Wahlen in der Ukraine können den Krieg nicht beenden

Ukrainische Präsidentschafts- und Parlamentswahlen, wie Trump und Putin sie wünschen, sind in naher Zukunft unrealistisch

Quelle
Walerij Saluschnyj – Wikipedia

02.05.2025

Andreas Umland

Zu den Ungereimtheiten des neuen amerikanischen Ansatzes zum russisch-ukrainischen Krieg gehört die Annahme, baldige Wahlen in der Ukraine könnten hilfreich oder gar entscheidend sein für eine Beendigung der Kämpfe. Die Behauptung, dass ein schneller Wechsel an der Spitze der Ukraine, also ein neuer Präsident, zur Erreichung des Friedens beitrage, findet nicht nur in Moskau, sondern auch in Washington Befürworter. Diese Akteure halten ein solches Szenario für plausibel, obwohl ein politischer Wandel in der Ukraine angesichts der Realitäten vor Ort in naher Zukunft unwahrscheinlich ist.

Die Durchführung sinnvoller ukrainischer Präsidentschafts- und Parlamentswahlen während des Kriegs oder kurz nach Abschluss eines Waffenstillstands ist illusorisch. Die seit 2022 andauernde vollumfängliche Invasion Russlands macht eine landesweite Abstimmung unmöglich und setzt eine längere Vorbereitung nach Kriegsende voraus. Der Krieg hat die Gesellschaft und Infrastruktur der Ukraine so stark in Mitleidenschaft gezogen, dass es in der Ukraine nun einen Konsens darüber gibt, dass ein neues Gesetz für Nachkriegswahlen verabschiedet und umgesetzt werden muss, um den neuen Umständen Rechnung zu tragen. Die Vorbereitung von Wahlen nach Kriegsende könnte bis zu einem Jahr dauern.

Forderungen nach politischer Erneuerung sind naiv

Die Forderungen nach politischer Erneuerung in der Ukraine sind daher bestenfalls verfrüht und naiv, schlimmstenfalls manipulativ und subversiv. Der Beginn von Russlands Großangriff vor drei Jahren hat die Durchführung geordneter Wahlen während der ständigen Kämpfe im Osten und Luftangriffe im ganzen Land unmöglich gemacht, solange der Krieg andauert. In einem von der führenden ukrainischen Wahlbeobachtungsgruppe Opora organisierten Aufruf ukrainischer NGOs vom 20. Februar heißt es: “Die instabile Sicherheitslage, die Gefahr von Beschuss, Terroranschlägen und Sabotage sowie die großflächige Verminung von Gebieten stellen in allen Phasen des Wahlprozesses erhebliche Hindernisse dar.”

Moskaus Begründung seiner Forderung nach ukrainischen Wahlen ist die angebliche Sorge um die Legitimität der ukrainischen Führung. Russlands Ziel ist es jedoch nicht, die Volksherrschaft in der Ukraine zu schützen, sondern eine erhöhte Verwundbarkeit des Landes während eines Wahlkampfs und Votums für staatliche Unterwanderung zu nutzen. Das Motiv der russischen Kampagne für baldige Wahlen in der Ukraine ist nicht ein stabiler Frieden zwischen beiden Ländern, sondern innenpolitische Destabilisierung und anschließende Unterwerfung der Ukraine.

Selenskyji hätte gute Chancen, wiedergewählt zu werden

Einige sind sich nicht bewusst oder halten es für unwichtig, welche Motive Moskaus hinter dem scheinbarem Interesse an ukrainischer Demokratie stecken. Die Hinterlist und Subversivität von Moskaus Forderung nach Wahlen sollte jedoch nicht unterschätzt werden. Ein Indiz, dass das Ziel staatlicher Zerrüttung hinter der angeblichen Sorge um demokratische Legitimität in der Ukraine steht, ist, dass selbst erfolgreich durchgeführte Wahlen die Außenpolitik der Ukraine kaum ändern werden. Ein hypothetischer baldiger Machtwechsel in der Ukraine wird nicht zu einer substanziellen russisch-ukrainischen Annäherung führen.

So deuten die meisten Umfrageergebnisse sowie die parteipolitische Konstellation seit Beginn der russischen Großinvasion im Februar 2022 auf einen zweiten Sieg von Wolodymyr Selenskyj bei Präsidentschaftswahlen in naher Zukunft hin. Er wird seinen Erdrutschsieg von 2019 mit über 73 Prozent im zweiten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen womöglich nicht wiederholen können. Auch schwankte die Unterstützung für den amtierenden Präsidenten seit drei Jahren und ist daher nicht genau vorherzusagen, falls es zu Wahlen kommt. Zu guter Letzt hat die Beliebtheit des ehemaligen Oberbefehlshabers der ukrainischen Streitkräfte und derzeitigen ukrainischen Botschafters im Vereinigten Königreich, General Waleri Saluschnyj, diejenige Selenskyjs überholt.

Jedoch liegt Selenskyj weiterhin weit vor allen derzeit aktiven ukrainischen Politikern mit mehr oder weniger funktionierenden politischen Parteien. Sein bisher schärfster Rivale mit offiziellen politischen Ambitionen ist Ex-Präsident Petro Poroschenko. Er hat jedoch nicht nur 2019 spektakulär gegen Selenskyj verloren. Derzeit erhält Poroschenko in Meinungsumfragen weniger als die Hälfte der Unterstützung Selenskyjs. Laut aktuellen Umfragen wäre General Saluschnyj, dessen Karriere 2021 von einer steilen Beförderung zum Oberbefehlshaber durch Selenskyj profitierte, zwar ein potenter politischer Konkurrent für Selenskyj. Allerdings hat er bisher weder solche Ambitionen angedeutet noch sich in puncto Parteiaufbau oder Vorbereitungen für einen Einstieg in die Politik engagiert. Seit seiner Entsendung als Botschafter nach London 2023 ist er im ukrainischen öffentlichen Leben weniger präsent, obwohl die Unterstützung der Bevölkerung für ihn immer noch höher ist als für jeden anderen hypothetischen Konkurrenten von Selenskyj. Solange Saluschnyj nicht in die Parteipolitik einsteigt, bleibt Selenskyj absoluter Favorit für die nächsten Präsidentschaftswahlen.

Selenskyj ist eher Taube als Falke

Zweitens kommt die Hauptkonkurrenz für Selenskyj und seine Partei “Diener des Volkes” eher von Mitte-Rechts sowie aus der national orientierten Zivilgesellschaft als aus dem politischen Zentrum oder von der politischen Linken. Es gibt nur noch wenige nennenswerte Mitte-Links- oder pro-russische Akteure, die in der Ukraine ein Restpublikum haben. Seit Beginn der Invasion Russlands 2022 haben sie entweder (wie Juri Bojko und Dmytro Rasumkow) viel von ihrer Anziehungskraft bei den Wählern verloren oder (wie Wiktor Medwedtschuk und Jewhen Murajew) das Land verlassen. Im Frühjahr 2025 kommt keiner von ihnen als Anwärter auf die Präsidentschaft in Frage.

Selenskyj wird trotz seines jüdischen Familienhintergrunds von Moskau als “Nazi” bezeichnet und von einigen nicht-ukrainischen Beobachtern als “Falke” gesehen. Doch wird er seit Beginn seiner politischen Karriere 2019 von den meisten ukrainischen Journalisten und Experten als relativ gemäßigter Politiker wahrgenommen. Selenskyj und sein Team werden in der Ukraine oft dafür kritisiert, dass sie Russland gegenüber zu optimistisch, nachgiebig und unentschlossen seien. Die hohe Beliebtheit Salushnyjs beruht teils auf der Hoffnung, dass der General gegenüber Russland entschlossener und effektiver sein würde als die “Taube” Selenskyj.

Unter politischen Beobachtern der Ukraine ist die Annahme verbreitet, dass Kriegsveteranen und ihre Parteien in der ukrainischen nationalen, regionalen und lokalen Politik nach dem Krieg eine wichtige Rolle spielen werden. Gegenwärtige oder ehemalige Militärangehörige mit Fronterfahrung werden von vielen Ukrainern nicht nur als gut geeignet angesehen, ihr Land vor der russischen Bedrohung zu schützen. Sie gelten auch als weniger korrupt, patriotischer und besser qualifiziert für Führungspositionen als traditionelle Politiker. Wahrscheinlich werden Männer und Frauen mit militärischem Hintergrund bei künftigen Wahlen ihre Präsenz im Parlament, in der Regierung und den Regionalverwaltungen erhöhen. Das kann durch ihre Aufnahme in die Listen bestehender Parteien, unabhängige Kandidaturen oder Bildung neuer politischer Gruppierungen mit militärischem Profil geschehen. Doch der massive Eintritt ehemaliger Soldaten in die ukrainische Politik wird die Haltung gegenüber Moskau eher verhärten als aufweichen.

Trumps ungeschickte Kontaktaufnahme

Die jüngsten amerikanischen Kontakte mit Ex-Präsident Petro Poroschenko und Ex-Premierministerin Julja Tymoschenko als mögliche Nachfolger Selenskyjs deuten auf eine dreifache Fehleinschätzung in Washington hin. Erstens würden die meisten Beobachter eine künftige Präsidentschaft Tymoschenkos und Poroschenkos als unrealistisch abtun. Die beiden Politiker sind zwar heute im öffentlichen Leben, in den Massenmedien und im Parlament präsent. Doch sind sie Vertreter einer vergangenen Ära und Symbole der problematischen Vergangenheit der frühen postsowjetischen Ukraine. Ihre Parteien, “Europäische Solidarität” und “Vaterland”, werden wohl auch im nächsten Parlament vertreten sein. Poroschenko und Tymoschenko haben jedoch kaum eine Chance, erneut Präsident, Premierminister oder Minister zu werden.

Zweitens haben Poroschenko und Tymoschenko gegenüber ihren US-Gesprächspartnern deutlich gemacht, dass auch sie gegen baldige Wahlen sind. Stattdessen teilen sie die weit verbreitete ukrainische Ablehnung von Wahlkampf und Abstimmungen in Kriegszeiten. Beide Politiker wären wahrscheinlich auch skeptisch gegenüber Wahlen unmittelbar nach Aufhebung des Kriegsrechts und würden eine längere Vorbereitung erwarten, bevor ein ordnungsgemäßes Wahlprozedere stattfinden kann. Drittens werden die politischen Folgen einer hypothetischen Nachfolge Selenskyjs durch Tymoschenko, Poroschenko oder einen anderen heute denkbaren Präsidentschaftskandidaten in Washington überschätzt. Selbst wenn es zu einem Führungswechsel kommen sollte, würde das wenig an der außenpolitischen Ausrichtung der Ukraine und an ihrer Haltung gegenüber Russland ändern. So sind die Parteien von Tymoschenko und Poroschenko nationalistischer als Selenskyjs “Diener des Volkes”. Beide Politiker haben sich in der Vergangenheit durch bellizistische Äußerungen gegenüber Russland hervorgetan.

Ein Trugbild, das aus Moskau stammt

Es besteht eine offensichtliche Diskrepanz zwischen den in letzter Zeit häufiger werdenden Forderungen nach Wahlen in der Ukraine und ihren politischen Auswirkungen. Dieser Widerspruch hängt mit der zweifelhaften Herkunft und destruktiven Funktion der Idee zusammen, dass Wahlen in der Ukraine zur Beendigung des russisch-ukrainischen Kriegs beitragen können. Weder die kriegsbedingte Verschiebung der ukrainischen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen noch die Person Wolodymyr Selenskyjs sind für die Ergebnislosigkeit der aktuellen Verhandlungen zwischen den USA, der Ukraine und der Russischen Föderation verantwortlich.

Die Verbreitung der irreführenden Vorstellung, dass die schnelle Wahl eines neuen ukrainischen Präsidenten oder Parlaments zu einem stabilen Waffenstillstand oder zu dauerhaftem Frieden zwischen Russland und der Ukraine führen kann, ist eine gezielte Verschleierung der historischen Gründe und Wege zur Beendigung des Krieges. Das Trugbild, dass ukrainische Wahlen für ein Ende der Kämpfe notwendig sind, wurde in Moskau entworfen. Es zu übernehmen ist ein schwerwiegender Fehler der involvierten internationalen Akteure.

Der Autor ist Analyst am Stockholmer Zentrum für Osteuropastudien (SCEEUS) des Schwedischen Instituts für Internationale Angelegenheiten (UI).

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