Höllenpredigt des Papstes

Mafia, Medien, Missbrauch

salus populi romaniMafia, Medien, Missbrauch: Am Wochenende wandte sich der Papst den Schattenseiten des menschlichen Daseins zu. Von Guido Horst

Rom, Die Tagespost, 24.03.2014

“Bekehrt euch, noch ist es Zeit, damit ihr nicht in der Hölle landet. Und genau das erwartet euch, wenn ihr auf diesem Weg weitergeht. Ihr habt einen Vater und eine Mutter gehabt: Denkt an sie. Weint ein wenig und bekehrt euch.”

Die Stimme von Papst Franziskus war ganz leise geworden, als er sich am Ende seiner Ansprache vor Angehörigen von unschuldigen Mafia-Opfern auch an die Täter und Mitläufer der unterschiedlichen “Mafien“, wie man in Italien sagt, wandte und ihnen das vor Augen führte, was ihnen bevorsteht, wenn sie mit ihrer unseligen Vergangenheit nicht brechen: Der Jesuiten-Papst, der so viel vom Teufel spricht, scheut sich auch nicht, das Wort “Hölle“ in den Mund zu nehmen.

Am Samstag fand in Italien wieder der jährlich begangene “Tag der Erinnerung und des Einsatzes“ gegen die Mafia, die Camorra und andere Formen des organisierten Verbrechens statt. Hunderttausend Menschen kamen in Latina, einer Kleinstadt südlich von Rom, zu einer Grossveranstaltung mit dem italienischen Priester Don Luigi Ciotti zusammen, der 1995 die Vereinigung “Libera“ gegründet hat, die der Mentalität und den kulturellen Umständen den Kampf angesagt hat, die das kriminelle Phänomen der verschiedenen Mafien in Italien begünstigen.

842 Namen wurden verlesen

Am Abend zuvor kam Papst Franziskus in der römischen Kirche San Giorgio VII. mit Don Ciotti und mehreren hundert Verwandten von getöteten Mafia-Opfern zusammen. Wesentlicher Bestandteil der Begegnung war – neben der Ansprache des Papstes – das Verlesen von 842 Namen, die stellvertretend für die etwa fünfzehntausend Unschuldigen stehen, deren Leben in den vergangenen Jahrzehnten in Italien vom organisierten Verbrechen ausgelöscht wurde.

Der Papst war mit einer kurzen Wagenkolonne vor der Pfarrkirche vorgefahren, die direkt neben dem Vatikan liegt. San Giorgio VII. gehört zu jenen geräumigen, aber doch eher hässlichen Betonkirchen, die in den römischen Stadtvierteln in den fünfziger und sechziger Jahren hochgezogen wurden. Eine grosse Menschenmenge hatte Franziskus auf der Strasse erwartet, Don Ciotto nahm den Papst bei der Hand und führte ihn in das Innere der Kirche. Ob es Müdigkeit war, Konzentration oder einfach Betroffenheit: Franziskus schaute angespannt drein, als dann Männer und Frauen in einer langen Schlange an das Mikrofon traten und die Namen der über achthundert Mafiaopfer vorlasen, darunter die der beiden sizilianischen Untersuchungsrichter Giovanni Falcone und Paolo Borsellino, deren Aufsehen erregende Ermordung im Sommer 1992 durch die Mafia auch den Anstoss zur Gründung der Vereinigung “Libera“ von Don Ciotti gegeben hat. Noch vor wenigen Wochen hatte Papst Franziskus laut und öffentlich das Schicksal eines dreijährigen Kindes beklagt, dessen Leben Mafia-Killer bei einer Mordserie im süditalienischen Taranto nicht verschont hatten.

Franziskus wirkte angegriffen und seine Ansprache war – wie immer – kurz: Er wolle den Angehörigen der Opfer eine Hoffnung mitgeben, “die Hoffnung, dass allmählich der Sinn für Verantwortung über die Korruption den Sieg davonträgt“. Von innen müsse diese Änderung kommen, “vom Gewissen her“; von dort aus müssten sich “die Verhaltensweisen ändern, die Beziehungen, das soziale Gefüge“, so der Papst. Er wolle vor allem denen seine Solidarität ausdrücken, die durch Mafia-Gewalt einen geliebten Menschen verloren haben. “Danke für euer Zeugnis, weil ihr euch nicht in euch selbst verschlossen habt, weil ihr hinausgegangen und eure Geschichte von Schmerz und Hoffnung erzählt habt. Das ist so wichtig, vor allem für die jungen Leute!“ Dann wandte sich Franziskus an die Abwesenden, an die “Mafiosi“, und warnte sie vor der Hölle. Den abschliessenden Segen erteilt der Papst mit der Stola des Priesters Don Peppe Diana um den Hals: Der Geistliche war vor genau zwanzig Jahren von der Mafia erschossen worden, weil er jungen Leuten durch seine Pfarreiarbeit eine Alternative zur Kriminalität bot. Die Brüder von Don Peppe Diana waren am Freitag bei der Gebetsvigil dabei, wie auch die Brüder des gleichfalls ermordeten sizilianischen Priesters Pino Puglisi, den der Erzbischof von Palermo im vergangenen Mai seliggesprochen hat.

Zwei weitere Zeichen des Papstes haben am vergangenen Wochenende für starke Aufmerksamkeit in Italien gesorgt: Vor Vertretern der Vereinigung “Corallo“, einem Zusammenschluss von katholischen Fernseh- und Radiosendern Italiens, prangerte der Papst am Samstag die “drei grossen Sünden“ der Medienwelt an: Desinformation, Verleumdung und Rufmord. Die grösste Gefahr gehe hierbei von der Desinformation aus, sagte Franziskus, der bei der Audienz das Redemanuskript beiseite legte und frei sprach. Verleumdung und Rufmord seien zwar auch Todsünden, könnten aber von Mediennutzern als unsachgemässe Information erkannt werden. Desinformation heisse hingegen, nur die halbe Wahrheit zu sagen. Dadurch sei es für Fernsehzuschauer und Radiohörer unmöglich, sich ein ausgewogenes Urteil zu bilden. Franziskus beschrieb das “mediale Ökosystem“ als bedroht: Leider hätten sich die Leute daran gewöhnt, durch das Radio und das Fernsehen verschmutzte Luft einzuatmen, die nicht guttut, so der Papst. Katholische Medien müssten dagegen den Menschen “Sauerstoff für Geist und Seele“ geben. Dafür sei neben fachlicher Professionalität auch eine Haltung nötig, die im anderen den Nächsten sehe. Katholische Medien hätten die Stimme einer Kirche zu sein, die keine Angst davor habe, “menschliche Wüsten“ aufzusuchen, meinte Franziskus.

Ebenfalls sehr beachtet wurde – obwohl bereits angekündigt – die Errichtung einer Kinderschutzkommission durch den Papst, was der Vatikan ebenfalls am Samstag bekannt gab.

Franziskus ernannte acht Mitglieder der Kommission, darunter den deutschen Jesuiten Hans Zollner, der zusammen mit der Erzdiözese München und der Universität Ulm ein Kinderschutzprogramm entwickelt hat und an der römischen Universität Gregoriana Psychologie lehrt. Das dieses Programm tragende Komitee wird in diesem Jahr endgültig nach Rom umziehen. Die Nachricht des Tages war aber, dass mit der Irin Marie Collins aus Dublin auch ein Missbrauchsopfer in die neue vatikanische Kinderschutzkommission berufen wurde. Collins war vor etwa fünfzig Jahren von einem Priester sexuell missbraucht worden und engagiert sich seit geraumer Zeit für einen besseren Schutz von Schutzbefohlenen in der katholischen Kirche. Des Weiteren berief der Papst Kardinal Sean Patrick O’Malley von Boston in die Kommission sowie die frühere polnische Ministerpräsidentin Hanna Suchocka, den argentinischen Jesuiten Humberto Miguel Yánez, einen Vertrauten von Franziskus, den italienischen Juristen und Kirchenrechtler Claudio Papale, der bereits für die vatikanische Glaubenskongregation in Missbrauchsfällen tätig ist, die emeritierte Londoner Psychiatrieprofessorin Sheila Hollins und die Französin Catherine Bonnet. Zunächst muss sich die Kommission Statuten geben. Unklar ist auch noch, ob sie einem anderen vatikanischen Dikasterium angegliedert wird. Wie Vatikansprecher Federico Lombardi am Samstag erklärte, mache der Papst mit diesem Schritt deutlich, dass der Schutz von Minderjährigen zu den vordringlichsten Aufgaben der Kirche zähle. In dem Bewusstsein, dass die Kirche auf diesem Gebiet eine Vorreiterrolle spiele, werde die Kommission entsprechende Maßnahmen entwickeln. Hierbei gehe es sowohl um Vorbeugung als auch um Strafverfolgung sowie einen Verhaltenskodex, so Lombardi.

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