Kardinal Erdő: In der Nachfolge Benedikts
Der Erzbischof von Esztergom-Budapest gilt schon länger als möglicher nächster Papst. Besonders theologisch Konservative hoffen auf den Primas von Ungarn. Teil VI unserer Papabili-Reihe
03.05.2025
Ein Name, der schon länger fiel, wenn von den möglichen Nachfolgern von Papst Franziskus die Rede war, ist Kardinal Péter Erdő. Am 25. Juni 1952 in Budapest geboren und 1975 zum Priester geweiht, ist der heutige Erzbischof von Esztergom-Budapest und Primas von Ungarn vor allem unter lehramtstreuen – und in dieser Hinsicht “konservativen” – Katholiken beliebt.
Theologisch können Erdő wohl nur wenige andere Kardinäle das Wasser erreichen. Er hat nämlich gleich zwei Doktorate vorzuweisen: eines in Theologie (1976) von der Katholischen Péter-Pázmány-Universität, an der er später sowohl als Professor als auch als Rektor wirkte, und eines in Kanonischem Recht (1980) von der Päpstlichen Lateranuniversität in Rom. Seine akademischen Meriten dürften ihn vor allem für jene Papstwähler attraktiv machen, die sich – angesichts des theologisch nicht immer ganz sattelfesten Pontifikats von Franziskus – nach Stabilität, Klarheit und Kontinuität in der Lehre der Kirche sehnen. Seine Karriere verdankt er Johannes Paul II.
Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch Erdős Ruf als Ratzingerianer, wobei er seine Karriere in der Kirchenhierarchie Papst Johannes Paul II. zu verdanken hat. Unter dessen Pontifikat wurde er zunächst Weihbischof von Székesfehérvár (2000), dann Erzbischof von Esztergom-Budapest (2002) und schließlich Kardinal (2003) – damals als jüngstes Mitglied des Kardinalskollegiums. Erdő ist zudem Mitglied mehrerer vatikanischer Dikasterien, darunter die Kongregation für das Katholische Bildungswesen und der Päpstliche Rat für die Gesetzestexte. Von 2006 bis 2016 war er Präsident des Rates der Europäischen Bischofskonferenzen.
Es wäre falsch, wollte man Erdős Profil rein auf das Intellektuell-Theologische beschränken. Erdő wurde die katholische Frömmigkeit nämlich sprichwörtlich in die Wiege gelegt. Er wuchs als das älteste von sechs Kindern in einer frommen katholischen Familie auf. Geprägt haben ihn auch die Repressalien, die seine Eltern aufgrund ihres Glaubens unter dem kommunistischen Regime erleiden mussten: Sein Vater durfte nicht als Jurist, seine Mutter nicht als Lehrerin arbeiten. Erdő steht damit für das Bewusstsein, dass der Glaube auch dazu verpflichten kann, sich gegen die Welt und ihre herrschende Ideologie zu wehren.
Als einen Kulturkämpfer wird man Erdő jedoch auf keinen Fall bezeichnen können. Stattdessen beruft sich der hochgebildete Theologe in allen Punkten, in denen der Glaube in die politischen Grabenkämpfe der Gegenwart hineingezogen zu werde droht, nüchtern und klar auf die Heilige Schrift und die Lehre der Kirche. So warnte er 2024 in einem Interview mit “Vatican News” davor, die Nationen zu vergötzen, da sie “nicht den höchsten Wert” hätten. Allerding verwies er auch darauf, dass “die Völker eine gewisse Rolle im großen Plan Gottes” spielten, weshalb auch sie sich laut Bibel beim Jüngsten Gericht dem Urteilsspruch Gottes ausgesetzt seien. In dieser ausgewogenen und anti-ideologischen Zugangsweise zu gesellschaftlich-religiösen Fragen könnten nicht nur Konservative einen großen Pluspunkt sehen.
Im Zentrum steht für Erdö Christus
Im Zentrum stehen für Erdő aber nicht tagespolitische Kommentare, sondern Christus: “Christentum definiert niemals, was ich nicht bin. Es bedeutet, dass ich zu Christus gehöre,” soll der ungarische Hoffnungsträger laut “Kathpress” einmal in einem Interview gesagt haben. Das Schönste und Wichtigste für ihn sei “die Verkündigung des Evangeliums“.
Auch als Kommunikator innerhalb der Weltkirche hätte Erdő einen großen Vorteil: Er ist ein großes Sprachentalent und beherrscht neben Ungarisch auch Italienisch, Englisch, Französisch, Latein und Slowakisch.
Trotz all dieser Stärken steht der Stern Erdős am Papabili-Himmel nicht mehr an seinem Zenit. Hauptverantwortlich dafür dürfte neben seiner zurückhaltenden Art einmal eine von manchen als zu groß wahrgenommene Nähe zu Viktor Orbán sein. Belastbar ist diese Suggestion aber nicht wirklich, ging Erdő doch in der Vergangenheit schon öffentlich, wenn auch nur indirekt, auf Distanz zu Positionen Orbáns. So hinterfragte der Kardinal etwa die These, Ungarn sei eine christliche Nation sinngemäß mit dem Hinweis, dass es in erster Linie nicht um kulturelle Traditionen, sondern um den lebendigen persönlichen Glauben ginge.
Ein zweiter, vielleicht noch größere Stolperstein auf dem Weg zum Papstamt könnte ein von der Missbrauchsopfervereinigung “Survivors Network of those Abused by Priests (SNAP)” erhobener Vorwurf aus diesem Jahr sein: “SNAP” beschuldigt Erdő als einen von sechs Kardinälen, in der Vergangenheit zu zögerlich und zu lax mit kirchlichen Missbrauchstätern umgegangen zu sein. Eine Prüfung dieser Vorwürfe steht aber noch aus.
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