Ein grosser Kardinal der Kirche

Kardinal John Henry Newman (1801-1890), ein grosser Kardinal der Kirche

Das Herz spricht zum Herzen” der Wahlspruch des Kardinals   

ROM, 20. Oktober 2009 zenit.org   P. Paul Bernhard Wodrazka C.O.

Den bekannten Konvertiten, Theologen und Oratorianer John Henry Kardinal Newman (1801-1890), der im kommenden Jahr seliggesprochen wird, bezeichnete Josef Pieper einst als „modernsten, unerschrockensten und nobelsten Geist der gegenwärtigen Christenheit“. Nicht selten wird „der Kirchenlehrer der Neuzeit“ in einem Atemzug mit den großen Meistern einer Theologie des Herzens, wie Augustinus, Bonaventura oder Franz von Sales genannt. Newman verfasste grundlegende Beiträge zur Erkenntnistheorie, zur Bildungstheorie, zur Psychologie des Glaubens, zur Theologiegeschichte. Seine Schriften bezeugen eindrucksvoll eine extensive und lebendige Kenntnis der Heiligen Schrift und der Lehre der Kirchenväter und sie bezeugen, dass er selbst in dem lebte, was er schrieb. 

Zu Beginn des Jahres 1864 behauptete ein anglikanischer Professor in einem Artikel, dass Wahrhaftigkeit nie eine Tugend der katholischen Priester gewesen sei und „Dr. Newman“ das beste Beispiel dafür biete. Diesen Vorwurf konnte Newman nicht stillschweigend auf sich sitzen lassen. In wenigen Wochen legte er dar, wie Gottes Licht ihn geführt hatte – bis hin zur Konversion zur katholischen Kirche. Die Geschichte seiner religiösen Überzeugung, die „Apologia pro vita sua“, ein Buch das oft mit den Confessiones des hl. Augustinus verglichen wird, ist ein wirkliches Meisterwerk. Nach der Publikation dankte ihm mehr als die Hälfte der englischen Priester persönlich. Die Katholiken Englands schätzten ihn erneut als Verfechter ihrer Sache. Zum ersten Mal seit der Reformation hatte das Buch eines Katholiken die englische Volksseele erobert. Es wurde deutlich, dass man ganz Engländer und ganz Katholik sein kann, was bis zu diesem Zeitpunkt unmöglich schien.Die Erhebung von John Henry Newman zum Kardinal der Heiligen Römischen Kirche wird daher bis heute als umfassende Bestätigung und endgültige Rehabilitierung betrachtet. Viele Jahre hindurch schien er gleichsam eine Zielscheibe beharrlicher Anklagen, systematischer Kritiken und oftmals böswilliger Anschuldigungen gewesen zu sein. Mons. Talbot, der Päpstliche Geheimkämmerer von Papst Pius IX., schrieb damals sogar an den Erzbischof von Westminster, Kardinal Manning, dass Newman „der gefährlichste Mann Englands“ sei (Ward, W.: The Life of John Henry Cardinal Newman, London 1913, II. Band, p. 147). Die durch die Jahre ertragenen Leiden läuterten die Seele Newmans immer mehr. Auch in Momenten, in denen er seinen Klagen Ausdruck verlieh, behielt er sein unbeugsames Vertrauen auf Gott. 

Im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts baten viele Katholiken darum, dass der Heilige Stuhl Newman die Kardinalswürde zuerkennen möge, um die Bedeutung seines Denkens zu unterstreichen und dabei gleichzeitig seinen guten Ruf vollkommen wiederherzustellen. Kardinal Edward Howard, ein ehrlicher Bewunderer und aufrichtiger Verteidiger Newmans an der römischen Kurie, unterstützte diese Initiative tatkräftig. Bei einem Englandaufenthalt im Juli 1878 konnte er auch seinen Cousin, den Duke of Norfolk, dafür gewinnen. Gemeinsam mit dem Marquis von Ripon baten sie sehr geschickt den regierenden Erzbischof von Westminster, Kardinal Manning, um seine Zustimmung. Obwohl die Aufforderung Manning „as a shock“ erreichte, war er sofort bereit in einer Petition an den Papst die Verdienste Newmans für die englischen Katholiken darzulegen (Butler, C.: The Life and Times of Bishop Ullathorne, …, London 1926, II. Band, p. 108). Papst Leo XIII., der Newman und sein segensreiches Wirken 1845 als Nuntius von Belgien durch den später seliggesprochenen Passionistenpater Domenico Barberi (1792-1849) schätzen gelernt hatte, war aufgrund seiner persönlichen Hochachtung und Verehrung für Newman dazu geneigt den Bitten zu entsprechen, obwohl es auch einen starken Druck derjenigen gab, die eine Erhebung in den Kardinalsstand vereiteln wollten. Dazu bemerkte Leo XIII. einmal zu Lord Selborne: „Ah! Il mio cardinale! Es war nicht leicht, es war nicht leicht. Man sagte, er sei zu liberal. Aber ich war entschlossen, die Kirche zu ehren, indem ich Newman ehrte. Ich habe ihn immer bewundert und bin stolz darauf, dass ich solch einen Mann ehren  konnte.“ (Ridding, L.: Sophia Matilda Palmer de Franqueville, …, London 1919, p. 190). 

Der Bischof von Birmingham, Mons. William Bernard Ullathorne, informierte als erster den achtundsiebzig jährigen Newman über die Absichten des Papstes. Newman dankte daraufhin brieflich für das Wohlwollen seitens des Papstes und erklärte sich bereit, die Kardinalswürde anzunehmen, fügte aber hinzu: „Dreißig Jahre lang habe ich nun in nidulo meo gelebt, in meinem vielgeliebten Oratorium, geborgen und glücklich, und möchte darum Seine Heiligkeit bitten, mich nicht vom heiligen Philipp, meinem Vater und Schutzherrn zu trennen. Bei der Liebe und Verehrung, mit der eine lange Reihe Päpste den heiligen Philipp gefeiert und ihm vertraut haben, bitte und ersuche ich Seine Heiligkeit, aus Mitleid mit meiner geistigen Schüchternheit, aus Rücksicht auf meine schwache Gesundheit, meine fast achtzig Jahre, …, mich sterben zu lassen, wo ich so lange gelebt habe.“ (Briefe und Tagebuchaufzeichnungen aus der katholischen Zeit seines Lebens, Mainz 1957, pp. 668 f.). Natürlich gewährte der „Pontefice del Rosario“ gerne „il mio cardinale“ diese Bitte. 

Das Konsistorium zur Ernennung der neuen Kardinäle wurde für den 12. Mai 1879 anberaumt. Newman kam in Begleitung von seinem Mitbruder P. William Neville am 24. April nach Rom. Da sie nicht im Römischen Oratorium wohnen konnten, weil dieses von der italienischen Regierung beschlagnahmt war, stiegen sie im Hotel Bristol ab. Am Morgen des 12. Mai wurde Newman im geheimen Konsistorium als erster Kardinaldiakon angekündigt. Als am Ende des Konsistoriums ein päpstlicher Zeremonienmeister dem neuen Kardinal das Biglietto mit der Ernennungsbulle überbrachte, hielt er seine bis heute berühmte Biglietto-Rede, in der er den Kampf gegen den religiösen Liberalismus als sein eigentliches Lebensprogramm bezeichnete. Darunter verstand er die Haltung, dass alle Religionen doch eigentlich gleich viel wert wären, dass es keine wahre Religion gäbe, dass Religion reine Privatsache wäre und das öffentliche Leben deshalb nicht bestimmen dürfte: „Ich habe nichts von jener hohen Vollkommenheit, die zu den Schriften der Heiligen gehört: nämlich, dass kein Irrtum in ihnen zu finden ist. Aber ich glaube behaupten zu dürfen, dass ich bei allem, was ich geschrieben habe, eine ehrliche Absicht hatte, keine privaten Ziele verfolgte, eine Haltung des Gehorsams zeigte, bereit war, mich korrigieren zu lassen, den Irrtum fürchtete, das Verlangen hatte, der Kirche zu dienen, und dass mir durch die göttliche Barmherzigkeit ein schönes Maß an Erfolg beschieden war. Es ist mir eine wahre Freude, sagen zu dürfen: Von Anfang an habe ich gegen ein großes Zeitübel gekämpft. Seit dreißig, vierzig, fünfzig Jahren bemühe ich mich mit meinen besten Kräften, dem Geist des Liberalismus in der Religion zu widerstehen. Nie hatte die heilige Kirche dringender Streiter nötig, die den Kampf dagegen aufnehmen, da er ein Irrtum ist, der leider die ganze Welt in seine Fallstricke zieht. Bei dieser besonderen Gelegenheit, bei der es für jemanden in meiner Position angebracht ist, den Blick auf die Welt, auf die Kirche in der Welt und auf ihre Zukunft zu werfen, wird man es – so hoffe ich nicht als verfehlt erachten, wenn ich den Protest gegen den Liberalismus erneuere, den ich so oft erhoben habe. … Liberalismus in der Religion ist die Lehre, dass es keine positive Wahrheit in der Religion gibt, dass vielmehr ein Glaubensbekenntnis so gut ist wie das andere, und diese Lehre gewinnt täglich an Inhalt und Kraft. Sie widerspricht der Überzeugung, dass irgendeine Religion wahr ist. Sie lehrt, dass alle toleriert werden müssen, denn alle sind Meinungssache. … Die geoffenbarte Religion ist nicht eine Wahrheit, sondern ein Gefühl und eine Sache des Geschmacks, sie ist keine objektive Tatsache, sie ist nicht übernatürlich … Die Religion ist ein privater Luxus, den sich ein Mensch nach Belieben leisten kann, für den er aber selbstverständlich zahlen muss, den er anderen nicht aufdrängen oder dem er nicht so frönen darf, dass er andere dadurch verärgert.“ (Addresses to Cardinal Newman with his Replies etc. 1879-1881, ed. by W. P. Neville, New York 1905, pp. 61-70). Diese Haltung des Liberalismus in der Religion bezeichnet Papst Benedikt XVI. immer wieder als „Relativismus“, der heute eine der größten Herausforderungen für unseren christlichen Glauben darstellt. Die Ansprache Newmans wurde vom römischen Korrespondenten der Times nach London telegraphiert und am nächsten Morgen zur Gänze veröffentlicht. 

Am Vormittag des 15. Mai wurde das öffentliche Konsistorium, der feierliche Höhepunkt bei Kardinalserhebungen, abgehalten. In dieser Feier überreichte der Papst dem neuerwählten Kardinal Newman den Kardinalshut, den Kardinalsring und seine Diakonie, S. Giorgio in Velabro (der Heilige ist der Schutzpatron Englands). Als Wahlspruch wählte er das ihn und sein Werk charakterisierende Wort: Cor ad cor loquitur: Das Herz spricht zum Herzen. Cor ad cor loquitur – diese Worte waren Newman so vertraut, dass er meinte, sie in der Heiligen Schrift oder in der „Nachfolge Christi“ gelesen zu haben. In Wahrheit stammen sie aus einem Brief des heiligen Franz von Sales (1567-1622), der zu Beginn seines Wirkens selbst Oratorianer war. Ein Satz, den Newman gut gekannt haben muss, da er ihn bereits 1855 in einem Vortrag über Hochschulseelsorge zitierte (vgl. The Letters and Diaries of John Henry Newman, Band XXIX, Oxford 1976, pp. 107-108). Cor ad cor loquitur war das Grundprinzip seiner christlichen und oratorianischen Berufung, das Newmans ganzes Leben, seine Theologie und sein pastorales Wirken kennzeichnete. Ludwig van Beethoven hat in die Partitur seiner Missa solemnis [op. 123] etwas Ähnliches notiert: „Von Herzen – Möge es wieder – Zu Herzen gehen!“ 

John Henry Newman selbst interpretierte seine Ernennung zum Kardinal so: „Haec mutatio dexterae Excelsi [Ps 76,11]. All das Gerede, das über mich ergangen, ich sei nur ein halber Katholik, ein liberaler Katholik, verdächtig, nicht vertrauenswürdig, ist nun zu Ende“ (The Letters and Diaries of John Henry Newman, Band XXIX, Oxford 1976, p. 50). Es war in der Tat die volle Anerkennung der Orthodoxie seines Denkens und seiner Lehre, sowie der beständigen Treue zu Lehre und Lehramt der Kirche seitens des Hl. Stuhles. In allen Höhen und Tiefen konnte er als Oratorianer und Kardinal der Kirche mit Gottes Hilfe seinen eigenen Worten entsprechen, die von der Verheißung christlichen Lebens künden: „Ich bin berufen, etwas zu tun oder zu sein, wofür kein anderer berufen ist. Ich habe einen Platz in Gottes Plan, auf Gottes Erde, den kein anderer hat. Ob ich reich bin oder arm, verachtet oder geehrt bei den Menschen, Gott kennt mich und ruft mich bei meinem Namen.“ (Meditations and Devotions, London 1954, pp. 216 f.). 

[Weiterführende Literatur: Paul Bernhard Wodrazka (Hrsg.), John Henry Newman, Oratorianer und Kardinal. Ein großer Lehrer der Kirche. Mit ausgewählten Quellen oratorianischen Lebens. Bonn, nova et vetera 2009, ISBN: 978-3-936741-18-6. Das Buch ist direkt über den Verlag bzw. in jeder Buchhandlung erhältlich.]

 
 
 

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