Homilie in der Hl. Messe anlässlich des Studierendentreffens

Homilie Bischof Vitus Huonder von Chur

Chur, 13. Februar 2011 im Priesterseminar St. Luzi

Brüder und Schwestern im Herr

“Der Mensch hat Leben und Tod vor sich; was er begehrt, wird ihm zuteil” (Sir 15,17). Jesus Sirach ist ein sehr praktischer Mensch. Er ist ein Lehrer. Er steht in der Erziehung junger jüdischer Männer. Er steht in der Erziehung zum gesellschaftlichen Leben in einem jüdischen Umfeld, in der Erziehung ebenso zum Leben mit Gott, zum Glauben. Er entwickelt daher keine langen, schwer nachvollziehbaren Theorien. Er führt seine Hörer immer ohne Umschweif zum Kern der Sache. Er zeigt in kurzen und einprägsamen Redewendungen, was für den jüdischen Alltag nützlich und was schädlich ist. Das ist denn auch der Fall im heutigen Abschnitt. Ein sprechendes Beispiel ist der markante Satz: “Der Mensch hat Leben und Tod vor sich; was er begehrt, wird ihm zuteil”.

Leben und Tod ist nicht nur eine Umschreibung für dieses Leben und für das, was dieses Leben fördert und vollendet oder eben zerstört. Leben und Tod ist hier auch in einer weiteren Dimension zu sehen: Das geistige Leben, der geistige Tod. Das ist bereits ein wichtiger Ansatz für die Wahrheit des ewigen Lebens, welche sich in der Zeit, in welcher Jesus Sirach lehrt und schreibt, in einem gewaltigen Entfaltungsprozess steht, so dass der Glaube an das ewige Leben, wie er Inhalt der christlichen Botschaft wird, in immer deutlicheren Zügen dem Menschen vor Augen gestellt wird.

“Der Mensch hat Leben und Tod vor sich; was er begehrt, wird ihm zuteil”. Dieser Merksatz zeigt auf, wie sehr der Mensch sein Schicksal bestimmt, was wiederum voraussetzt, dass der Mensch eben so geschaffen ist, dass er wesentlich zu seiner Selbstbestimmung beiträgt und nicht einfach Dulder eines Schicksals ist. Von ihm selber hängt Entscheidendes ab, nicht nur für das Gelingen des Alltags, sondern auch für das Endgültige, Bleibende und Ewige. Das sagt Jesus heute in ganz deutlichen Worten: “… wenn dich deine rechte Hand zum Bösen verführt, dann hau sie ab und wirf sie weg! Denn es ist besser für dich, dass eines deiner Glieder verlorengeht, als dass dein ganzer Leib in die Hölle kommt” (Mt 5,30). Solche Worte dürfen wir nicht einfach ausblenden. Zu erklären brauche ich sie nicht. Sie bedürfen keines Kommentars.

Der heilige Thomas sagt, der Mensch als Abbild Gottes sei der Urgrund seiner Werke, und er sei seines Tuns mächtig. Auf diesem Grundsatz baut er die gesamte Ethik oder Moraltheologie auf. Doch eben dieses “seines Tuns mächtig” ist stark bedroht in einer Gesellschaft, die so auf den Menschen einwirkt, dass er seine Eigenständigkeit sowie seine Selbstkontrolle verliert, und somit sein moralisches Urteilsvermögen arg Schaden nimmt. Er wird zum Objekt der Gesellschaft, ohne es zu merken. Er wird fremdbestimmt und kommt in einen Sog von Zwängen, die seine Persönlichkeit stark verändern.

“Der Mensch hat Leben und Tod vor sich; was er begehrt, wird ihm zuteil”. Der innerste Kern des Handelns – des Begehrens, wie es Jesus Sirach sagt – ist das Gewissen. Durch das Gewissen gibt der Mensch seinem Tun die Richtung. Durch das Gewissen kann er sich die objektiv gegebenen, von Gott gesetzten sittlichen Normen aneignen und zur Grundlage seiner Entscheidungen machen. Durch das Gewissen, kann er über Leben und Tod befinden und über den Weg, der dahin oder dorthin führt.

Doch das Gewissen macht etwas nicht gut oder schlecht, es urteilt vielmehr darüber, ob etwas vor Gott gut oder schlecht ist. Es legt nicht die Normen fest, es nimmt die Normen auf und entscheidet auf Grund der Normen, das heisst, der Gebote Gottes. Deshalb ist für den Menschen die Kenntnis der Gebote Gottes unabdingbar, ebenso die Kenntnis all dessen, was der Darlegung der Gebote dient, nämlich die Morallehre der Kirche. Das bringt bereits Jesus Sirach zum Ausdruck mit den Worten: “Gott gab den Menschen seine Gebote und Vorschriften. Wenn du willst kannst du das Gebot halten.” Und er fügt bei, Gottes Willen zu tun sei Treue (Sir 15,15). Wer Gott treu sein will, wer Gott liebt, erfüllt seinen Willen und geht auf seine Gebote ein. Das bringt ebenso der Herr im heutigen Evangelium unmissverständlich zum Ausdruck, wo er von der grösseren Gerechtigkeit spricht, von einer Gerechtigkeit, die nicht auf ausgeklügelten menschlichen Bestimmungen und Gesetzen gründet, sondern auf dem authentischen Willen Gottes. Was der Herr sagt, ist Gewissensbildung, ja Bildung eines feinen, unmittelbar aus Gott wirkenden Gewissens.

Es ist eine der wichtigsten Aufgaben von Theologen, zur echten Gewissensbildung beizutragen, so dass die Menschen frei werden von gesellschaftlichen Zwängen und Tagesmeinungen jeder Art. Der Mensch muss die Tragweite seines Tuns erkennen können, damit er das “begehrt” (Sir 15,17), das anstrebt, was zum Leben führt, und nicht in den Sog dessen gerät, was den Tod nach sich zieht. Er muss nach seinem Gewissen handeln können. Doch dürfen wir diesen viel gebrauchten Ausspruch nicht dahin missverstehen, dem Menschen, seiner Meinung, seiner Willkür sei letztlich alles überlassen. “Nach dem Gewissen handeln” heisst immer, sich frei orientieren können an der grösseren Gerechtigkeit, von der Jesus spricht, an Gottes Geboten und am Willen des Schöpfers. Theologen haben deshalb die Pflicht, den Menschen die reine, unverfälschte Lehre des Glaubens und des Handelns vorzulegen, damit sie nicht in die Irre gehen und den Tod statt das Leben wählen. Theologen haben deshalb ebenso die Pflicht, sich selber über diese reine, unverfälschte Lehre des Glaubens und des Handelns kundig zu machen und sich darin zu bewähren, damit das Wort des Herrn nicht auf sie zurückfalle: “Wer nur eines von den kleinsten Geboten aufhebt und die Menschen entsprechend lehrt, der wird im Himmelreich der Kleinste sein.” Bemüht euch daher um das Gegenstück: “Wer sie aber hält und halten lehrt, der wird gross sein im Himmelreich.” Es muss unser Wille sein, als Theologen, als Lehrer des Glaubens, diese Grösse zu erreichen. Amen.

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