„Da dreht sich gerade etwas“
Peter Seewald über sein Interview-Buch mit Papst Benedikt XVI.
Tagespost, 8. Dezember 2010, von Markus Reder
Peter Seewald über sein Interview-Buch mit Papst Benedikt XVI., die Reaktionen der Medien und die Sehnsucht nach authentischem Christsein. “Die Gegner des Papstes haben mit ihrer Desinformationspolitik und den Zerrbildern, die sie liefern, eindeutig überzogen. Die Leute haben genug davon”, sagt der Journalist Peter Seewald. “Licht der Welt”, sein Interview-Buch mit Papst Benedikt XVI. stürmt gerade die Bestsellerlisten.
Ein paar Zeilen über Aids und Kondome in Ihrem Interview-Buch mit dem Papst haben die medialen Reaktionen auf die Veröffentlichung bestimmt. Haben Sie das erwartet?
Kirche und Sex sind für einen Großteil der Medien immer Reizthemen. Dass die Kondom-Frage Schlagzeilen auslösen würde, war zu erwarten. Der Papst sagt hier ja auch tatsächlich etwas, was in dieser Präzisierung und von dieser Stelle so noch nicht zu hören war, auch wenn er keine neue Morallehre der katholischen Kirche verkündet. Aber vielleicht nimmt die Welt jetzt besser sein Wort wahr, dass im Kampf gegen Aids Kondome nicht die Lösung sind. Es gibt sie ja überall, ohne dass die Ansteckungsrate dadurch entscheidend sinken würde. Umgekehrt ist die Aids-Rate gerade in katholischen Gebieten Afrikas am Geringsten. Das sind die Fakten.
“Wenn Gott wegfällt, ein Gott, der uns kennt und uns anredet, verlieren wir die Grundlagen eines zivilisierten Daseins”
Welche Themen, die Ihnen besonders wichtig erscheinen, sind angesichts dieser Fokussierung auf ein Thema bislang in der öffentlichen Wahrnehmung untergegangen?
In “Licht der Welt” geht es um die Krise der Kirche, aber auch um die dramatischen Probleme der Gesellschaft. Und die Antworten des Glaubens. Eine Art Zwischenbilanz zeigt die noch viel zu wenig wahrgenommenen Leistungen dieses Pontifikates. Bei all dem entsteht ein Porträt des Papstes, seiner Persönlichkeit, aber auch dieses Hirten-Amtes selbst, das in unserer Zeit neue Bedeutung bekommt. Wichtig ist, den Ernst unserer Lage zu begreifen. Auch zu sehen, dass wir vor einem Perspektivwechsel stehen, der unser Denken verändern wird: dass wir nach der Botschaft des Evangeliums eben nicht mehr nur in der Zeit nach, sondern mehr und mehr auch schon in der Zeit vor Christus leben.
Gibt es so etwas wie eine Kernbotschaft des gesamten Gesprächs, eine zentrales Anliegen des Papstes, das immer wieder anklingt und sich wie ein roter Faden durch dieses Buch zieht?
Ja, das ist die große Warnung und Mahnung an die Welt vor dem Verlust der Wahrheit und der Vergiftung des Denkens. Denn wenn Gott wegfällt, ein Gott, der uns kennt und uns anredet, verlieren wir die Grundlagen eines zivilisierten Daseins. Die große Aufgabe der Stunde sei deshalb für die Kirche, die Priorität Gottes neu ans Licht zu bringen. Und ich glaube, wir erleben im Moment mit, dass sich tatsächlich etwas dreht. Ich habe das Buch letzte Woche in Madrid, Mailand und Paris vorgestellt. Überall war eine Art Aufbruchstimmung zu spüren. Man will nicht mehr weitermachen wie bisher, sondern sein Christentum wieder ernster nehmen und authentischer leben. Hinzu kommt, dass in den Augen der Öffentlichkeit die Gegner des Papstes zu weit gegangen sind. Sie haben in ihrer Desinformationspolitik und den Zerrbildern, die sie lieferten, eindeutig überzogen. Es ist genug, sagen die Leute.
Welche Momente in Ihrem Gespräch mit Papst Benedikt XVI. haben Sie persönlich besonders bewegt? Welche Sätze oder Eindrücke prägen Ihre Erinnerung, wenn Sie an die Tage des Interviews in Castel Gandolfo zurückdenken?
Mich hat bewegt, wie der Papst stets versucht, die Dinge gewissermaßen mit den Augen Gottes zu betrachten. Etwa auch in der Frage der Integration. Ein Gott, den Christen als einen Gott der Liebe kennen, der niemanden ausgrenzt und schon gar nicht selektiert. Bei unserem Gespräch war die große Gottesnähe des Papstes zu spüren. Er hat das Licht der Welt gesehen, und gibt dieses Licht weiter. Insbesondere durch die Einfachheit des Glaubens, die er vorlebt. Vernunft und Frömmigkeit finden hier eine faszinierende Symbiose, sie berühren das Herz. Ich muss sagen, ich bin, was die Entwicklung unserer Gesellschaft betrifft, mit einem sehr pessimistischen Bewusstsein in dieses Gespräch gegangen. Aber dann konnte ich etwas Wichtiges lernen. Nämlich dass christliches Denken die Zukunft, die ja immer auf Christus hin ausgerichtet ist, nicht als Bedrohung empfindet, sondern als Hoffnung.
“Dass Ratzinger verkannt wird, ist vielfach einer Berichterstattung zuzuschreiben, die es mit Seriosität nicht sonderlich genau nimmt”
Benedikt XVI. sieht die westliche Gesellschaft allerdings an einem Scheideweg: Entweder gleitet sie in einen Säkularismus ab, der den großen Problemen nichts entgegenzusetzen hat oder sie durchläuft einen Umkehrprozess und entdeckt die Gottesfrage neu. Was macht den Papst Ihrer Meinung nach zuversichtlich, dass eine Gesellschaft, die religiös bereits derart taub ist, doch noch den richtigen Weg einschlägt?
Das ist eine schwierige Frage. Denn zweifellos befinden sich Kirche und Gesellschaft in einem gewaltigen Umbruch. Die Kirche muss sich neu positionieren und weit deutlicher als bisher ihr Profil zeigen. Sie hat etwas zu sagen. Das Christentum ist etwas sehr kluges. Es hat aus dem Evangelium eine Botschaft, die auf die Fragen unserer Zeit antwortet. Es ist, wie Christen glauben, die Offenbarung schlechthin, und ein Angebot der Heilung, der Rettung. Man muss das nur wieder besser sehen lernen, dann kann man all diese Dinge auch ganz neu entdecken. Der Papst hat die Hoffnung, dass die innere Kraft des Glaubens, die im Menschen da ist, dann auch wieder öffentlich mächtig wird. Es braucht halt die Übersetzungsarbeit, die verschütteten Schätze wieder zugänglich zu machen. Ohne Firlefanz. Dies könne allerdings nur gelingen, wenn Menschen das Christentum vom Kommenden her leben.
Sie halten den Papst aus Deutschland für eine der am meisten missverstandenen Persönlichkeiten unserer Zeit. Woran liegt das? Und welche Rolle spielen dabei die Medien?
Ratzinger ist unbequem. Er provoziert den Lifestyle. Die Geschichte aber wird zeigen, dass seine Positionen zeitlos richtig sind. Dass er verkannt wird, ist vielfach einer Berichterstattung zuzuschreiben, die es mit Seriosität nicht sonderlich genau nimmt. Ein Beispiel aus diesen Wochen: Der „Spiegel“ hat das Ereignis des Papst-Buches völlig unterschlagen, und zwar aus rein ideologischen Gründen. Ein Ereignis wohlgemerkt, das in der ganzen Welt Schlagzeilen lieferte. Der Slogan „Spiegel-Leser wissen mehr“ ist in diesem Segment allerdings schon lange unwahr geworden. Spiegel-Leser wissen über Kirchliches und über Fragen des Glaubens nicht mehr, sondern definitiv weniger. Und das wenige, das sie serviert bekommen, besteht nicht selten aus durchsichtigem Propagandamaterial. Es ist primitiv, ein Journalismus ohne Format. Für ein Blatt wie den “Spiegel” ist dieser Mangel an intellektueller Kraft und handwerklichem Können im Grunde peinlich – und für den Leser ist es ziemlich langweilig geworden.
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