Nonnis Glück
Vor 80 Jahren, am 16. Oktober 1944, starb einer der erfolgreichsten Kinder- und Jugendbuchautoren Europas: der isländische Jesuit Jón Sveinsson alias Nonni
Nonnis Glück | Die Tagespost (die-tagespost.de)
Deutsch-Isländische Gesellschaft e.V. – Nonnis Bücher
Jón Sveinsson – Wikipedia
Amazon.de : Nonni
Island: Der historische Bischofssitz Skálholt
Jón Arason – Wikipedia
16.10.2024
Der Isländer und Jesuitenpater Jón Sveinsson, besser bekannt als Nonni, war fast 50 Jahre alt, als er 1906 sein erstes Jugendbuch veröffentlichte. Sein Ordensbruder Friedrich Muckermann hat seinerzeit im “Gral”, der “Monatsschrift für Kunstpflege im katholischen Geiste”, erzählt, wie er in Dänemark den Jugendschriftsteller Nonni entdeckte. Zufällig hätte er die von Nonni geschriebene Skizze “Das Lämmchen” gelesen und sei von der Erzählerkunst begeistert gewesen. Ein anderer Jesuitenpater, Hermann A. Krose, vermittelte Nonni an den Herder Verlag. Die zwölf “Nonni”-Bücher wurden zum Welterfolg: Sie erreichten eine Millionenauflage und wurden in 45 Sprachen übersetzt. Über das Geheimnis seines Erfolges schrieb der international gefeierte Autor einmal: “Ich habe mich nie gesucht, nach einem Muster zu schreiben. Ich wollte nur das sein, was ich bin. Ich wollte meine Natur, die kindlich und naiv ist, geben, wie sie ist, und gerade das ist es, was in meinen Schriften gefällt, wohl hauptsächlich deshalb, weil es wahr ist.”
Der Lebensweg Nonnis war alles andere als geradlinig oder einfach. Um ihn zu verstehen, muss man weit in die Geschichte Islands zurückgehen. Im Jahr 1550 wurde in Skálholt in Island im Zuge der Reformation der letzte katholische Bischof hingerichtet. Mit dem Tod von Bischof Jón Arason von Holar kam die Geschichte der katholischen Kirche auf der Insel für 300 Jahre zum Stillstand. Erst 1854 entschied sich die Congregatio de Propaganda Fide (Kongregation für die Verbreitung des Glaubens), die Nordpolmission (Praefectura Apostolica Poli Arctici) zu gründen. Das Ziel war, die nördlichen Regionen Skandinaviens, die Färöer-Inseln, Grönland und Island wieder für den katholischen Glauben zu gewinnen. Im Frühjahr 1857 reiste der französische Missionar Bernard Bernard (1821–1895) in Begleitung des Isländers Olaf Gunnlaugsson von Frankreich aus nach Island, um dort für die etwa 3.000 französischen und flämischen Kabeljau-Fischer eine Missionsstation zu errichten. Bernard wollte die im 19. Jahrhundert aufkommende isländische Nationalbewegung für die Mission nutzen, indem er den Protestantismus als Wesensmerkmal der dänischen Kolonialmacht bezeichnete und den Katholizismus, den die Isländer bereits im 11. Jahrhundert angenommen hatten, als ursprünglichen Glauben der Isländer hervorhob. Katholizismus war der Glaube der Vorväter, von daher sei es nur zu verständlich, wenn sich die Isländer auf ihrem Weg zur Unabhängigkeit von Dänemark, den sie 1944 erreichten, wieder auf diesen Glauben besinnen würden.
Der erste isländische Priester seit der Reformation
Ein Jahr nach Bernard, im Frühling 1858, landete der 27-jährige französische Priester Jean-Baptiste Baudoin (1831–1875) in Island. Zusammen mit Bernard erwarben sie den Hügel Landakot in Reykjavik, der Hauptstadt des Landes. Ab 1862 kamen auch deutsche Missionare nach Island, das zum Zuständigkeitsbereich des Bischofs von Osnabrück gehörte. Als Deutschland und Frankreich 1870/71 Krieg gegeneinander führten, kam es auch zwischen den beiden Priestern zu Konflikten – die Mission drohte zu scheitern. Doch zwei Kinder retteten sie.
Eines davon war Jón Sveinsson. Er war einer der ersten Isländer, wenn nicht gar der erste, der nach der Reformation zum katholischen Priester geweiht wurde. Der 1857 geborene Spross eines alten irisch-isländischen Adelsgeschlechts stammte aus dem armen Norden Islands. Drei seiner sieben Geschwister starben an Diphtherie, auch sein Vater schied früh aus dem Leben. Aus der Not gab seine Mutter ihn im Alter von zwölf Jahren in die Obhut Baudoins. Dieser wollte Nonni im Auftrag des Grafen von Avignon zur Ausbildung nach Frankreich schicken. Beim Grafen von Avignon handelte es sich um den Jesuiten Marie-Alberic de Foresta, der mit Rückendeckung des Jesuitengenerals und des Vatikans unter den “Barbaren des Nordens” wieder den katholischen Glauben verbreiten wollte.
Wegen des deutsch-französischen Krieges landete Nonni jedoch zunächst in Dänemark, wo er Zögling einer deutschen Jesuitenschule wurde. Erst nach Kriegsende 1871 konnte er nach Amiens in ein ebenfalls von Jesuiten geführtes Internat wechseln und dort das Abitur machen. Dort konvertierte er zum katholischen Glauben, studierte Theologie in Louvain und wurde Jesuitenpater. Ihm kam zu Hilfe, dass die deutschen Jesuiten zu dieser Zeit über eine Reihe von “Schriftstellerheimen” verfügten. Mit der in Island hoch angesehenen Schriftstellerei konnte er seine ihm entzogene Kindheit und den Verlust seiner Eltern und seines Heimatlandes verarbeiten.
Gebrochene oder glückliche Kindheit?
Einer der Biographen Nonnis, Ottmar Fuchs, ist der Ansicht, dass der berühmte Jugendbuchautor sich darüber bewusste geworden sei, “das Opfer einer ganz bestimmten, durchaus offensiven Missionsstrategie” geworden zu sein. Dennoch beschrieb Sveinsson in seinen Jugendromanen, besonders in seinem autobiographischen “Wie Nonni das Glück fand” von 1934, seine Konversionsgeschichte letztlich auf positive Weise, indem er sie dem größeren „Willen Gottes“ unterordnete. Vielleicht war diese Haltung auch das Erfolgsrezept seiner Jugendromane, deren Geschichten trotz roher Naturgewalten und menschlicher Schicksalsschläge immer gut ausgingen.
Der Faszination, die von Nonni ausging, konnte sich auch Halldór Laxness, der spätere erste Literaturnobelpreisträger Islands, nicht entziehen. 1923 lernten sich beide bei Jesuiten in Paris kennen. Nonni, der damals bekannteste isländische Schriftsteller, war 45 Jahre älter als Laxness. Drei Jahre lang sahen die beiden sich häufig und pflegten intensiven Briefkontakt. Laxness sah in Nonni zunächst eine Art Ersatzvater. Nonni wiederum versuchte den Weg Laxness‘, der im luxemburgischen Benediktinerkloster Clervaux getauft worden war, in die katholische Kirche zu unterstützen. Dennoch hätten die beiden, vor allem auch was ihren literarischen Stil betraf, verschiedener nicht sein können. Der eine schrieb Abenteuergeschichten für Kinder und Jugendliche, der andere versuchte den Puls der Zeit zu fühlen. Nach dem Tod Nonnis äußerte sich Laxness distanziert: Er habe in Nonni nie ein Genie, sondern im Gegenteil schriftstellerische Einfalt gesehen.
Am 16. Oktober 1944 starb Jón Sveinsson im Alter von 87 Jahren in einem Luftschutzkeller in Köln-Ehrenfeld bei einem Luftangriff. Erst wenige Monate zuvor, am 17. Juni 1944, war Island unabhängig geworden. Im Juli 1942 hatte ihn die Gestapo aus dem Jesuitenhaus Valkenburg in Holland, dem einstigen Zentrum der deutschen Jesuiten, auf einem Lastwagen nach Aachen transportiert und dort auf einer Straße ausgesetzt. Begraben ist Nonni auf dem Kölner Melaten-Friedhof. Sein schriftstellerisches Andenken pflegt bis heute ein Fanclub.
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