Der Etikettenschwindel

Beherrscht wer Schlagzeilen zu setzen weiss, die Spielregeln einer Debatte?

Die Tagespost,18.02.2011

Was die Unterstützerliste des Memorandums so alles zeigt: Religionspädagogen und Ruhestandsprofessoren plädieren für die Abkehr von Rom. Von Alexander Kissler

Wer über die Begriffe bestimmt, beherrscht das Denken, und wer Schlagzeilen zu setzen weiss, der definiert die Spielregeln einer Debatte: Nach diesen Gesetzen der Massenkommunikation haben die Initiatoren des Memorandums “Kirche 2011 – Ein notwendiger Aufbruch” fast alles richtig gemacht. Seit das kirchenpolitische Manifest Anfang Februar an die Öffentlichkeit gelangte, zirkuliert es unter der Überschrift, rund ein Drittel der Theologen an deutschsprachigen Universitäten, etwa 150 “deutsche katholische Theologieprofessorinnen und -professoren” forderten einschneidende Reformen, von der Priesterehe über die Aufwertung homosexueller Partnerschaft hin zu mehr kirchlichen Ämtern für Frauen. Beim genauen Blick jedoch auf die Unterzeichner stellt sich heraus, dass eine andere Überschrift den Tatsachen eher entsprochen hätte: “Religionspädagogen und Ruhestandsprofessoren plädieren für Abkehr von Rom.”

Von wegen alles Professoren der katholischen Theologie

Die Zahl der Erstunterzeichner lag am 3. Februar bei 143 Männer und Frauen. Davon sind lediglich 76 an deutschen Universitäten beschäftigt und Jahrgang 1947 oder jünger, liegen also eindeutig unterhalb der gesetzlichen Altersgrenze von 65 Jahren. Die restlichen 67 Erstunterzeichner sind entweder ausserhalb Deutschlands tätig, bereits im Ruhestand oder können 2011 noch emeritiert oder pensioniert werden. Laut Statistischem Bundesamt gab es anno 2008 (neuere Daten existieren nicht) in Deutschland 344 Professoren für katholische Theologie. Ergo rechneten anfangs 22 Prozent der aktiven Theologieprofessoren an deutschen Hochschulen zu den Unterzeichnern, macht eher jeden Fünften als jeden Dritten. Das ist eine erkleckliche Summe, aber eine klare Minderheit.

Bis zum 16. Februar wuchs die Zahl der Unterzeichner auf 248 Professoren – nicht auf 251, wie die Initiatoren unter memorandum-freiheit.de ihre eigene Klientel falsch berechnen. Auch Hubertus Halbfas und Hans Küng zählen mittlerweile dazu. Nur 104 Personen aber liegen unterhalb der Altersgrenze und sind an einer inländischen Hochschule beschäftigt. Dadurch erhöht sich der Prozentsatz zwar auf 30 Prozent der deutschen Professoren für katholische Theologie, liegt aber noch immer unter dem in der ersten Meldung in der “Süddeutschen Zeitung” vom 4. Februar behaupteten Drittel.

Geringer wird die Zahl, legt man die von den Initiatoren verwendete Überschrift streng aus. Es soll sich bei den Unterzeichnern ausnahmslos um “Professorinnen und Professoren der katholischen Theologie” handeln – also doch wohl um habilitierte Lehrstuhlinhaber oder zumindest Privatdozenten. Diese Behauptung hält einer Überprüfung nicht stand. Martin Gertler zum Beispiel hat katholische Theologie studiert und tatsächlich an der von ihm angegebenen “Rheinischen Fachhochschule Köln” eine Professur inne. Diese lautet jedoch auf Kommunikations- und Medienwissenschaften, nicht auf katholische Theologie. Pallottinerpater Andrzej Kozdroj wiederum ist zwar katholischer Theologe an der Philosophisch-theologischen Hochschule Vallendar, firmiert jedoch als promovierter Dozent für alttestamentliche Exegese, nicht als Professor. Matthias Möhring-Hesse von der Universität Vechta ist dem dortigen Institut für Soziale Arbeit, Bildungs- und Sportwissenschaft zugeordnet, wo er eine Professur für philosophische und theologische Grundlagen des sozialen Handelns bekleidet. Einen Professor für katholische Theologie im eigentlichen Sinn wird man ihn kaum nennen wollen. Ähnliches gilt von Sabine Schäper, die als Prof. Dr. theol. an der “Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen” zu Münster im Fachbereich Sozialwesen das Lehrgebiet “Heilpädagogische Methodik und Intervention” vertritt.

Auch die regionale Verteilung ist aufschlussreich

Auch die regionale Verteilung ist aufschlussreich und widerstreitet dem Eindruck einer flächendeckenden Revolte. Von den 182 Lehrenden an deutschen Universitäten, die bis zum 16. Februar unterzeichnet hatten, stammen allein 19 von der Universität Münster, 13 von der Universität Tübingen, 9 von der Frankfurter Goethe-Universität. Zusammen stellen diese drei Hochschulen fast 23 Prozent der Unterzeichner aus Deutschland. Im angrenzenden Ausland sind ähnlich überproportional die katholischen Theologen der Universität Graz mit zwölf Unterstützern vertreten, darunter Vizedekan und Bibelwissenschaftler Christoph Heil und Studiendekanin und Religionswissenschaftlerin Theresia Heimerl.

Ebenfalls einen klaren Schwerpunkt zeigt die Verteilung nach Fächern. Dogmatiker und Kirchenhistoriker sind selten anzutreffen, eindeutig dominieren die Religionspädagogen und, deutlich dahinter, die Pastoraltheologen. Sie bilden zusammen mit 35 Personen die bei weitem grösste Gruppe – über ein Drittel der aktiv lehrenden Unterstützer des Memorandums. Der typische Unterzeichner von “Kirche 2011” ist ein in Westdeutschland sozialisierter, im Westen lehrender männlicher Religionspädagoge gegen Ende seines sechsten Lebensjahrzehnts. Sein Studium fiel in die siebziger, Promotion und Habilitation geschahen dann in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Beispielhaft trug es sich so zu bei dem Religionspädagogen und Unternehmensberater Ulrich Hemel (Jahrgang 1955), der 2008 fast Präsident der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt geworden wäre.

Folgen für den Religionsunterricht

Das deutliche Übergewicht der Pädagogen lässt die Kritik Benedikts XVI. am erschütternd folgenlosen Religionsunterricht in Deutschland in neuem Licht erscheinen. Könnte das Missverhältnis von pädagogischem Aufwand und katholischem Ertrag auch daran liegen, dass gar zu viele Religionslehrer von Religionspädagogen ausgebildet wurden, die sich als innerkirchliche Opposition begreifen? Ist deshalb manche Religionsstunde zur Einführung in vergleichende Ethik verkommen? Auch die starke Präsenz des Katholischen Bibelwerks auf der Unterzeichnerliste erscheint vor diesem Hintergrund aufschlussreich: Vorsitzender Michael Theobald und Stellvertreterin Eleonore Reuter sind ebenso vertreten wie die Beiräte Georg Steins, Ilse Müllner und Gender-Theologin und Juniorprofessorin Anja Middelbeck-Varwick.

Das in Stuttgart ansässige Katholische Bibelwerk schult laut Selbstdarstellung “Haupt- und Ehrenamtliche in der Gemeinde für die Vermittlung der biblischen Botschaft” und “übernimmt im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz bibelpastorale Aufgaben”. Das Bibelwerk vertreibt die Kleinschriftenreihe “Bibel einfach lesen”. In deren erstem Heft, “Einführung in alle Bücher der Bibel”, wird am Römerbrief besonders gerühmt, dass er “mit Junia auch eine Apostolin würdigt und überhaupt überraschend viele Frauen an massgeblichen Positionen der frühen Kirche zeigt”. Eifrig schreiben Ulrike Bechmann, Marie-Theres Wacker und Klaus Bieberstein Bücher und Hefte für das Bibelwerk. Sie unterstützen allesamt das Memorandum.

Die Pensionäre und Emeriti stellen eine gewaltige Gruppe. Von den momentan 182 Unterzeichnern aus Deutschland sind 78 Personen bereits Jahrgang 1946 oder älter. Ihr Anteil liegt also bei über 40 Prozent. Nicht jeder verfügt dabei über eine ähnlich grosse Chuzpe wie der 78-jährige Religionspädagoge Halbfas, der 1968 die kirchliche Lehrerlaubnis verlor und sich 42 Jahre später als Professor der katholischen Theologie bezeichnen lässt. Symptomatisch erscheinen eher Lebensläufe wie jene von Georg Baudler oder Wolfgang G. Esser. Der 74-jährige Baudler rühmt sich seiner Tätigkeit an der “Pädagogischen Hochschule Rheinland” in Aachen von 1971 bis 1984, während der er eine “Neukonzeption des Religionsunterrichts” entwickelt habe, “die auch die Fremdreligionen und die religiöse Symbolwelt in diesen Unterricht einschliesst”. Danach wechselte er an die Philosophische Fakultät der benachbarten Technischen Hochschule. Der 76-jährige Esser wiederum lehrte an der Universität Dortmund Religionspädagogik und schreibt heute bei einem esoterischen Verlag über das “mystische Bewusstsein”, das “in uns” erwache, und die “Religiosität der Zukunft”.

Viel Universitätstheologie, immer weniger Glaube

Sinkenden Studierendenzahlen stehen in Deutschland seit Jahren relativ stabile Professorenstellen gegenüber. Die 344 Professoren katholischer Theologie betreuten anno 2008 nur 7 340 Studenten – ergibt ein rekordverdächtig luxuriöses Verhältnis von 1:21. Diese, universitätspolitisch gesehen, paradiesischen Zustände tragen offensichtlich nicht dazu bei, Glaubensstärke und diskursive Kraft der katholischen Elite nachhaltig zu mehren. So zeigt die Unterstützerliste des Memorandums “Kirche 2011” eben auch: Die üppige Präsenz katholischer Universitätstheologie und die Verdunstung katholischer Überzeugungen sind parallele Phänomene.

Kirche-2011: Ein notwendiger Aufbruch

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