Kirchensteuern – Segen oder Fluch?

In der Schweiz ist genau dieser Fall eingetreten

Katholische Wochenzeitung, 12/2011, 25. März 2011

Der Vorschlag des Churer Generalvikars, Dr. Martin Grichting, die Kirchensteuern im herkömmlichen Sinn abzuschaffen und durch ein Mandatssteuersystem zu ersetzen, wie es etwas in Italien praktiziert wird, hat heftige Reaktionen ausgelöst. Vertreter des Staatskirchenwesens, aber auch prominente Geistliche, wie der Zürcher Generalvikar Dr. Josef Annen, haben dem Mandatssteuersystem eine klare Absage erteilt. Die Frage stellt sich: Was spricht für, was gegen die Kirchensteuer? Und: Worum geht es den Verfechtern und den Gegnern des heutigen Kirchensteuersystems in der Schweiz eigentlich?

Vereinfachend erklärt, funktioniert dieses weltweit einmalige System so: Der Staat zieht für die drei sogenannten Landeskirchen, also die römisch-katholische, die evangelisch-reformierte und die christkatholische Landeskirche, die Steuern ein. Wer einer dieser drei Kirchen angehört und nicht explizit den Austritt erklärt hat, zahlt demnach neben Gemeinde-, Kantons- und Bundessteuern auch Kirchensteuern. Das gilt übrigens nicht nur für natürliche, sondern auch für juristische Personen, das heisst Firmen, Unternehmen, Vereine, usw., die gewinnorientiert arbeiten und daher der Steuerpflicht unterworfen sind.

Die Vorteile dieses Systems für die Kirche liegen auf der Hand: Sie partizipiert am Steuereinkommen und hat viel Geld zur Verfügung, besonders, weil auch Menschen, die an  und für sich mit der Kirche nicht viel zu tun haben, aber formell trotzdem einer Konfession zugehörig sind, und juristische Personen Kirchensteuern bezahlen. Ausserdem erledigt der Staat für sie den ganzen administrativen Aufwand, der bei der Erhebung der Steuerveranlagung und beim Einzug der Steuern anfällt.

Der Haken an der Sache ist allerdings: Das vom Staat eingezogene Kirchensteuergeld fliesst nicht etwa der Kirche direkt zu, sondern einer parallel zur Kirche existierenden Form einer sogenannten Staatskirche. Konkret: Jede Schweizer Katholikin, jeder Schweizer Katholik ist nicht nur Mitglied der weltweiten katholischen Kirche, eines Bistums und einer Pfarrei, sondern – zwangsweise – auch auf Gemeinde- und Kantonsebene je einer staatskirchlichen Körperschaft, die sich z.B. “Kirchgemeinde” und “Kantonalkirche” nennt.
Diese Körperschaften organisieren sich nach demokratischen Prinzipien, sie kennen die Gewaltentrennung, verfügen also über eine Exekutive, eine Legislative und eine juristische Kontrollinstanz, und führen Wahlen und Abstimmungen durch. Ihre Aufgabe ist primär die Verwaltung der Steuergelder: Sie erledigen damit die weltlichen Geschäfte der Kirche und ermöglichen damit das kirchliche Leben.

Man merkt: Dieses System funktioniert hervorragend, solange es zwischen der eigentlichen Kirche und den erwähnten Körperschaften ein einvernehmliches Zusammenarbeiten gibt. Sobald jedoch die Körperschaften beginnen, ein Eigenleben zu führen, das ihnen anvertraute Geld nicht mehr bloss verwalten, sondern mit ihm Politik machen und seine Weitergabe an Bedingungen knüpfen, ist der Konflikt vorprogrammiert. Der Segen des Kirchensteuersystems wird für die Kirche zum Fluch, weil es sie in ihrem Auftrag, das Wort Gottes gelegen oder ungelegen zu verkünden, massiv behindert.

In der Schweiz ist genau dieser Fall eingetreten

Die meisten Körperschaften werden von Frauen und Männern geleitet, die in kritischer Distanz zu Rom stehen. In fast allen Fragen, die die Gemüter bewegen – Frauenordination, Zölibat, Laienpredigt, Gestaltung der Liturgie, Sexualmoral, Abtreibung usw., nehmen sie eine Haltung ein, die von der offiziellen Lehre der Kirche abweicht. Da sie über die Finanzen verfügen, setzen sie diese ein, um die Kirche in ihrem Sinn zu beeinflussen. Am deutlichsten geschieht das im Personalwesen: Seelsorger, die im Geist der Kirche arbeiten wollen, werden nicht angestellt. Ihr eigentlicher Vorgesetzter, der Bischof, kann sie nicht dort einsetzen, wo er möchte, weil ja nicht er, sondern die entsprechende Körperschaft die Besoldung vornimmt. Neu ist, dass die Körperschaften nicht nur auf Gemeinde-, sondern auch auf Bistumsebene die Personalpolitik beeinflussen wollen, wie der Fall des aktuellen Streits im Bistum Chur zeigt.

In diesem Streit steht eine der mächtigsten Körperschaften, die Zürcher Kantonalkirche, bzw. deren Parlament, die Synode, und deren Exekutive, der Synodalrat unter Führung seines Präsidenten, Dr. Benno Schnüriger, dem Bischof von Chur gegenüber. Schnüriger hat schon öfters moniert, dem Bischof ” auf Augenhöhe entgegentreten zu wollen”, das heisst, in Bistumsangelegenheiten als gleichberechtigter Verhandlungspartner abzeptiert zu werden, ohne den keine Entscheidung gefällt werden darf. Als Bischof Vitus Huonder Weihbischof Marian Eleganti von Zürich zurück nach Chur berief, um ihm die Leitung des Priesterseminars anzuvertrauen, reagierte Schnüriger verärgert, er habe diesen Personalentscheid erst aus den Medien vernommen.

Der Synodalratspräsident glaubt sich zu einer solchen Einschätzung des Gewichts seiner Behörde und seiner Person legitimiert durch die Tatsache, dass die Zürcher Kantonalkirche jährlich ca. 50 Mio. Franken an Steuergeldern generiert – dabei ist das Steueraufkommen der einzelnen Kirchgemeinden nicht miteinberechnet -, und durch den Umstand, dass er sein Amt, das übrigens als 55-Prozent-Pensum mit einem Jahresgehalt von rund 100 000 Franken garniert ist, in einer demokratischen Ausmarchung erworben hat. Er übersieht dabei allerdings ein Faktum: Sein demokratisch erworbenes Mandat bezieht sich lediglich auf die Verwaltung der Kirchensteuergelder; zur Einmischung in Liturgie und Pastoral ist er nicht befugt. Mal ganz abgesehen davon, dass Wahlen in staatskirchliche Behörden oft genug nur den Schein der Demokratie wahren, in Tat und Wahrheit aber reine Kooptionen sind: Die Behörde selbst sucht sich unter Gleichgesinnten passende Nachfolger für zurücktretende Amtsträger aus und lässt sie dann in einer “Wahl” ohne Gegenkandidaten von den Stimmberechtigten absegnen.

Ist es unter diesen Umständen ein Wunder, dass sich die Vertreter des Staatskirchenwesens mit Händen und Füssen gegen jegliche Änderung des Systems wehren? Die Abschaffung der Kirchensteuer hätte nämlich zur Folge, dass all die Körperschaften mitsamt ihren zum Teil recht fetten Pfründen auf einen Schlag ohne Geld dastehen würden. Ihr wichtigstes Druckmittel wäre weg, ja ihre ganze Daseinsberechtigung stünde zur Debatte, da ja das Verwalten der Steuergelder ihr eigentlicher Sinn und Zweck ist.

Natürlich hätte auch die Kirche die Folgen zu tragen: Erstens würden ihre Einnahmen spürbar zurückgehen: Das Mandatssteuersystem – Prinzip: jeder Steuerzahler entscheidet selbst, welcher wohltätigen Organisation die “Kirchen”steuern zugute kommen – bringt weniger Geld als das Kirchensteuersystem, ein Verzicht auch auf die Mandatssteuer würde die Kirche ganz von der Vorsehung Gottes, sprich: Spenden abhängig machen. Ausserdem hätte die Kirche all jene Aufgaben selbst zu übernehmen, die bis anhin von den Körperschaften ausgeführt wurden. Dafür wäre sie frei in ihren Entscheidungen.

Die Frage ist: Welches System entspricht eher dem der Kirche? Schaut man sich weltweit ein wenig um, merkt man bald, dass ein Kirchensteuersystem, wie es die Schweiz kennt, sonst nirgendwo vorkommt. In den meisten Ländern der Erde lebt die Kirche von Spenden, ist zwar so arm, aber niemandem verpflichtet. In der Schweiz können wir uns eine solche Kirche noch nicht richtig vorstellen. Doch vielleicht wird uns die Entscheidung, welches System wir wollen, eher abgenommen, als uns lieb sein kann: Die Kirchenaustritte häufen sich, die Weitergabe des Glaubens ist akut gefährdet, nicht zuletzt deshalb, weil eine zeitgeist-orientierte Katechese grundlegende Glaubenswahrheiten verschweigt oder verdunkelt.

In den Körperschaften scheint man diese Gefahr entweder nicht zu kennen oder zu ignorieren. Dem kurzfristigen “Erfolg”, dem Bischof auf “Augenhöhe zu begegnen”, wird die Zukunft der Kirche in unserem Land geopfert. Aber mit den Finanzverwaltern hatte die Kirche von Anfang an ihre liebe Not. Der allererste von ihnen wurde schon zum Verräter…

Kirchenrecht

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