann “Alles ist alles in Allem” und “alles ist eins” und “alle dürfen mitmachen”. Jede durch Vernunft, Glaube und gesunden Menschenverstand einleuchtende “discriminatio” – von Gott und Mensch, Mensch und Tier, Mann und Frau, Theist und Atheist, Christ und Nichtchrist, Katholik und Protestant, Himmel und Erde, Heilsangebot und Heilswirklichkeit – heisst das neue Evangelium der All-Erlösung in einer All-Einheit zu nivellieren, in der niemand mehr “ausgegrenzt” wird (Traditionalisten und Modernitätsskeptiker ausgenommen).
Völlig zurecht erheben “Konservative” den Anspruch, authentisch katholisch, kirchlich und rechtgläubig zu sein! Dies nicht, weil man das eigene Gutdünken dem Gutdünken der Gegenseite für nach irgendwelchen Kreativitätskriterien überlegen erachtete, sondern aufgrund einer freien Zustimmung des Verstandes und des Herzens zu dem, was das Lehramt der Kirche uns objektiv zum glaubenden Nachvollzug vorlegt. Nicht als Besserwisser, sondern als gnadenhaft Beschenkte weiterzugeben, was auch wir empfangen haben – das ist “konservativ”. Jenen aber, die sich mit verbindlichen Inhalten der Lehre der Kirche nicht mehr versöhnen wollen, die Rechtgläubigkeit und Kirchlichkeit in Abrede zu stellen, hat rein gar nichts mit gepachteten oder gelöffelten Wahrheiten, Toleranzdefiziten, mangelnder “Augenhöhe” und Dialogunfähigkeit zu tun, sondern schlichtweg mit Logik und Folgerichtigkeit.
Mit dem populären “Zwei-Reiche”-Schema im Hintergrund aber vermitteln die Gremienkatholiken den Eindruck, als seien die “progressiven” Positionen allemal so legitim und katholisch wie die “konservativen” und heben damit implizit ihre Agenda auf eine Ebene mit der kirchlichen Lehre selbst als deren gleichrangiges Gegenüber. Lassen wir uns folgenden Ausschnitt aus einem Kurzbericht der KNA zum beginnenden “Dialog” auf der Zunge zergehen: “Konservative Kreise haben als Reaktion darauf (gemeint ist das “Memorandum”) die ‚Petition Pro Ecclesia‘ verfasst, um einem ‚verzerrten Bild von der Kirche in der Öffentlichkeit‘ entgegenzutreten. Sie appellieren an die deutschen Bischöfe, den Pflichtzölibat zu erhalten, für eine würdige Feier der Liturgie zu sorgen und traditionelle Glaubensinhalte sowie das christliche Bild von Ehe und Familie zu verteidigen. Weder linke Reformer noch konservative Hardliner sind bei dem Treffen in Mannheim in nennenswerter Zahl zugegen. Möglicherweise hilft das, die Atmosphäre zu versachlichen.”
Apostolische Ehelosigkeit, würdige Feier der Liturgie, traditionelle Glaubensinhalte sowie ein christliches Bild von Ehe und Familie, mithin unzweideutig solide katholische Positionen werden als Inhalte markiert, an denen man heutzutage den “konservativen Hardliner” erkennt! Wenn das Selbstverständlichste vom Selbstverständlichen, wenn innerkirchlich zutiefst “mittige” Positionen als Extreme hingestellt werden, zeigt dies, dass der auf solchen Grundannahmen aufsetzende “Dialog” in sich und schon im Ansatz auf eine weitere Drift weg von der Mitte des Katholischen hin angelegt ist und ganz im Sinne der – wie nennen wir sie? – “Memorandisti”, “Progressisten”, “Verheutiger”, Deutschkatholiken, neogermanischen Romhasser und Berufsrevolutionäre des linksnationalistischen Rätekatholizismus wirkt. Hinzu kommt, dass die ihre Schatten auf den “Dialog“”schon vorauswerfenden Jubiläumsjahre zur Reformation und zum 2. Vaticanum als willkommene Aufhänger “memorandistischer” Agitation die dialoggetragene Entkatholisierung noch beschleunigen werden.
Was bleibt zu tun? Was wir von den Hirten der Kirche in Deutschland zu erwarten haben, um dem allen Einhalt zu gebieten, darüber sei hier nicht weiter spekuliert. Neben den spirituellen und intellektuellen, organisatorischen und publizistischen Mitteln muss wohl auch daran gedacht werden, geschlossen, koordiniert und vermehrt via Nuntiatur in Rom zu protestieren – selbst wenn Linkskatholiken, die sich ja, wiewohl bestens etabliert im Gefüge und an den Fleischtöpfen der Kirche, gerne als Opfer eines “repressiven Meinungsklimas” und “autoritärer Strukturen” inszenieren, gleich wieder “Denunziation!” plärren werden.
Marcus Bauer ist Historiker, Absolvent der Katholischen Uni Eichstätt und derzeit im EDV-Dienstleistungsgewerbe tätig.
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