Die “Verwüstungen der Theologie”
…..und die Krise des Glaubens
Rom, Tagespost.de/Zenit.org, 09.03.2011
Ein Erinnerungsversuch mit Josef Pieper
Die Theologen des Memorandums “Kirche 2011: Ein notwendiger Aufbruch” sehen in den vermehrten Kirchenaustritten des vergangenen Jahres den Versuch, das eigene “Glaubensleben” durch Privatisierung “vor der Institution zu schützen”. Doch was ist das für ein Glaube, der da geschützt werden soll? Ein Blick zurück macht deutlich, dass es sich wohl umgekehrt verhält. Zu schützen wäre der “Glaube der Kirche” – vor den “Verwüstungen der Theologie”.
Dieses Wort stammt von dem deutschen Philosophen Georg Friedrich Hegel. Wenige Jahre vor seinem Tod (1831) hält er fest: „In den Glaubenslehren dieser Theologen wird man finden, dass die Dogmen bei ihnen sehr dünne geworden und zusammengeschrumpft sind, wenn auch sonst viele Worte gemacht werden.”
In einem Artikel für die Frankfurter Allgemeine Zeitung (Theologen-Memorandum-Kommen wir zur Sache)! hat Kardinal Walter Kasper unter Berufung auf Johann Baptist Metz an die Unterzeichner des Memorandums die rhetorische Frage gestellt, ob sie denn “im Ernst” glauben, dass die Kirchenverfassung heute eine existenzielle Frage der Menschen ist. Ist es nicht eher umgekehrt: “dass die Kirchenkrise eine Folge der Gotteskrise ist?” Das gibt Anlass zu weiteren Fragen, wie es denn zu der Gotteskrise gekommen ist, und ob nicht das Wort von der “Gotteskrise” nur Ausdruck für ein Phänomen ist, dessen eigentlicher Name die moderne “Glaubenskrise” ist.
Noch vor Metz hat Josef Pieper “von der Schwierigkeit, heute zu glauben” gesprochen. Ein Aufsatzband unter diesem Titel erschien wenige Jahre nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Der Band enthält einen Grossteil jener unvermindert aktuellen Aufsätze und Reden, die Pieper als “notgedrungene Klärungsversuche” verstanden hat. Seine erklärte Absicht ist es, das grundlegende Verständnis von Eucharistie, Priestertum und Sakralität durch begriffliche Klärung im Anschluss an die kirchliche Lehre und insbesondere an das für allerlei Missdeutungen in Anspruch genommene Konzil zu bewahren und gegen die Umdeutungsversuche einer modernen “Pseudo-Theologie” zu verteidigen.
Wer die Texte Piepers heute wieder liest, wird die von Kardinal Kasper in der gegenwärtigen Debatte vermisste Radikalität des Denkens längst eingelöst finden. Doch Piepers Klärungsversuche blieben unbeachtet, wie auch seine zahlreichen Einsprüche gegen irreführende Fehlübersetzungen der in jeder Messfeier wiederkehrenden Gebete des Ordo Missae unberücksichtigt blieben.
In einem Brief Kardinal Ratzingers vom 2. Mai 1988 an Josef Pieper bedauert der damalige Präfekt des Glaubenskongregation, dass sich über die Liturgischen Institute “international mit einem bestimmten Kreis von “Fachleuten” auch eine ganz bestimmte Tendenz zum Täter und Richter in Liturgicis aufgeschwungen [hat], und keine Bischofskonferenz war bisher imstande, sich dieses Kartells zu erwehren, falls das Problem überhaupt als solches gesehen worden ist. Die nächste Generation wird hier viel zu tun haben.”
Im gleichen Jahr hat Pieper im dritten Band seiner autobiographischen Aufzeichnungen, in dem Kapitel “Nachkonziliare Wirrnisse”, die Geschichte seines Scheiterns erzählt. Er scheitert mit seinen notgedrungenen Klärungsversuchen an der fehlenden Bereitschaft zur”radikalen” Selbstvergewisserung des Glaubens in der damaligen Theologie. Diese versucht die ihr seit der Aufklärung zugewiesene Rolle einer kognitiven Minderheit dadurch loszuwerden, dass sie eine Anpassung von Sprache, Denken und pastoraler Praxis als nachgeholte Aufklärung betreibt, und damit die besondere Schwierigkeit heute zu glauben nicht vermindert, sondern verschärft hat.
Hegels an die Adresse der Aufklärung gerichtete Klage von den “Verwüstungen der Theologie” besitzt, wie Pieper in der Vormerkung zu dem erwähnten Aufsatzband von 1974 bemerkt, “gerade für den gegenwärtigen Augenblick eine beklemmende Aktualität. Das Wort zielt auf den aufgeklärten, biblisch gebildeten Agnostiker und auf eine ohne Glauben betriebene “Theologie”. Darum sah Hegel im Agnostizismus das zentrale philosophische Vorurteil der Theologie und in seiner Kritik die vorrangige Aufgabe der Philosophie. Wie Hegel ist Pieper der Meinung, “dass hier dem Philosophierenden ein Amt zufällt, dass von niemandem sonst wahrgenommen werden kann.”
Wer sich die Mühe macht, das Hegel-Wort von der “Verwüstung” nachzuschlagen, wird überraschende Parallelen zur gegenwärtigen Situation entdecken. Seine Beschreibung des damaligen Agnostizismus und seiner Auswirkungen auf die Theologie ist von einem hohen Wiedererkennungswert. Hegel sieht das Denken seiner Zeit in einer “substanzlosen Reflexion seiner in sich selbst” gefangen. Er bezieht sich damit auf den in Philosophie und Wissenschaft der Moderne gleichermassen beherrschenden Gedanken, nur das einzusehen und gelten zu lassen, was die Vernunft selbst – nach ihren eigenen Begriffen – hervorgebracht hat. Alle sachhaltige Objektivität ist ein Produkt von Verstand und Vernunft. Die “Dinge an sich” sind uns verborgen, und Gott, Freiheit, Unsterblichkeit, ewige Glückseligkeit, diese Gegenstände von höchstem menschlichem Interesse, liegen jenseits dessen, wovon es ein begründetes Glaubenswissen geben kann. Der Blick nach oben ist verstellt und die ganze Aufmerksamkeit des Menschen gilt der irdischen Welt. Hegel wörtlich: “Je mehr sich die Erkenntnis der endlichen Dinge ausgebreitet hat, indem die Ausdehnung der Wissenschaften fast grenzenlos geworden ist und alle Gebiete des Wissens zum Unübersehbaren erweitert sind, umso mehr hat sich der Kreis des Wissens von Gott verengt. […] Früher hatte der Geist darin sein höchstes Interesse, von Gott zu wissen […]. Unsere Zeit hat dies Bedürfnis […] beschwichtigt, wir sind damit fertig geworden, und es ist abgetan. […] Diesen Standpunkt muss man dem Inhalte nach für die letzte Stufe der Erniedrigung des Menschen erachten, bei welcher er freilich umso hochmütiger zugleich ist, als er sich diese Erniedrigung als das Höchste und als seine wahre Bestimmung erwiesen zu haben glaubt.”
Für Hegel sind Religion und Theologie der neueren Zeit heruntergekommen zu einer Sache des blossen Gefühls und der historischen Kritik substanzieller Glaubensaussagen. Man tut alles, “um das Bestimmte der Religion aufzulösen”, Dogmen, also substanziale Glaubensaussagen, werden “vornehmlich historisch behandelt”. “Man beschäftigt sich mit Wahrheiten, die Wahrheiten waren, nämlich für andere, nicht mit solchen, welche Eigentum wären derer, die sich damit beschäftigen”, und “über die Frage, was man selbst für eine Überzeugung habe, wundert man sich”. In Hegels “Vorlesungen über die Ästhetik” findet sich jenes später so berühmte Wort, das in der veränderten Einstellung zum religiösen Kultsymbol die Distanz des modernen Bewusstseins zur sakralen Präsenz des Göttlichen deutlich macht: “Mögen wir die griechischen Götterbilder noch so vortrefflich finden und Gottvater, Christus, Maria noch so würdig dargestellt sehen – es hilft nichts, unser Knie beugen wir nicht mehr.”
Kant dachte hier nicht weniger radikal, wenn er das Gebet, verstanden als Anrede Gottes, zusammen mit dem Glauben an Wunder und Sakramente zum “Wahnglauben” zählt. “Ein herzlicher Wunsch, Gott in allem unserem Tun und Lassen wohlgefällig zu sein, d. i. die alle unsere Handlungen begleitende Gesinnung, sie, als ob sie im Dienste Gottes geschehen, zu betreiben”, das ja. Das ist für Kant der rechte “Geist des Gebets”! Aber: “Dass ein Mensch mit sich selbst laut redend betroffen wird, bringt ihn vor der Hand in den Verdacht, dass er eine kleine Anwandlung von Wahnsinn habe.” (Religionsschrift, IV. Stück)
Hegels Versuch einer Rettung des Christentums durch Ausweitung des Vernunftanspruchs auf den Gehalt der christlichen Dogmatik konnte nicht gelingen. Das Scheitern der reinen Vernunft an der uneinholbaren Vorgegebenheit des Glaubens hat die Reduktion des Christlichen auf das Moralische und die Anpassung der Dogmatik an das pastoral Mögliche weiter verstärkt. Doch gibt es zwischen Hegels Versuch einer “Aufhebung” des Christentums in reine Vernunft und Kants Religionskritik eine tiefer liegende Gemeinsamkeit. Es sind beides Versuche, sich der christlichen Wahrheit zu bemächtigen – ohne zu glauben, das heisst: “auf andere Weise als durch glauben”.
Was für Thomas von Aquin weder denkbar noch existenziell tragfähig war, ist zum beherrschenden Kennzeichen der christlichen Moderne geworden. Ihre Grundhaltung besteht darin, “nicht zu glauben, was man glaubt” (Charles Péguy). Zu glauben, was ja heisst, jemand in einer mir unbekannten Sache zu vertrauen, scheint jetzt mit der Würde der autonomen Vernunft unvereinbar zu sein.
Was die Absolutsetzung der Vernunftautonomie für das Selbstverständnis der Universitätstheologie heissen kann, wird schlaglichtartig erhellt durch eine briefliche Mitteilung der katholischen Schriftstellerin und Intellektuellen Ida Friederike Görres an Josef Pieper. Sie berichtet am 10. Mai 1969 von einem Gespräch mit dem Meissener Bischof (und SED-Regime Kritiker) Otto Spülbeck, der gehört habe, “Ratzinger begründe seinen Abschied von Tübingen zumindest auch damit, dass die Studenten ihm vorwerfen: er glaube ja an das, was er vorträgt, und dies sei für einen Professor , nicht mehr tragbar!!! Gibt es ein deutlicheres Bekenntnis des Zeitgeistes?” Die vom Zeitgeist in Gestalt ihrer Tübinger Universitätsprofessoren geprägten Studenten waren offenkundig der Meinung, dass Theologie nur als “glaubenslose Theologie” glaubwürdig und wissenschaftlich verantwortbar sein kann, und das nicht bloss methodisch (etsi Deus non daretur), sondern auch existenziell.
Ich möchte annehmen, dass hier, in der Frage des persönlichen Glaubens, die wirkliche Grenzlinie verläuft. Deshalb wäre es zu einfach, die Gegensätze entlang der plakativen Unterscheidungen von links und rechts oder progressiv und konservativ auszumachen. “Toten” Glauben ohne wirkliche Hoffnung und ohne Gottesliebe kann es auf beiden Seiten geben.
Bereits 1935 hat Josef Pieper in einem Artikel “Über die Missionssituation der Kirche in Deutschland” auf eine Selbsttäuschung aufmerksam gemacht, die heute nicht weniger verbreitet ist: „Es ist eine zwar naheliegende und darum vielgeübte, aber falsche und außerordentlich gefährliche Weise der Antwort auf die gegenwärtige Situation des Christentums, gerade das Sekundäre zu verstärken und auszubauen. Diese Weise der Antwort ist das Gegenteil des eigentlich Notwendigen. Sie entspringt einer Art von Trägheit, die den ,neuen Anfang‘ scheut, der jedem Missionar aufgegeben ist. Mit dieser Trägheit ist es etwa so, wie wenn die Lebenskraft eines Baumes sich ganz in das Wachstum eines einzelnen Zweiges ausgeben wollte, statt wieder in den Stamm zurückzukehren und neue Zweige, neben und über dem ersten, zu treiben.”
Schon viel zu lange fehlt dem Christentum auch da, wo der Gehalt des Glaubens nicht in Frage gestellt wird, das Lebenszeichen des Missionarischen. Es fehlt ihm an der Fähigkeit, die Sehnsucht nach Gott im Herzen der Menschen zu wecken und zu nähren.
Nicht Anpassung des kirchlichen Glaubens an die moderne Welt ist das Gebot der Stunde. Allein die Erneuerung des Glaubens wird neuen Glauben wecken. Und dazu bedarf es auch einer Erneuerung der Theologie.
[Der Autor ist Rektor der Theologischen Fakultät Paderborn und hat dort den Lehrstuhl für Systematische Philosophie inne. Die im Beitrag genannten Texte von Josef Pieper sind ungekürzt nachzulesen auf: Josef Pieper Arbeitsstelle
Bemerkungen-über-die-Missionssituation der Kirche in Deutschland
Josef-Pieper-Arbeitsstelle
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