Wie es als Christ im Nahen Osten ist

Der Schweizer Kardinal Kurt Koch, der neue Beauftragte des Vatikans für die Ökumene
Paul Badde in “Welt online” 28.10.2010
Ein Gespräch über Christen im Heiligen Land, Minarette in Europa und die aktuelle Islam-Debatte.

Als Nachfolger des deutschen Kurienkardinals Walter Kasper amtiert seit Kurzem der ehemalige Baseler Bischof Kurt Koch als Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen – eine Art “Ökumene-Minister” des Vatikan. Koch wurde 1950 in Emmenbrücke im Kanton Luzern geboren. Zu seinen ersten Herausforderungen zählte die Organisation einer zweiwöchigen Krisensynode im Vatikan zur Lage der Christen im Nahen Osten. Mit ihm sprach Paul Badde.

DIE WELT: Kaum im Amt, wurden Sie sogleich mit der schwierigen Nahost-Synode konfrontiert. Wie lässt sich deren Idee beschreiben?

Koch: Es sind zwei Wirklichkeiten. Erstens kamen hier verschiedene Kirchen des Nahen Osten einmal zusammen, um sich miteinander zu beraten und Wege in die Zukunft zu suchen. Das Zweite war ebenso wichtig und dringend: Dass die Vielfalt dieser Kirchen einmal der Öffentlichkeit bewusst wird. Wenn die Christenheit im Heiligen Land nur noch Steine und Gebäude als Erinnerungsorte hat und keine Menschen mehr, dann ist hier ein wesentlicher Wert verloren gegangen. Der Nahe Osten ohne die Kirchen wäre ein schreckliches historisches Novum. Dass die ganze Universalkirche für diese Entwicklung Sorge tragen und solidarisch sein muss, ist ein sehr hoher und wichtiger Wert.

Die Region ist die Wiege der Christenheit. Wie kann noch verhindert werden, dass Christen von dort in Scharen fliehen, weil sie zwischen die Mühlsteine eines Zusammenpralls der Zivilisationen geraten?

Koch: Wesentlich ist natürlich die politische Situation. Der Nahost-Konflikt prägt sehr. Das Ziel, das Papst Benedikt XVI. im Heiligen Land angesprochen hat, ist: dass die Palästinenser und die Israelis ihre eigene Heimat haben. Dass diese Parteien zwei eigene Staaten haben. Darauf ist unermüdlich hinzuarbeiten. Zweitens müssen die Kirchen aber auch selber Kraft und neuen Mut aus ihrem Auftrag und ihrer Geschichte schöpfen.

Es bedrohen sie aber nicht nur äußere Feinde. Sind nicht auch ihre Konflikte untereinander bedrohlich – die zum Teil seit 1000 Jahren bestehen?

Koch: Auf der Synode war deutlich, dass man das Gemeinsame zu sehen versucht und merkt, dass man nur gemeinsam stark sein kann. Sicher gibt es viele offene Fragen, und natürlich konnte nicht immer in jedem Detail besprochen werden, wo viele Probleme verankert sind. Doch vorherrschend war ein starker Wille, gemeinsam Wege in die Zukunft zu bahnen.

Nun waren hier vor allem verschiedene katholische Kirchen zusammengekommen. Ist aber nicht das größte Problem der Ökumene im Nahen Osten der Konflikt mit der orthodoxen griechischen Kirche, von der Katholiken oft nur als Häretiker verachtet werden? Oder gibt es eine substanzielle Bewegung nach vorne seit dem Besuch Paul VI. bei Patriarch Athenagoras in Jerusalem im Jahr 1964?

Koch: Diese Begegnung war ein großartiger Beginn, der in den jahrzehntelangen Gesprächen viele Früchte gebracht hat. Dennoch wurde der Dialog im Jahr 2000 wegen verschiedener Probleme wieder abgebrochen. Doch es ist Papst Benedikt XVI. innerhalb von vier Monaten nach seiner Wahl gelungen, diesen Dialog wieder auf die Beine zu stellen. Klar ist, wir werden mehr Zeit brauchen als ursprünglich geplant.

Welche Rolle spielt das zerrissene Jerusalem für das Drama der Christenheit?

Koch: Jerusalem ist ein ganz deutliches Abbild für die reale Situation, wie wir sie heute haben, mit den verschiedenen Religionen und vor allem auch den verschiedenen Kirchen, den verschiedenen Liturgien. Die Streitereien über die genauen Orte, wo man was feiert, ist aber auch schon ein Zeichen dafür, wie es in Zukunft nicht weitergehen sollte mit dieser Zerspaltenheit der Christenheit. Insofern ist ein Besuch in Jerusalem immer sehr schön, weil man an die Ursprünge zurückkommt, aber auch traurig, wenn man die konkrete Lage sieht.

Ist Jerusalem nicht auch ein Bild der “vielen Wohnungen im Haus des Vaters”?

Koch: Sicher ist die Vielfalt nicht in sich schlecht. Das zeigte auch die Synode in ihren vielen Farben, wo eigentlich jeden erstaunte, wie äußerst vielfältig die katholische Kirche ist. Das ist ein großer Reichtum. Aber nur, wenn man sich gegenseitig anerkennt und miteinander gemeinsame Wege in die Zukunft sucht. Die Vielfalt und Vielheit ist in sich gut, wenn sie zu gegenseitiger Bereicherung führt. Gerade in Jerusalem kommt deshalb heute noch ein anderes Drama zum Ausdruck. Dass nämlich die allererste Spaltung, die wir haben, die Spaltung zwischen Synagoge und Kirche ist.

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