Sorge um die katholische Identität

Über die Spannungen und positiv beurteilte Ansätze in der Kirche

Interview NZZ mit Vitus Huonder, Bischof von Chur, 18.02.2011

Im Bistum Chur bleiben nach Klärung zweier personeller Streitpunkte grundsätzliche Probleme.
Bischof Huonder will die Kirche offen halten, setzt aber einige Hoffnung in bestimmte Gemeinschaften und will dem alten Ritus einen Platz geben.

Die Frage eines zweiten Weihbischofs hatte für die Kritiker wie offenbar auch für Sie eine grosse Bedeutung erhalten. Wie ist dies zu erklären?

Mit dem Wunsch nach zwei Weihbischöfen wollte ich aufgreifen, was seit 1993 bestand – auch im Sinn einer Bereicherung für das Bistum und die Bischofskonferenz. Zu Diskussionen kam es um Personen, besonders als durch Indiskretion Namen bekanntgeworden waren.

Die Stimmung schien seit längerem klar. Wieso brauchte es den Verzicht von Generalvikar Martin Grichting, um zum entsprechenden Entscheid zu gelangen?

Ein Weihbischof muss gut mit dem Diözesanbischof harmonieren, er muss eigentlich sein Mann sein. Wenn ein oder zwei Namen bekanntwerden, muss sich der Bischof aber auf das Gespräch einlassen und schauen, wie die verschiedenen Gremien und auch Einzelpersonen tatsächlich reagieren. Es war für mich sehr wichtig, genügend Zeit für diese Abklärung zu haben.

Sie hätten Grichting auch gegen dessen Willen dem Papst vorschlagen können.

Nach allen Diskussionen wird ein Bischof doch überlegen, ob etwas für das Ganze des Bistums gut sei. Ein Bistum muss gewissermassen “regierbar” sein.

Eine zentrale Rolle spielten die staatskirchenrechtlichen (kantonalen) Strukturen. Erleben Sie diese Organe nur als Gegenspieler?

Die Menschen, die in diesen Strukturen arbeiten, schätze ich, auch wenn ich die Strukturen nicht als optimal betrachte. Ich sehe, dass diese Organisationen landesweit immer mehr durch Kirchenaustritte ausgehöhlt werden. Das hat sicher auch einen Zusammenhang mit der Steuerpflicht. Man muss sich deshalb fragen: Wie geht das in die Zukunft? Wie werden unsere Mitarbeiter in 20, 30 Jahren finanziert? Wenn es so weitergeht mit den Austritten, werden wir in grosse Schwierigkeiten geraten. Es kommt die Frage hinzu, was kirchlich intern und was extern ist: Wo muss der Bischof seine Freiheit haben, und wo ist etwas Sache dieser Strukturen? Es ist also auch eine Frage der Kompetenzen.

Die demokratischen Strukturen stehen auch für eine “Volkskirche”. Sollte die Kirche nicht für möglichst viele Menschen offen sein? Oder geht es Ihnen um eine Kirche mit eindeutigem Profil, die aber wohl kleiner wäre?

Eigentlich möchte ich beides in der Kirche wissen. Es gibt immer einen Kern, der die Kirche stark trägt, eine Art Elite, Bewegungen, die tief im Glauben verankert sind. Auf der anderen Seite muss man auch Menschen mitnehmen, die, wie man so sagt, etwas “lauer” sind. Das gehört zum Gesamtleben der Kirche. Ich befinde nicht darüber, ob ein Mensch zur Kirche gehört oder nicht; dies ist letztlich sein Geheimnis.

Wäre eine Kirche Engagierter, die freiwillig Beiträge zahlen, eine Alternative?

Es wäre einfach das, was bleibt, wenn das bisherige System weiter erodiert oder vielleicht durch einen Volksentscheid aufgehoben wird.

Worauf arbeiten Sie hin?

Gegenwärtig wird die Frage auch auf der Ebene der Bischofskonferenz diskutiert, in Zusammenarbeit mit Rom. Man schaut, wie man das System optimieren könnte, auch im Hinblick auf die Trennung der Kompetenzen und auf die Bezeichnungen. Ich stehe hinter dem, aber dies schliesst nicht aus, dass man auch das andere im Hinterkopf  haben muss.

Sehen Sie neben einem Zerflattern auch lebendige Kräfte in Ihrer Diözese, nicht nur auf der traditionellen Seite?

Die Erosion ist gegenwärtig stark, und vieles zerflattert. Aber ich sehe auch viele Aufbrüche, so etwa in Bewegungen. Sie basieren auf der Identität der katholischen Kirche und haben jeweils Ihre eigene Ausprägung, wenn ich etwa an die Fokolar-Bewegung denke, die schon etwas älter ist, oder an die Gemeinschaft “Seligpreisungen”, etwas Neueres, das aus Frankreich kommt.

Diese unterschiedlichen Bewegungen, die intensiv den Glauben leben, haben für die Zukunft der Kirche grosse Bedeutung, auch wenn es kleine Gemeinschaften sind. Es gibt auch die sogenannte Tradition, sehr lebendige Kreise, wo man auch viele grosse Familien findet. Ich fördere das, aber nach Möglichkeit muss der Bischof das Leben eines jeden Gläubigen fördern.

Ein Schlüssel für die Zukunft der Kirche ist auch der Nachwuchs an Seelsorgern. Am Priesterseminar hat nun der Leiter wegen Differenzen den Rücktritt erklärt.

Zwischen Regens und Bischof braucht es ein gutes Vertrauensverhältnis. Das hat nun gelitten, weil der Bischof etwas andere Vorstellungen von seiner Verantwortung für das Seminar hat als der Regens.

Der bisherige Regens, Ernst Fuchs, sagte, es seien ihm ungeeignete Seminaristen aufgezwungen worden.

Ich habe die Tendenz, gewisse Kandidaten länger prüfen zu lassen und ihnen eine Chance zu geben, während der Regens meint, sie seien auszuschliessen. Ich möchte auch Menschen eine Chance geben, eine Ausbildung für die ausserordentliche Form des Ritus zu erhalten, ohne dass sie sich vom Bistum verabschieden müssen. Ich nehme sie als Priesteramtskandidaten an und bin dann besorgt, dass sie entsprechend eingesetzt werden können.

Die Bischofskonferenz legt Wert darauf, dass die Zulassung des alten Ritus nicht zu Spaltungen führt. Wenn Priester speziell dafür ausgebildet werden, läuft es nicht auf eine Sondergruppe hinaus?

“Sondergruppe” würde ich nicht sagen. Es ist eine Gruppe innerhalb der Kirche mit einer sehr langen, sehr reichen Tradition. Man sieht auch hier die Vielfalt der Kirche. Man kann ja auch nicht sagen, die Dominikaner seien eine Sondergruppe, weil sie ein Eigengut in der Liturgie hatten. Man muss von integrierten Gemeinschaften (von Priestern und Gläubigen) reden, die eine bestimmte Form pflegen.

Ist es angesichts des Priestermangels nicht ein Luxus, Priester speziell für den ausserordentlichen Ritus auszubilden?

Es geht bei dieser Form nicht nur um die Messe, sondern um alle Feiern und die Sakramente. Dafür braucht es eine besondere, langjährige Ausbildung, und zwar in einer eigenen Institution. Unser Seminar kann das nicht leisten. Gegenwärtig ist das alles ohnehin eher Theorie. Seminare wie das in Wigratzbad (Bayern) sind meistens auf Gemeinschaften begrenzt. Wenn ein Theologe da ist, der das wünscht, dann bin ich aber dafür besorgt, dass er eine solche Ausbildung erhält und dann bei uns in den entsprechenden Gemeinschaften eingesetzt werden kann. Es gibt einen solchen Anwärter, und den habe ich auswärts geschickt.

Wie wird es unter der Leitung von Weihbischof Eleganti weitergehen?

Es wird etwa so weitergehen wie bisher; denn Regens Fuchs hat eine gute Arbeit gemacht, auch wenn es Meinungsverschiedenheiten gab. Die Details sind sicher noch zu besprechen.

Der ehemalige Abt Marian Eleganti steht für eine abgeschlossene Lebenswelt. Ist das günstig?

Weihbischof Eleganti hat einen sehr guten Draht zur Welt der jungen Leute, und er ist als Ordensmann sehr spirituell. Insofern bringt er ideale Voraussetzungen mit.

Ziehen Sie aus den Entwicklungen, die zu den beiden Entscheiden geführt haben, bestimmte Schlüsse?

Ich werde mit teilweise neuen Mitarbeitern den bisherigen Weg weitergehen. Das Ziel ist die Erneuerung des Glaubens, auch die Festigung der katholischen Identität, das gehört ja wohl zu den Aufgaben eines katholischen Bischofs.
Es zeigt sich immer klarer, dass die katholische Identität keine Selbstverständlichkeit ist.

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