Liechtenstein am Scheideweg
Erbprinz Alois von und zu Liechtenstein bekennt sich zum Lebensschutz
Die Tagespost, 15.06.2011
Gesetzesinitiativen wollen Fristenregelung und Homo-Partnerschaft durchsetzen. Von Stephan Baier
Kein Land Europas scheint zu klein, um als Bühne für emotionale gesellschaftliche Richtungskämpfe zu dienen. Das 36 000 Einwohner zählende Fürstentum Liechtenstein ist zeitgleich in zwei solche Kämpfe verwickelt: Es geht um die Einführung der Fristenregelung und um die Legalisierung einer “eingetragenen Lebenspartnerschaft” für Homosexuelle. Liechtenstein gehört mit Malta, Polen und Irland zu den wenigen Ländern Europas, in denen Abtreibung nicht nur verboten, sondern das Leben des ungeborenen Kindes auch strafbewehrt geschützt ist. Das gilt zumindest theoretisch selbst dann, wenn Frauen aus Liechtenstein in den Nachbarstaaten Schweiz oder Österreich eine Abtreibung durchführen lassen. Anfang Juni hat nun eine “Arbeitsgruppe Schwangerschaftskonflikte” mit 1 580 gültigen Unterschriften eine Gesetzesinitiative zur Einführung der Fristenregelung eingebracht. Damit muss sich der Landtag am 28. Juni befassen.
Das Erzbistum Vaduz leistete im Vorfeld Widerstand gegen die Initiative “Hilfe statt Strafe”: Allein der Titel sei “eine Desavouierung der bereits bestehenden umfassenden Hilfsangebote bezüglich Beratung und materieller Hilfe”, heisst es in einer Stellungnahme vom 2. März. Tatsächlich handle es sich um eine “Initiative für straffreies Töten”, denn durch die Annahme dieser Initiative würde “die staatlich verordnete und geregelte Beratung schwangerer Frauen zur Tötungslizenz”. Unter Berufung auf das Zweite Vatikanische Konzil heisst es in der Stellungnahme des Erzbistums: “Ein Staat, der das Töten von unschuldigen Menschen unter bestimmten Umständen legalisiert, macht damit für die Einwohner deutlich, dass das Leben des Menschen für den Staat nicht mehr zu den höchsten und schützenswertesten Gütern zählt.”
Die Regierungsparteien “Vaterländische Union” (VU) und “Fortschrittliche Bürgerpartei” (FBP) haben sich zwar noch nicht festgelegt, scheinen aber skeptisch. Gegenüber der Tageszeitung “Liechtensteiner Vaterland” meinte VU-Sprecher Peter Hilti: “Hier möchte man bei Vorliegen einer Behinderung den Schwangerschaftsabbruch bis zum Tag der Geburt zulassen. Das ist für mich absolut verwerflich. Es ist nicht an uns, zu entscheiden, wer leben darf, und wer nicht.” Beobachter rechnen damit, dass VU und FBP einen Gegenvorschlag präsentieren werden. Dann aber kämen beide Vorschläge vor den Stimmbürger.
Die Notbremse könnte am Ende jedoch der Fürst ziehen, für den Erbprinz Alois von und zu Liechtenstein die Amtsgeschäfte führt. Eine Anfrage dieser Zeitung, ob er im Notfall von seinem Vetorecht Gebrauch machen werde, um das Lebensrecht der ungeborenen Kinder in Liechtenstein weiterhin zu schützen, wollte der Erbprinz Anfang dieser Woche nicht beantworten.
In der Sache selbst jedoch hat er im März Stellung genommen:”„Es ist grundsätzlich nicht zulässig, einem anderen Menschen – auch wenn er noch nicht geboren ist – das Lebensrecht abzusprechen.“ Weiter heisst es in der Stellungnahme des Erbprinzen: “Die heutige rechtliche Regelung des Schwangerschaftsabbruchs hat vor allem eine wichtige Orientierungsfunktion für die Gesellschaft. Sie stellt klar, dass das menschliche Leben unantastbar ist. Mit der Einführung der Fristenregelung würde diese ethische Position – zumindest während den ersten Schwangerschaftswochen – umgekehrt: Das Recht auf Selbstbestimmung würde höher gewertet als das Recht des ungeborenen Kindes auf Leben. Das ist aus meiner Sicht nicht verantwortbar.“ Klare Worte, denen der Regent dank seines Vetorechts auch eine klare Tat folgen lassen könnte. Es sei doch eine “verfrühte Spekulation”, daraus zu schliessen, “dass der Erbprinz nach einer Annahme der Fristenregelung durch das Volk den entsprechenden Gesetzestext nicht sanktionieren würde”, meint der Chefredakteur des “Liechtensteiner Vaterland”, Günther Fritz, gegenüber der “Tagespost”. Fritz wörtlich: “Ich denke, die Absicht des stellvertretenden Staatsoberhauptes war es, ein klares Signal an den Landtag und die Bevölkerung zu senden, dass es gar nicht so weit kommen sollte.” Tatsächlich hat der Erbprinz bereits die Befürchtung geäussert, dass durch eine Straffreiheit der Druck auf ungewollt Schwangere wachsen würde. Echte Hilfe bestehe in einer professionellen Beratung, in einer kinderfreundlichen Politik und “in rascher, konkreter, unentgeltlicher und nachhaltiger Hilfestellung”.
Nicht weniger heiss diskutiert wird in den Leserbriefspalten der Zeitungen ein Vorstoss zur Einführung eines Rechtsinstituts für homosexuelle Paare. Nachdem sich der Landtag Mitte März einstimmig (mit 21 gegen null Stimmen) für ein Partnerschaftsgesetz aussprach, entstand die Gemeinschaft “Vox Populi”, die überzeugt ist, “dass dieser Beschluss nicht das Stimmungsbild im Lande widerspiegelt”. Das Partnerschaftsgesetz sei unnötig, weil sich alle relevanten Fragen auch zivilrechtlich lösen liessen. Es schaffe zugleich neue Ungerechtigkeiten, denn es benachteilige “andere Formen nichtehelicher Gemeinschaften”.
Das Hauptargument aber lautet: “Die Aufgabe des Staates ist es, Familien zu fördern.” Ende dieser Woche findet in Liechtenstein darüber nun eine Volksabstimmung statt, deren Ergebnis am Sonntag vorliegen wird. Chefredakteur Fritz meint gegenüber dieser Zeitung, er rechne mit einer Zustimmung von “60 Prozent plus/minus drei Prozent für das Partnerschaftsgesetz”. Weniger eindeutig jedenfalls als die Einstimmigkeit von Regierung und Landtag. Und auch hier liegt die letzte Verantwortung beim Regenten, dessen Familie auf eine Ahnenreihe von bald acht Jahrhunderten zurückblicken kann und bereits mehrfach in ihrer Geschichte erfolgreich gegen den Strom der Zeit schwamm.
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