Ein Papst, der die Frauen schätzte
Eine erhob er zur Kirchenlehrerin, drei zu Mitpatroninnen Europas
Rom, Die Tagespost, Von Guido Horst
Johannes Paul II. und die Frauen. Vielleicht war Karol Wojtyla der erste Papst der Neuzeit, bei dem dieses Schlagwort zur Überschrift von Artikeln und Buchkapiteln wurde. Seine geistige Nähe zu Mutter Teresa, die Freundschaft mit der polnischen Psychiaterin Wanda Póltawska, die sogar in den letzten Stunden auf Erden bei ihm war. Der nun selige Papst hatte ein unverkrampftes Verhältnis zum anderen Geschlecht, was ihn auch nicht hinderte, manche – junge – Frau, die sich ihm bei Audienzen und Begegnungen näherte, kräftig in die Arme zu nehmen.
Aber auch die Schar der grossen Gestalten der Vergangenheit, auf die die Kirche mit Verehrung schaut, hat Johannes Paul II. nicht nur um Männer, sondern auch um Frauen bereichert.
Vier sind hier vor allem zu nennen, zunächst Theresia von Lisieux (1873–1897), die Pius XI. bereits im Jahr 1925 heiliggesprochen hatte. Am 19. Oktober 1997 erhob Papst Wojtyla die junge französische Ordensfrau, deren “Geschichte einer Seele” zu einem spirituellen Bestseller geworden war, zur Kirchenlehrerin. Ein erstaunlicher Vorgang – hatte doch die kleine Theresia weder eine akademische Laufbahn, noch bedeutende theologische Werke vorzuweisen.
Aber Johannes Paul II. liebte dieses Mädchen, das ihren spirituellen Reichtum vor allem in drei autobiografischen Manuskripten niedergelegt hatte, die später unter dem Titel “Geschichte einer Seele” erschienen. Das Apostolische Schreiben, mit dem der Papst die Erhebung zur Kirchenlehrerin verkündete, trug den Titel “Divini amoris scientia – Die Wissenschaft der göttlichen Liebe”, was schon zum Ausdruck brachte, dass es eine ganz besondere Form an intellektueller Reife war, die Johannes Paul II. an ihr schätzte: das “Geschenk”, das der Heilige Geist “den Kleinen und Demütigen gewährt” und das darin besteht, “die Geheimnisse des Gottesreiches, die den Gelehrten und Weisen verborgen sind, zu erkennen und zu verkünden”.
In dem Apostolischen Schreiben erläutert Johannes Paul II. diese Geheimnisse, wie sie Thérese in den drei Manuskripten festgehalten hat: “Im Manuskript A”, so der Papst, “beschreibt Theresia die Wegstrecken ihrer religiösen Erfahrung: die ersten Jahre der Kindheit, vor allem das Ereignis ihrer ersten Kommunion und das der Firmung und die Jugendzeit bis zum Eintritt in den Karmel und zu ihrer ersten Profess.” Das Manuskript B enthalte einige der schönsten und am meist zitierten Seiten der Heiligen. “In ihnen offenbart sich die volle Reife der Heiligen, die von ihrer Berufung in der Kirche als Braut Christi und Mutter der Seelen spricht.”
Das Manuskript C schliesslich, wenige Monate vor ihrem Tod im Monat Juni und in den ersten Julitagen 1897 niedergeschrieben, offenbarten schliesslich “die übernatürliche Weisheit der Verfasserin”. Ohne sich zu wiederholen lasse Theresia das strahlende Licht des Evangeliums aufleuchten. “Wir finden hier die schönsten Seiten, die sie dem vertrauensvollen Sich-den-Händen-Gottes-Überlassen, dem Verbundensein von Gottes- und Nächstenliebe und ihrer missionarischen Berufung in der Kirche gewidmet hat.”
In diesen drei verschiedenen Manuskripten, die in der Thematik und in einer fortschreitenden Beschreibung ihres Lebens und ihres geistlichen Weges übereinstimmen, fasst Johannes Paul II. seine Entscheidung zusammen, “hat Theresia uns eine echte Autobiografie dargeboten, die die Geschichte ihrer Seele darstellt. Aus ihr geht deutlich hervor, dass Gott durch ihr Leben der Welt eine bestimmte Botschaft gegeben hat. Er hat einen Weg nach dem Evangelium gewiesen, nämlich den “kleinen Weg”, den alle gehen können, da ja alle zur Heiligkeit berufen sind.”
Auf dem kleinen Weg zur grossen Kirchenlehrerin – Johannes Paul II. wollte der ganzen Kirche zeigen, dass es nicht die theologische Brillanz und die intellektuelle Schärfe sein muss, die Seele und Geist in die Geheimnisse Gottes einführt, sondern eher noch die Bereitschaft, sich ganz und gar den Händen Gottes zu überlassen.
Aber die kleine Theresia war nicht die einzige Frau, der Johannes Paul II. während seines Pontifikats ein Denkmal setzen wollte. Gut zwei Jahre später, am 1. Oktober 1999, erschien in Form eines Motu proprio das Schreiben “Spes aedificandi”, das auf Deutsch mit den Worten begann: “Die Hoffnung auf den Aufbau einer gerechteren und menschenwürdigeren Welt, eine Hoffnung, die von der Erwartung des nunmehr vor der Tür stehenden dritten Jahrtausends noch angefacht wird, muss von dem Bewusstsein getragen sein, dass menschliche Anstrengungen nichts nützen würden, wenn sie nicht von der göttlichen Gnade begleitet wären.”
Zehn Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs legte Johannes Paul II. die Hoffnung, dass das einstmals geteilte Europa wieder zu einem Kontinent zusammenwachsen werde, der wieder aus zwei christlichen Lungen, der westlichen und der östlichen, zu atmen beginne, in die Hände von drei heiligen Frauen und erhob sie zu Mitpatroninnen Europas: Birgitta von Schweden (1303–1373), Katharina von Siena (1347–1380) und die geborene Jüdin Edith Stein (1891–1942), die als Schwester Teresia Benedicta a Cruce den Tod in Auschwitz fand.
“Um das neue Europa auf solide Grundlagen zu stellen”, schreibt der Papst in “Spes aedificandi”, “genügt es sicher nicht, nur an die wirtschaftlichen Interessen zu appellieren, die manchmal zusammenführen und dann wieder spalten. Vielmehr gilt es, die für Europa authentischen Werte zu betonen, deren Fundament das in das Herz eines jeden Menschen eingeschriebene allgemeine Sittengesetz ist.” Ein Europa, das den Wert der Toleranz und der allgemeinen Achtung mit ethischem Indifferentismus und Skeptizismus in Bezug auf die unverzichtbaren Werte verwechsele, “würde sich den riskantesten Abenteuern öffnen und früher oder später die erschreckendsten Gespenster seiner Geschichte in neuer Gestalt wiederauftauchen sehen.” Um diese Bedrohung zu bannen, erweise sich wieder einmal die Rolle des Christentums als lebenswichtig. Es komme daher wesentlich auf ein erneuertes engagiertes Zeugnis aller Christen an, die in den verschiedenen Nationen des Kontinents leben. “Genau diese Verkündigung der Hoffnung”, so Johannes Paul II., “wollte ich stärken, indem ich diese drei grossen Frauengestalten, die in verschiedenen Epochen einen so bedeutenden Beitrag zum Wachstum nicht nur der Kirche, sondern auch der Gesellschaft geleistet haben, in “europäischer” Sicht zu neuer Verehrung empfehle.”
Dass die Kirche heute ein weiblicheres Gesicht hat, als in zurückliegenden Jahrzehnten, hat sie auch dem seligen Papst aus Polen zu verdanken.
Therese-von-Lisieux
Mitpatroninnen-Europas: Motu proprio: Vatikan
Homage: An Papst Johannes Paul II.
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