Die stille Kraft der Klause

Die Einsiedelei auf dem Schaesberg in den Niederlanden zeigt beispielhaft, wie sich eine bescheidene, kleine Kultstätte zum spirituellen Bezugspunkt einer ganzen Region entwickeln kann

Quelle
Einsiedelei Unserer lieben Frau vom verschlossenen Garten
Pope Francis’ visit to the Portiuncula in Assisi
Portiuncula – Wikipedia
Der Besuch des Papstes in Assisi am 4. August – hier das Programm
Besuch der Basilika Santa Maria degli Angeli – Assisi (4. August 2016) | Franziskus

20.07.2025

Hartmut Sommer

Es kommt nicht auf gewaltige Dimensionen, kostbares Dekor, hochstehende Kunstwerke an, damit ein Ort sich mit der “Stimmungskraft” des Heiligen auflädt, wie es der Religionswissenschaftler Rudolf Otto nannte. Eine lange Praxis des Gebetes, wiederkehrende Höhepunkte liturgischer Feiern, das Wirken heiligmäßiger Menschen vermögen es, diese “Stimmungskraft” auch an einen unscheinbaren Ort zu binden. Das wohl außerordentlichste Beispiel dafür ist die Portiunkula-Kapelle im Tal von Assisi, von der die Berufung des heiligen Franziskus ausging, dessen Orden bald weit in die Welt hinausstrahlte. Meist bleibt die Stahlkraft dieser kleinen Heiligtümer auf einen regionalen Einzugsraum beschränkt, für den sie aber einen wichtigen spirituellen Bezugspunkt bilden. Beispielhaft für die Entstehung und Fortentwicklung einer solchen bescheidenen Kultstätte mit Wirksamkeit über Jahrhunderte ist die Einsiedelei auf dem Schaesberg bei Schin op Geul in den Niederlanden.

Als der Franziskanerpater Laurentius Ploumen im Jahre 1687 die Gegend östlich der Maas zwischen Maastricht und Aachen durchstreifte, die “Landen van Overmaas”, kam er wahrscheinlich mit einer missionarischen Sendung, denn nach der Reformation war das religiöse Leben in der Republik der Vereinigten Niederlande von den Calvinisten dominiert. Katholiken, die in Versteckkirchen den Gottesdienst feiern mussten, erhielten mit der von Papst Gregor XV. 1622 initiierten “Holländische Mission” Unterstützung durch ausländische Ordensleute. In den von der Republik eroberten katholischen Gebieten, den sogenannten “Generaliteitslanden”, zu denen auch die “Landen van Overmaas” gehörten, war die Regelung der Religionsausübung weniger streng, aber auch hier kamen die Katholiken unter Druck. Pater Ploumen hatte anscheinend ein genaues Bild über die Verhältnisse in diesem Gebiet, das nach dem Teilungsvertrag von 1661 zwischen der Republik und Spanien einem Flickenteppich glich. So suchte er gewiss nicht zufällig bei Oud-Valkenburg und Schin op Geul nach einem für eine Niederlassung geeigneten Platz, denn diese beiden Ortschaften bildeten eine Enklave unter spanischer, also katholischer Herrschaft inmitten von Gebieten, die zur Republik gehörten. Im Wald auf einem Höhenzug über dem Tal des Flüsschens Geul, dem Schaesberg, wurde er fündig. Eine Jagdhütte, auf die er stieß, schien ihm als vorläufige Unterkunft und für den Beginn eines dauerhaften Wirkens geeignet zu sein. Die Herren von Schloss Schaloen im Geultal genehmigten nicht nur die Nutzung ihrer Hütte, sondern unterstützten deren Ausbau zu einer Einsiedelei mit Kapelle, der “Kluis op de Schaesberg”. 1688 konnte Ploumen sie beziehen.

Das Einsiedlerleben auf dem Schaesberg

Dort steht sie seitdem, die Klause, deren Glockenreiter morgens und abends mit dem Angelusläuten zugleich einen Gruß ins Tal schickte, um den Einwohnern der Dörfer zu versichern, dass mit dem Klausner in seiner Wohnung neben dem Kirchlein alles in Ordnung ist. Blieb er aus, sah man nach dem Rechten. Am 20. November 1706 verstummte die Glocke, denn der Klausner war gestorben. In den achtzehn Jahren auf dem Schaesberg hatte er seine Kapelle zu einem festen Bestandteil im religiösen Leben des Landstrichs gemacht. Wunschgemäß wurde er in seinem Kirchlein beigesetzt. Dass Pater Ploumen nicht nur sein eigenes Heil in einem abgeschiedenen Leben suchte, sondern priesterlich-missionarisch in das Umland wirken wollte, bezeugt sein Testament. Darin richtet er sich an seine Nachfolger, die sich um die Vergrößerung der Kirche und die Erweiterung der Einsiedelei bemühen sollten, damit das Altarsakrament stets würdig gefeiert werden könne, möglichst durch einen zum Priester geweihten Klausner. Tatsächlich hatte er 16 Nachfolger, von denen einige entscheidend zur Fortsetzung seines Werkes beigetragen haben.

Die von Ploumen gewünschte Erweiterung der Kapelle erfolgte um 1756, denn die Einsiedelei war zu einem immer beliebteren Wallfahrtsort geworden. Besonders die während der Zeit von Arnoldus Haesen († 1764), dem sechsten Klausner, entstandene Prozession zur Klause mit anschließender Messe und Kirmes, der sogenannte Sjaasbergergank, zog stets mehr Gläubige an. Dieser Klausner verstand es auch, auf volkstümliche Weise die Anziehungskraft des kleinen Heiligtums zu fördern. In der Tierheilkunde erfahren, backte er kleine Küchlein, denen er im Wald gesammelte Kräuter hinzugefügte. Nach der Messe verteilte er sie an die Viehzüchter für deren Tiere. Die Heilwirkung dieser “Sint Teunisbroodjes”, nach dem heiligen Antonius (Teunis) von Padua benannt, dem Patron der Kapelle, war laut Überlieferung überzeugend.

Pater Ploumen hatte noch einen besonderen Nachfolger, seinen zwölften: Henricus Weerts (1827–1889), der durch seinen Dienst als Zuave bei den päpstlichen Truppen weithin bekannt wurde. Vor seiner Zeit als Einsiedler war er seit 1856 Mitglied im Dritten Orden der Franziskaner gewesen, also als Laie, der sein Leben außerhalb eines Klosters an den Idealen des heiligen Franziskus ausrichtete. Das Bedürfnis nach größerem Ernst und die franziskanische Tradition der Klause führte ihn wohl auf den Schaesberg, wo er sich 1860 den dort wohnenden beiden Klausnern Willem Smitsmans und Joseph Dresen anschloss. Sechs Jahre hatte er mit ihnen das karge Einsiedlerleben geteilt, als ihn die glühenden Aufrufe der katholischen Presse erreichten, dem bedrängten Papst Pius IX. als Freiwilliger in den päpstlichen Truppen beizustehen.

Der Kirchenstaat kam nämlich erneut unter Druck, nachdem bereits bis 1860 die Romagna, Marche sowie Umbrien an das Königreich Sardinen-Piemont abgetreten werden mussten, sodass dem Papst mit Rom und Latium nur noch ein Rumpfstaat blieb. Auch dessen Existenz war prekär, denn das 1861 gegründete Königreich Italien warf ein begehrliches Auge auf Rom und ließ den nationalistischen Freischärlern unter Führung von Giuseppe Garibaldi, die immer wieder auf päpstliches Gebiet vorstießen, freie Hand. Als die Franzosen 1864 den Abzug ihrer Schutztruppe aus dem Kirchenstaat ankündigten, mussten die eigenen militärischen Kräfte verstärkt werden. Ein wichtiges Element dabei war das 1861 von Kardinal Xavier de Mérode als internationaler Freiwilligenverband aufgestellte Bataillon der päpstlichen Zuaven. Name und Uniform mit Pluderhose und Bolerojacke wurde von der legendären kabylischen Hilfstruppe übernommen, die im algerischen Kolonialkrieg auf französischer Seite kämpfte.

Das kleine Heiligtum besteht fort

Dem Hilferuf aus Rom folgten Freiwillige aus ganz Europa. Insbesondere in den Niederlanden war die Begeisterung groß. Weerts ließ sich davon mitreißen und brach am 1. April 1866 auf. Nach sechswöchiger Ausbildung ging er am 2. Juni zum ersten Mal als Zuave auf eine der tagelangen, kräftezehrenden Patrouillen in den Bergen des römischen Umlandes, wo Banden der Briganten und eingesickerte Freischärler die Gegend unsicher machten. Als dann ab dem 28. September 1867 Garibaldis Kämpfer versuchten, mit starken Kräften Rom einzunehmen, war Weerts bei den verlustreichen Kämpfen um Montelibretti dabei, einem der heftigen Gefechte, mit denen die päpstlichen Truppen ein letztes Mal den Kirchenstaat retteten. Am 8. Juli 1868 zeichnete er unerschrocken eine erneute Zweijahresverpflichtung, die in eine ruhige Zeit fiel, sodass ihm im Februar 1869 ein dreimonatiger Urlaub für eine Pilgerfahrt ins Heilige Land gewährt wurde. Als Rom schließlich am 20. September 1870 vor den Truppen des italienischen Königs Viktor Emanuel II. kapitulierte, war er bereits wieder auf dem Schaesberg.

Hochgeehrt als Zuaven-Veteran und charismatischer Klausner starb Weerts am 18. März 1889. Er hinterließ zahlreiche Briefe, in mystischer Erhebung verfasste Gedichte und die ausführlichen Tagebücher aus seiner Zuavenzeit und von seiner Pilgerfahrt.

Erst 1930 endete die Reihe der Einsiedler auf den Schaesberg, doch eine ehrenamtliche Initiative hält das Kirchlein weiter zugänglich und insbesondere die Prozession zur Klause mit anschließender Messe und Kirmes wird weiterhin durchgeführt. Und noch heute gibt es auf der jährlich stattfindenden Pferdesegnung “Sint Teunisbroodjes” für die Tiere. Die von einem lichten Laubwald umgebene Klause lockt viele Wanderer im Geultal zu dem Abstecher von einer halben Wegstunde hinauf zum Schaesberg. In der ehemaligen Wohnung der Klausner sind jetzt Andenken an ihr Leben und Wirken ausgestellt. Besonders an Weerts wird erinnert, den Zuave-Klausner. Das Kirchlein ist schlicht, wie es sich für eine Einsiedelei gehört. Östlich der Klause, wo 1843 ein Kreuzweg aus vierzehn im Kreis um eine Grabesdarstellung aufgestellten Bildstöcken errichtet wurde, öffnet sich der Blick weit über die sanft gewellte Landschaft, den Fluss und die Ortschaften im Tal.

Der Verfasser ist promovierter Erziehungswissenschaftler. Er arbeitet als freier Autor und Übersetzer.

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