Die Weltkirche trifft sich bei Petrus
Die Verehrung für Johannes Paul II. ist an seinem Grab mit Händen zu greifen
– Ob Benedikt XVI. an der Heiligsprechung teilnimmt, blieb bis zuletzt offen. Von Stephan Baier
Die Tagespost, 25. April 2014
Baustelle Petersplatz: Hunderttausende pilgern an die Gräber der beiden neuen heiligen Päpste.
Foto: Baier
Der Vatikan beginnt am Flughafen. Es ist nicht ungewöhnlich, in Fiumicino neben einem Bischof am Förderband auf den Koffer zu warten. Ein kolumbianischer Bischof an der Spitze von mehr als 50 südamerikanischen Pilgern ist aber dann doch eine ungewöhnliche Erscheinung.
“Für unsere Leute ist das sehr teuer“, sagt er. Aber immerhin sei ja auch Johannes Paul II. nach Kolumbien gekommen, da wolle man ihm jetzt doch die Ehre erweisen. Vielfältiger sind die Motive einer argentinischen Grossfamilie, die fröhlich und in Fussballtrikots auf dem Petersplatz posieren. Die nicht mehr ganz jungen Eltern mit ihren sieben erwachsenen Kindern haben sich die weite Reise nach Rom geleistet, um ihren Papst zu erleben, aber auch für die Heiligsprechungen – in dieser Reihenfolge wohlgemerkt. “So eine Freude, hier zu sein! Ich bin ja so bewegt”, strahlt die Mama.
Während die Handwerker auf dem Platz noch abertausende graue Plastikstühle schleppen, Geländer montieren und Absperrungen schrauben, wachsen im Laufe des Vormittag die Menschenschlangen für den Einlass in die Basilika. Am frühen Donnerstagmorgen stehen hier erst die ganz Tapferen: Ordensschwestern aus aller Welt, eine Gruppe italienischer Priesteramtskandidaten, ein paar Pilger aus Bayern. Doch binnen weniger Stunden wächst die Schlange einmal rund um die Kolonnaden. Jetzt ist Geduld angesagt – und wird eingeübt für den Millionenandrang in der Nacht auf den Barmherzigkeitssonntag. Zu Mittag scheint die Weltkirche hier am Petrusgrab versammelt. Die katholische Welt trifft sich bei Sankt Peter.
Drinnen in der grössten Kirche der Christenheit mischen sich – wie immer – Touristen und Pilger. Ein Koreaner kommt erst gar nicht auf die Idee, seine Sportkappe abzunehmen. Fotos und Selfies vor Michelangelos Pieta, vor dieser und jener Statue. Meist kann man Pilger und Touristen in Sankt Peter am Äusseren gut unterscheiden. Es gibt aber auch Überraschungen, etwa wenn ein beleibter Mann in allzu knappem T-Shirt und hellblauer Jogginghose unvermutet am Grab Papst Johannes XXIII. niederkniet. So viele Schaulustige und Neugierige die Basilika auch fluten mögen, Sankt Peter bleibt doch immer eine Kirche: Da ist ein Teil vollständig für die Beichtwilligen gesperrt, denen Patres unterschiedlicher Gemeinschaften in vielen Sprachen die Last ihrer Sünden von den Schultern nehmen. Da ist die Sakramentskapelle, wie eine Oase der Anbetung inmitten all der Geschäftigkeit, die die Basilika erfasst.
Am Grab Papst Johannes Pauls II., unter einem Mosaik, das das Martyrium des heiligen Sebastian zeigt, folgt Messe auf Messe: Eine grössere Gruppe römischer Seminaristen wartet schon vor der Absperrung, bis die amerikanischen Priester ihren Pilgern endlich den Segen erteilen. Die Polen, die als übernächste dran sind, warten auch schon geduldig. “Die Messen sind reserviert für bestimmte Gruppen”, weist ein Wächter höflich aber bestimmt einen Gläubigen zurück, der sich zur Messe der Seminaristen gesellen will. Ob er der Messe nicht beiwohnen könne? “Ja gerne. Dort hinter der Absperrung.” Dort warten Menschentrauben, um wenigstens einen Blick auf das Grabmal des Papstes ihrer Jugend zu erhaschen.
“Verzeihen Sie, wo finde ich Papst Johannes XXIII.?”, fragt ein älterer Japaner auf Englisch. Ein paar Meter weiter, am Grab von Johannes XXIII., der in einem Glassarg unter der Darstellung der letzten Kommunion des heiligen Hieronymus liegt, geht es ruhiger zu. Auch hier wird Heilige Messe gefeiert. Zwei Ordensschwestern drängen sich lächelnd, aber resolut durch die Menge, um direkt am Sarkophag zu beten. Eine Dame aus Trient erklärt den Umstehenden unaufgefordert, warum sie den “Papa buono” so viel lieber hatte als Papst Paul VI. Viele Menschen knien sich hin. Einige, um kurz andächtig zu beten, die meisten aber, um die optimale Position für einen Schnappschuss zu ergattern.
Am späteren Vormittag bauen die Wächter die Absperrungen so um, dass ein Kreisverkehr entsteht: Wer an der Pieta vorbei zum Grab Johannes Pauls II. pilgert, wird weitergescheucht zum Grab Johannes’ XXIII., und von dort zur Confessio. “No stopp, please!”, schreit ein junger Italiener im hellgrauen Zwirn amtsbeflissen die Pilger aus aller Welt an. Eine Ordensfrau will direkt am Sarkophag beten. “Non e possibile!”, weist der Wächter sie barsch ab. Für zwei Bischöfe öffnet er dann doch die Absperrungen. “No stopp, please!“, herrscht er neuerlich die Gläubigen an.
Dass viele von ihnen nicht wegen Michelangelos Kuppel oder Madernas Fassade, nicht wegen der Gebeine des Apostelfürsten oder wegen seinem derzeitigen Nachfolger hierher gekommen sind, sondern gerade wegen Johannes Paul II., der mehr als nur eine Generation prägte, ist auch den Verantwortlichen der Basilika offenbar bewusst. Bereits die Beschilderung zeigt es: Rechts zur Kuppel, links in die Basilika und zum Grab Johannes Pauls II. heisst es da auf Italienisch und Englisch. Menschen allen Alters und augenscheinlich unterschiedlichster Herkunft beten, stehend oder kniend hinter der Absperrung, die die Pilger von der letzten Ruhestätte des Papstes aus Polen trennt.
Eine farbenfroh verschleierte, junge Muslimin, die ihre kleine Tochter hinter sich herzieht, fällt sogar in diesem bunten Treiben noch auf. Sie wandert vorbei am Grab Johannes XXIII., dem sie nur einen flüchtigen Blick schenkt, zum Fotoshooting mit Gatten vor dem prachtvollen Baldachin Berninis. Ein paar Stunden später findet sich eine ganze Gruppe von Muslimen vor Sankt Peter ein. Sie seien aus dem Sultanat Oman angereist und auf Tour durch Europa, erklärt einer der sprachgewandten Jungen. Ja doch, die Kirche habe ihn sehr beeindruckt, und selbstverständlich würde ihn die Heiligsprechung am Sonntag sehr interessieren, aber da sei die Gruppe leider schon weitergezogen in die Schweiz, sagt der junge Muslim höflich.
In der Vorhalle der Basilika stehen die Leute achtlos auf dem riesigen Wappen Papst Johannes’ XXIII. Drunten in den Grotten ist es ruhig – gemessen am Trubel in der Basilika. Johannes Paul I. und Paul VI. finden in diesen Tagen wenig Beachtung. Endlich kommt ein älterer Italiener, lehnt sich mit beiden Händen und der Stirne an den Sarkophag Papst Johannes Pauls I., betet lange. Dann küsst er den Sarg, macht vor dem Grab Pauls VI. noch rasch ein Kreuzzeichen und entschwindet.
Vieles spricht dafür, die Heiligsprechung der beiden Päpste am Sonntagvormittag als Jahrhundertereignis zu sehen: Millionen – wie viele, das kann keiner im Vatikan oder bei der Stadt Rom seriös sagen – pilgern aus diesem Anlass in die ewige Stadt. Und noch viel mehr Millionen verfolgen die Feierlichkeiten vor den Fernsehschirmen. Manche von ihnen erinnern sich noch voll Emotionen an den “Papa buono” aus Sotto il Monte (Unter dem Berg) bei Bergamo. Unzählige aber sind Johannes Paul II., dem Papst des Zeitalters der Globalisierung, in Rom oder irgendwo auf der Welt begegnet, sehen in seinem Pontifikat ein Stück ihrer eigenen Lebens- und Glaubensgeschichte.
Was verbinden Gläubige des Jahres 2014 mit dem 1881 geborenen Angelo Roncalli? Monsignore Martin Schlag, 1964 in New York geboren, dann einige Jahre Regionalvikar des Opus Dei für Österreich, Ungarn, Tschechien und die Slowakei, und seit 2008 Professor für Moraltheologie an der Päpstlichen Universität Santa Croce in Rom, meint gegenüber der “Tagespost“: “In welcher Krise wäre die Kirche heute ohne das Zweite Vatikanische Konzil?“ Dieses Konzil sei “eine grosse Gnade Gottes für die Kirche und ein sicherer Kompass für die Zukunft“. Einen “Meilenstein“ habe Papa Roncalli auch in der katholischen Soziallehre gesetzt. Beim Papst der Superlative findet Schlag vor allem eines bemerkenswert: “Der wahre Rekord von Johannes Paul II. sind seine Stunden der Anbetung vor dem Allerheiligsten – das ist es, was die Herzen der Menschen verändert hat.”
Der gebürtige Steirer Johannes Lechner CSJ, der heute Regionaloberer der Johannesgemeinschaft für Südeuropa mit Sitz in Rom ist, findet eine Gemeinsamkeit zwischen den beiden Päpsten: beide seien “Ikonen der Vaterschaft des barmherzigen Gottes” gewesen. Johannes Paul II. war “ein Grosser der Weltgeschichte und ein bleibendes Vorbild nicht nur für katholische Christen“, meint der polnische Franziskaner Maxentius Krah, der Spiritual am Collegium Orientale in Eichstätt ist. Johannes XXIII. bleibe ein Vorbild in der “Treue zu Christus und seinem Evangelium“.
93 Delegationen von Staaten und internationalen Organisationen werden am Barmherzigkeitssonntag in Rom erwartet, an ihrer Spitze 24 Staatsoberhäupter und 35 Regierungschefs, sowie Parlamentspräsidenten und Minister. Vatikansprecher Federico Lombardi SJ erinnert sicherheitshalber daran, dass der Heilige Stuhl grundsätzlich – wie vor einem guten Jahr bei der Amtseinführung von Papst Franziskus – keine Einladungen ausspricht, sondern lediglich die Botschaften informiert. “Die kommen, sind auch willkommen!“ Das gelte, so Lombardi, auch für die Vertreter der anderen christlichen Konfessionen und der Religionen. Angekündigt haben sich Repräsentanten des Judentums und des Islam.
Ob zwei Päpste bei der Heiligsprechung von zweien ihrer Vorgänger auf dem Petersplatz zu sehen sein werden, wagte der Vatikansprecher am Donnerstag weder zu bestätigen noch zu dementieren: Der emeritierte Papst Benedikt sei selbstverständlich eingeladen. “Und wenn er kommt, ist es eine grosse Freude.” Doch das hänge ganz von ihm und seinem Wohlbefinden ab. Auf die Frage einer italienischen Journalistin, wo der Papa emerito denn sitzen würde, wollte sich Lombardi ebenfalls nicht festlegen: Dazu habe er kleine klare Idee, es werde eine Überraschung. Immerhin: “Wenn er kommt, wird es einen Sitz geben.”
Von 130 bis 150 Kardinälen und mehr als tausend konzelebrierenden Bischöfen, dazu 6 000 teilnehmenden Priestern sprach Lombardi noch am Donnerstagmittag. Am Altar stehen neben dem Papst aber nur der Präfekt der Heiligsprechungskongregation, Kardinal Angelo Amato, der jahrzehntelange Sekretär Johannes Pauls II., dessen Nachnachfolger als Kardinal in Krakau, Stanislaw Dziwisz, der an diesem Barmherzigkeitssonntag seinen 75. Geburtstag begeht, dann der Bischof der Heimatdiözese von Johannes XXIII., Francesco Beschi aus Bergamo, und zwei weitere Kardinäle.
Die Souvenierhändler rund um den Petersplatz verkaufen Postkarten, Fähnchen, T-Shirts und Schlüsselanhänger mit dem Konterfei von drei Päpsten. Auf manchen sind Franziskus, Johannes Paul und Johannes “trinitarisch” vereint. Auch dem Kitsch sind kaum Grenzen gesetzt. Der italienische Buchmarkt scheint ebenfalls in Bewegung: Neuerscheinungen nicht nur über den aktuellen Papst, sondern auch darüber, warum Johannes Paul II. heilig ist und welche Geschichten es über Johannes XXIII. noch zu erzählen gibt. Auch Papst Benedikts Theologie wird offenbar weiterhin eifrig gelesen. Und so mancher versucht, die Gunst der Stunde zu nutzen und sein Geschäft zu machen. Auch die verblasste Ikone der Befreiungstheologie, Leonardo Boff, surft auf der Papstwelle: “Franziskus von Assisi – Franziskus von Rom“, heisst sein neues Werk, und der Verlag verspricht auf der Banderole “Der Rebellen-Theologe versöhnt sich mit dem Vatikan”.
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