Papst Franziskus verstehen

Wunderbar zu lesen, wie der Jesuiten-Papst seine Beziehung zum Ordensgründer Ignatius definiert

Ignatius von LoyolaHl. Ignatius von loyola

Die Tagespost, 20. September 2013, von Guido Horst

Wundern darf man sich nicht, dass die italienischen Medien, vor allem die Abendnachrichten am vergangenen Donnerstag, das aussergewöhnlich lange Interview des Papstes nach Splittern und Fetzen durchgekämmt haben, die sich zu effekthascherischen und sensationellen Schlagzeilen verarbeiten lassen. In Deutschland war das gestern nicht anders.

Sechs Stunden lang hat Franziskus mitten im heissen August mit dem Chefredakteur der Jesuiten-Zeitschrift “Civilta Cattolica” gesprochen. Am Donnerstag haben alle von der Gesellschaft Jesu geführten Zeitschriften Europas das Papst-Interview dann veröffentlicht – zunächst im Internet. Wunderbar zu lesen, wie der Jesuiten-Papst seine Beziehung zum Ordensgründer Ignatius definiert. Jetzt weiss man endgültig, was das Jesuitische an Jorge Mario Bergoglio ist. Aber es lohnt dennoch nicht, Einzelheiten aus dem überlangen Gespräch, in dem man durchaus so etwas wie ein Programm von Papst Franziskus erkennen kann, herauszupicken. Nicht nur in Italien stürzte man sich auf Einzelaussagen zu Scheidung und Abtreibung – liess aber das eigentlich Wichtige weg: Dass nämlich Franziskus aufgrund seiner langen pastoralen Erfahrung weiss, wie kontraproduktiv es ist, Menschen, die sich von der Lehre der Kirche entfernt und im Leben – auch grosse – Fehler gemacht haben, immer zuerst mit dem moralischen Zeigefinger zu kommen. Auch Jesus hat der Samariterin am Brunnen nicht ausschliesslich ihre zehn Männer um die Ohren gehauen, sondern hat sie auf das Wichtigste aufmerksam gemacht, auf Ihn selbst, der der Weg, die Wahrheit und das Leben ist. Wenn man diese Sicherheit für die eigene Existenz gefunden hat, dann schafft man es auch, sein Leben in Ordnung zu bringen.

Die Kirche ist keine Moralanstalt. Die Kirche ist eine Gemeinschaft des Heils, die jedem, auch dem grössten Sünder, alle Gnadenmittel zur Verfügung stellt, um die Sünde und den sicheren Tod zu überwinden. Um das in einer Zeit des Relativismus und der verlorenen moralischen Selbstverständlichkeiten wieder aufleuchten zu lassen – auch bei denen, die sich weit, weit vom Glauben entfernt haben – geht Franziskus, wie bereits Papst Benedikt, zurück zum Wesentlichen. Zum Kern des christlichen Glaubens, zur Liebe Gottes.

Es führt darum wohl nichts daran vorbei, das Interview im vollen Wortlaut zu lesen – “Die Tagespost” stellt den Text bereits in dieser Ausgabe zur Verfügung. Nur das schützt davor, sich von aus dem Zusammenhang gerissenen Meldungen verunsichern zu lassen.

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