“Wir brauchen nicht auch noch einen Ritenstreit”

Die Instruktion „Universae Ecclesiae“ stärkt die alte Messe

Tagespost, 16.05.2011 von Regina Einig

Ein Gespräch mit dem Freiburger Dogmatiker Helmut Hoping über die Instruktion Universae Ecclesiae zur ausserordentlichen Form des römischen Ritus. 

Trägt die Instruktion Ihrer Meinung nach zur Klarheit bei?

Die Instruktion “Universae Ecclesiae” stärkt die alte Messe. Der Weg, den Papst Benedikt XVI. mit dem Motu proprio “Summorum Pontificum” (2007) eingeschlagen hat, wird nicht verlassen. Es gibt keine Kurskorrektur. Die alte Messe ist eine Realität der römisch-katholischen Kirche und soll es bleiben, “da sie ein wertvoller Schatz ist, den es zu bewahren gilt” (Nr. 8a). Alles Weitere wird die Zukunft zeigen.

Eine Instruktion dient dazu, die Vorschriften eines Gesetzes zu erklären. Die Instruktion “Universae Ecclesiae” war lange angekündigt. Sie ist das Ergebnis der Erfahrungen, die man mit der ausserordentlichen, das heisst der älteren Form (usus antiquior) des römischen Ritus seit der Veröffentlichung des Motu propio “Summorum Pontificum” gemacht hat. Bei der Interpretation und Anwendung dieses universalkirchlichen Gesetzes gab es Unklarheiten sowie unterschiedliche Umsetzungen in den Diözesen. Die Instruktion verpflichtet alle Bischöfe, der Gesinnung (mens) des Papstes zu folgen, wie sie im Motu proprio klar zum Ausdruck kommt (Nr. 13). Die Normen des Gesetzes sind genau zu beachten und anzuwenden. Hier kommt es in der Instruktion zu einigen Klärungen.

Können Sie dafür einige Beispiele nennen?

Ein erster Punkt betrifft die Gläubigen, die um die Feier der römischen Liturgie im usus antiquior bitten. Es ist nicht nötig, dass die Gläubigen aus einer Pfarrei kommen. Sie können auch aus unterschiedlichen Pfarreien, ja sogar aus verschiedenen Diözesen stammen (Nr. 15). Allen Gläubgen ist die römische Liturgie im usus antiquior anzubieten, ja sie ist “all jenen wirklich zu gewährleisten und zu ermöglichen, die darum bitten” (Nr. 8a). Das Motu proprio “Summorum Pontificum” ist zugunsten der Gläubigen auszulegen. Wenn mancherorts den Gläubigen die Feier der Messe im usus antiquior nur alle zwei Wochen oder einmal im Monat gewährt wird, obschon Priester für eine Feier jeden Sonntag zur Verfügung stehen, so dürfte dies kaum mit dem Motu proprio und der Instruktion vereinbar sein. Denn die alte Messe soll dort, wo dies gewünscht wird, ein normaler Bestandteil des kirchlichen Lebens sein. Das zeigt sich zum Beispiel daran, dass das österliche Triduum in einer Pfarreikirche oder Kapelle auch im usus antiquior gefeiert werden kann (Nr. 33).

Wie ist die Instruktion mit Blick auf das österliche Triduum zu verstehen? Entweder alles oder gar nichts in der ausserordentlichen Form? Oder sind auch Mischformen zulässig, etwa, wenn ein Zelebrant, der die ausserordentliche Form beherrscht, nur an einem Tag zur Verfügung steht?

Im Idealfall ist das österliche Triduum in der für Gottesdienste im usus antiquior vorgesehenen Kirche oder Kapelle zu feiern. Andernfalls ist nach anderen Lösungen zu suchen. Dabei darf das österliche Triduum auch vollständig wiederholt werden; das Triduum ist ja auch eine einzige Feier, wie der offene Schluss der Messe vom letzten Abendmahl und die Karfreitagsliturgie zeigt. Wenn es nicht möglich ist, das österliche Triduum vollständig im usus antiquior zu feiern, kann nur ein Teil davon im usus antiquior gefeiert werden. Ob Mischformen möglich sind, geht aus dem Text nicht eindeutig hervor. Ich halte dies aber nicht für sinnvoll und gehe davon aus, dass das österliche Triduum in einer Pfarrei beziehungsweise einer Pfarreiengemeinschaft (Seelsorgeeinheit etc.) wenigstens einmal vollständig in der forma ordinaria gefeiert werden muss.

Der Vatikan verlangt keine Mindestteilnehmerzahl der Gruppen, die um die Feier der alten Messe bitten. Ist das klug?

Hier geht es nicht um eine Frage der Klugheit. Dass keine Mindestgrösse der Gruppe verlangt wird, die um einen Gottesdienst im usus antiquior bittet, ist eine Selbstverständlichkeit. Denn für eine Messe in der forma ordinaria des römischen Ritus gibt es auch keine Mindestgrösse, damit diese stattfinden kann (ich denke hier an Werktagsmessen). Wie das Motu proprio “Summorum Pontificum” fordert daher auch die Instruktion keine Mindestgrösse der Gruppe, die um einen Gottesdienst im usus antiquior des Ritus bittet.

Der Instruktion zufolge nimmt die Zahl der Gläubigen zu, die die ausserordentliche Form möchten. Die Deutsche Bischofskonferenz spricht nach wie vor von geringen Zahlen. Welche Entwicklung beobachten Sie?

Weltweit wächst die Zahl der Gläubigen, die an der römischen Liturgie im usus antiquior interessiert sind. Auch die Zahl der Priester, die beide Formen der Messe feiern, steigt. Eine der besten Homepages für den usus antiquior des römischen Ritus ist die Seite “New Liturgical Movement”. Sie und andere Homepages dieser Art dokumentieren die internationale Entwicklung. Das Interesse an der alten Messe ist in Deutschland nicht so gross wie zum Beispiel in den Vereinigten Staaten oder in Frankreich. Doch auch in Deutschland hat die Zahl der Standorte, an denen regelmässig die alte Messe gefeiert wird, zugenommen. Nach Auskunft der Deutschen Bischofskonferenz gibt es derzeit 129 Gottesdienstorte, an denen es eine Messfeier im usus antiquior gibt. Die Vereinigung “Pro Missa Tridentina” gibt 143 Standorte an (nur in 35 Prozent der Fälle wird die alte Messe jeden Sonntag gefeiert).

Die Instruktion spricht auch von der Priesterausbildung. Wie gross ist die Bereitschaft der Priesteramtskandidaten, die ausserordentliche Form zu erlernen? Und wie gross ist die Bereitschaft der Ausbilder, dem nachzukommen?

Das ist schwer zu sagen. Es wäre von Diözese zu Diözese auch unterschiedlich zu beantworten. Es gibt aber Priesteramtskandidaten, die bereit sind, die ausserordentliche Form des römischen Messritus zu erlernen. Unabhängig vom Interesse der Priesteramtskandidaten und Regenten müssen die Bischöfe aber dafür sorgen, dass die zukünftigen Priester die lateinische Liturgiesprache beherrschen, den usus antiquior des römischen Ritus kennen und, wenn dies pastoral erforderlich ist, darin auch praktisch ausgebildet werden (Nr. 20). Bei der Frage, welche Priester befähigt sind, die ältere Form der Messe zu feiern, gilt die Regelung, dass jeder Priester, der durch Kirchenrecht nicht gehindert ist, als geeignet anzusehen ist, sofern er die lateinische Liturgiesprache beherrscht. Priester dürfen nicht deshalb an der Feier der Messe im usus antiquior gehindert werden, weil sie jung sind. Natürlich müssen sie mit dem usus antiquior der römischen Messe vertraut sein. Das ist zu präsumieren, sofern sie bereit sind, die Messe im usus antiquior zu feiern. Andernfalls muss ihnen die Möglichkeit gegeben werden, die ältere Form des römischen Ritus zu erlernen (Nr. 21) – entweder durch Priester der Diözese oder durch Mitarbeiter der Institute und Gemeinschaften, für welche die Päpstliche Kommission “Ecclesia Dei” zuständig ist (Nr. 22).

Papst Benedikt sieht die Ausführungsbestimmungen unter dem Gesichtspunkt der Versöhnung. Bleiben Messen der Piusbruderschaft darum tabu?

Beim Motu proprio “Summorum Pontificum” und der Instruktion geht es vornehmlich um eine innerkirchliche liturgische Versöhnung zwischen der älteren und neuen Form des römischen Ritus. Die Instruktion bekräftigt, dass es keinen Widerspruch zwischen der alten und neuen Messe gibt (Nr. 7). Wer die Erklärung des Papstes in seinem Motu proprio “Summorum Pontificum” bestreitet, dass die ordentliche und die ausserordentliche Form des römischen Ritus Ausdruck derselben lex orandi der Kirche sind und daher kein Gegensatz in der lex credendi besteht, der stellt die Legitimität einer mehr als 1 500-jährigen Liturgiegeschichte in Fragen. Da es immer wieder zu Konflikten um die richtige Auslegung und Anwendung des Motu Proprio “Summorum Pontificum” gekommen ist, erhält die Kommission “Ecclesiae Dei” die Vollmacht, mit ordentlicher, stellvertretender Hirtengewalt über Beschwerden gegen Verwaltungsakte von Ordinarien, von denen die Beschwerdeführer annehmen, dass sie im Widerspruch zu “Summorum Pontificum” stehen, zu entscheiden. Die Entscheidungen binden die Ordinariate, wenn sie nicht beim Obersten Gerichtshof der Apostolischen Signatur angefochten werden, der letztinstanzlich entscheidet (Nr. 10 § 1). Die Bischöfe haben nicht nur für eine korrekte Anwendung des Motu proprio zu sorgen. Sie müssen zudem sicherstellen, dass die Achtung des usus antiquior des römischen Ritus in ihren Diözesen gewährleistet ist (Nr. 14). Priester und Gläubige, welche die Messe im usus antiquior feiern, dürfen nicht benachteiligt oder ausgegrenzt werden. Die Gläubigen, die um Gottesdienste im usus antiquior bitten und daran teilnehmen, dürfen aber keine Gruppen unterstützen oder diesen angehören, die die Gültigkeit und Erlaubtheit der Feier der heiligen Messe oder der Sakramente in der ordentlichen Form bestreiten oder den Papst als Obersten Hirten der Gesamtkirche ablehnen. Mit der Piusbruderschaft kann es vorerst keine Aussöhnung geben, da hier zum Teil immer noch Zweifel an der Anerkennung der vollen Gültigkeit der Messfeier in der neuen Form des Ritus bestehen und zudem die Lehre von der Religions- und Gewissensfreiheit bestritten wird. Natürlich sind Messfeiern innerhalb der Piusbruderschaft gültig. Es ist aber davon abzuraten, daran teilzunehmen.

Die ausserordentliche Form kennt keine Konzelebration. Halten Sie es für einen Fehler, dass die Einzelzelebration in manchen kirchlichen Milieus (zum Beispiel von Männerklöstern) weitgehend verschwunden ist?

An der durch die Liturgiereform eingeführten Konzelebration scheiden sich bis heute die Geister. Grundsätzlich ist sie ein Gewinn, da sie die Einheit des Presbyteriums zum Ausdruck bringt. Die Konzelebration sollte aber in Massen praktiziert werden, sowohl was die Anlässe als auch die Anzahl der Konzelebranten betrifft. Da Priester gehalten sind, täglich zu zelebrieren, betrifft die angesprochene Einzelzelebration ohne Volk nicht nur Messfeiern im usus antiquior. Zwar dominiert in den meisten Klöstern die Kommunitätsmesse. Doch wurde die Messfeier ohne Volk hier nicht abgeschafft. Jede Feier der heiligen Messe, auch die ohne Volk, ist Feier der Kirche.

Wie beurteilen sie eine Primizfeier in der ausserordentlichen Messform?

Die Instruktion erlaubt die Spendung der niederen und höheren Weihen in der ausserordentlichen Form des Ritus nur Instituten des geweihten Lebens und Gesellschaften des apostolischen Lebens, die der Päpstlichen Kommission “Ecclesia Dei” unterstehen, sowie anderen Gemeinschaften, die die liturgischen Bücher der forma extraordinaria verwenden. Diözesanbischöfe müssen bei der Weihe der Diakone und Priester das neue Pontifikale verwenden. Das ist eine kluge Entscheidung. Denn sie verhindert, das ein zwischen älterer und neuer Form der römischen Liturgie gespalten Diözesanklerus entsteht. Will ein Neupriester seine Primiz in der alten Form der römischen Messe feiern, so ist dies zwar nicht verboten, scheint mir aber nicht im Sinne des Gesetzgebers zu sein. Denn die Primizfeier steht in so engem Zusammenhang mit der Priesterweihe, dass sie in der erneuerten Form des römischen Ritus gefeiert werden sollte. Priester haben aber das Recht, nach ihrer Weihe und Primiz auch im usus antiquior zu zelebrieren.

Von einigen Ihrer Kollegen kommt harte Kritik an dem Dokument (“einseitig auf das rechte Spektrum ausgerichtet”; “Nebenschauplatz”). Wie beurteilen Sie das?

Was die Schubladisierung von Gläubigen und Theologen in rechts und links betrifft, so halte ich davon nicht viel. Die Welt des Katholischen ist viel komplexer und differenzierter. Wenn gesagt wird, die Instruktion berühre einen Nebenschauplatz, so wundert mich das, nennt das Zweiten Vatikanische Konzil die Liturgie doch Quelle und Höhepunkt des kirchlichen Lebens. Papst Benedikt XVI. ist davon überzeugt, dass sich an der Liturgie die Zukunft der Kirche entscheidet. Er möchte daher, dass die Liturgie in Kontinuität zur grösseren Tradition der katholischen Kirche in Respekt vor der liturgischen Ordnung gefeiert wird. Dies ist der Grund, warum Benedikt XVI. die Feier der Messe im usus antiquior wieder freigegeben hat. Es ging von vornherein nicht nur um die Institute, Gesellschaften und Gemeinschaften, die der alten lateinischen Liturgie verpflichtet sind, oder gar nur um die Piusbruderschaft, mit der vor allem Fragen der Lehre zu klären sind. Benedikt XVI. will, dass die Liturgie im usus antiquior dort, wo Gläubige dies wünschen, ein unbestrittener Bestandteil des kirchlichen Lebens wird. Natürlich wäre es wünschenswert, wenn die beiden Formen des Ritus einander stärker angeglichen würden. Erste Schritte dazu sind in der Instruktion angekündigt. Doch Veränderungen in der älteren und der neuen Form des römischen Ritus brauchen ihre Zeit. Die katholische Kirche hat derzeit soviele Sorgen und Nöte, dass wir nicht auch noch einen Ritenstreit brauchen. Im Interesse der Zukunft der Liturgie und der Kirche wünscht der Papst eine friedliche Koexistenz der älteren und neuen Form des römischen Ritus. Die bisherigen Kampfstellungen sollten daher endlich aufgegeben werden. Auch in liturgicis ist es an der Zeit abzurüsten und die Schönheit der römischen Liturgie in der älteren und neuen Form zu entdecken.

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