Wieder ein Interview mit Eugenio Scalfari
Missbrauch, Mafia, Zölibat
– Doch die Aussagekraft der Papst-Gespräche mit “La Repubblica” bleibt zweifelhaft
Von Guido Horst
Rom, Die Tagespost, 14. Juli 2014
Wieder ein Gespräch des Papstes mit dem neunzig Jahre alten Gründer der Zeitung “La Repubblica”, Eugenio Scalfari. Und wieder – wie im Oktober 2013 – hat es in dem Blatt, das als publizistisches Flaggschiff des italienischen Laizismus die links-liberale Seele des Landes verkörpert, eine breite Aufmachung gefunden. Diesmal nicht als Interview im eigentlichen Sinn, sondern als Bericht über ein Gespräch, aber mit langen Zitaten aus dem Munde von Franziskus. Am Sonntag ist es erschienen, mit dem entsprechenden Medienecho, das aber doch nicht so stark war, dass es den entschiedenen Appell des Papstes nach dem Gebet des Angelus zur Verhinderung eines offenen Nahost-Kriegs (siehe unten) hätte übertönen können.
Nachdem man vor einem knappen Jahr erfahren hatte, dass Scalfari seine Interviews – auch die mit dem Papst – nicht aufzeichnet oder sie mitschreibt, sondern im Anschluss aus der Erinnerung zu Papier bringt, ist ihre Aussagekraft nicht sehr hoch einzuschätzen. So musste einer Meldung der Katholischen Nachrichten-Agentur zufolge Vatikansprecher Federico Lombardi auch diesmal gleich nach der Veröffentlichung erklären, bei dem Gespräch handele es sich nicht um ein autorisiertes Interview im eigentlichen Sinne. Wie schon im Oktober 2013 werde Franziskus teilweise mit Aussagen zitiert, die er so nicht gemacht habe.
Dennoch: Mit Scalfari, der von seinen Anhängern wie ein Laizisten-Papst verehrt wird, sprach Franziskus am vergangenen Donnerstag in der Vatikanpension Santa Marta hauptsächlich über den Missbrauchs-Skandal und die Mafia – und fand deutliche Worte. In der Einleitung seines Berichts schreibt Scalfari, Franziskus habe dieses inzwischen dritte Gespräch mit ihm gewollt. Neben den vielen Leuten jeden sozialen Standes, jeden Glaubens und jeden Alters, denen Franziskus in seinem täglichen Apostolat begegne, wünsche er auch Gedanken und Gefühle mit jemandem auszutauschen, der nicht glaube, so wie er, der Publizist, der aber, so Scalfari über sich selbst, die Gestalt und die Verkündigung Jesu liebe.
Franziskus hatte noch Anfang vergangener Woche eine Messe mit sechs Missbrauchsopfern gefeiert – und das Thema steht am Anfang des Gesprächs mit Scalfari. Er, der Papst, sei erschüttert, dass die meisten Fälle von Pädophilie in der Familie geschehen. Das sei besonders verwerflich, denn eigentlich sollte diese ein Schutzraum für die Erziehung der Kinder sein. Leider würden viele Eltern die Erziehung der Kinder vernachlässigen und andere Dinge in ihrem Leben als wichtiger ansehen. Das führe zu einer schleichenden Verwahrlosung der Kinder und zur Verbreitung anderer Laster wie zum Beispiel Drogensucht. Die Kirche kämpfe dagegen und setze sich dafür ein, dass Kinder wieder eine gute Erziehung erhielten.
Wie ihm seine Mitarbeiter sagen würden, so Franziskus weiter, seien im Klerus etwa zwei Prozent pädophil veranlagt, darunter auch Bischöfe und Kardinäle. Dass der Papst das Wort “Kardinäle” in den Mund genommen habe, hat Vatikansprecher Lombardi noch am Sonntag dementiert: Das habe der Papst nie gesagt. Die Zahl von zwei Prozent, so soll Franziskus laut Scalfari erklärt haben, beruhige ihn aber überhaupt nicht. Und viele würden etwas wissen, aber schweigen. Er hab die Absicht, diesen Zustand mit Strenge anzugehen. Jesus habe alle geliebt, auch die Sünder. Aber wenn er dann den Knüppel benutzt habe, habe er das getan, um den Teufel auszutreiben, der sich dieser Seele bemächtigt habe.
Das Gespräch wandte sich dann der Mafia zu – auch hier aus einem zeitnahen Anlass: Bei seinem Besuch in Kalabrien hatte der Papst nochmals wiederholt, dass die Mitglieder des organisierten Verbrechens exkommuniziert seien. Franziskus habe eingeräumt, schreibt Scalfari, dass er nicht wisse, wie die Mafia funktioniere. In Argentinien gebe es Mörder und Verbrecher, aber keine Mafia. Der Papst erinnerte an die öffentliche Anklage Papst Johannes Pauls II. Es sei gut, dass die Priester den Opfern der Mafia beistehen, aber es sei selten, dass sie die Mafia öffentlich ächten, so Franziskus. Er selber habe nicht vor, es bei einem einmaligen Appell zu belassen, sondern werde das organisierte Verbrechen beständig anprangern.
Gegen Ende des Interviews dann eine das Dogma betreffende Aussage des Papstes, die aber in der Niederschrift des Journalisten unklar bleibt. Bei der Verabschiedung kamen die beiden auf die Ökumene zu sprechen, die Franziskus auf die Waldenser und die Pentekostalen ausgeweitet sehen möchte. Scalfari spricht ihn auf die verheirateten Priester der orthodoxen Kirchen an und der Papst soll geantwortet haben, dass “dieses Problem besteht, aber nicht von grossem Ausmass ist. Man braucht Zeit, Lösungen gibt es, und ich werde sie finden.” Ob nun aber das Zölibat für den Papst das Problem ist oder ob es die verheirateten Priester der Ostkirchen sind, geht aus dem Interview nicht hervor.
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