Religion stärkt Solidarität in der Gesellschaft

Solidarität gilt als “Kitt der Gesellschaft” – nicht nur in Krisenzeiten. Sie ist normatives Bindemittel für den Zusammenhalt. Eine neue Datenauswertung des Religionsmonitors 2023 der Bertelsmann Stiftung verdeutlicht nun, dass die Solidarität in Deutschland insgesamt gut ausgeprägt ist. Die Spendenbereitschaft ist hoch, ebenso das Vertrauen in andere Menschen aus dem näheren Umfeld sowie in den Staat. Insgesamt zeigt sich, dass Religiosität zu mehr Solidarität zwischen den Menschen führt

Religion stärkt Solidarität in der Gesellschaft (bertelsmann-stiftung.de)
Generationen zwischen Konsens und Konflikt
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Gütersloh, 21. März 2024

Driften die gesellschaftlichen Gruppen auseinander und drohen gesellschaftliche Solidaritätsstrukturen auseinanderzubrechen – so wie es viele aktuelle Diskussionen und Artikel in den Medien suggerieren? Keineswegs. Eine neue Studie im Rahmen des Religionsmonitors der Bertelsmann Stiftung zeigt, dass es um die Solidarität in unserer Gesellschaft weit besser bestellt ist, als solche Diskussionen und Artikel uns glauben lassen.

Dies zeigt sich etwa mit Blick auf die Spendenbereitschaft. Laut dem Religionsmonitor 2023 haben rund zwei Drittel der Befragten in Deutschland in den vergangenen zwölf Monaten für wohltätige Zwecke gespendet, davon 72 Prozent in Form einer Geldspende. 61 Prozent geben an, dass sie im Falle eines Lottogewinns einen Teil des gewonnenen Geldes für wohltätige Zwecke abgeben würden. Rund drei Viertel der Bevölkerung würde Geld spenden für Flutopfer in Deutschland; fast zwei Drittel auch für Opfer eines Erdbebens in einem Entwicklungsland. Stark ausgeprägt ist die Hilfsbereitschaft auch gegenüber Flüchtlingen: Rund drei Viertel der Befragten wären bereit zu helfen, wenn eine geflüchtete Person um Unterstützung bei Behördengängen bittet (79 Prozent bei Ukrainer:innen, 73 Prozent bei Syrer:innen). Und jede vierte Person hat sich während des Befragungszeitraums ehrenamtlich für die Gemeinschaft engagiert. “Wir sehen hier, dass die Solidaritätsstrukturen in Deutschland durchaus intakt sind”, erklärt Ulrich Kober, Experte für Integration und Zusammenhalt der Bertelsmann Stiftung. “Das ist gerade in Zeiten großer Verunsicherung und grundlegender gesellschaftlicher Konflikte eine sehr gute und keineswegs selbstverständliche Nachricht.”

Besonders positiv ausgeprägt sind Solidaritätshaltungen bei Personen mit Religionsbezug. “Unsere Zahlen zeigen: Religion ist eine wichtige Quelle für Solidarität”, sagt Yasemin El-Menouar, Religionsexpertin der Bertelsmann Stiftung. So geben in den Befragungen des Religionsmonitors 70 Prozent der religiösen Personen an, aktive Spender:innen zu sein. Zum Vergleich: Bei Personen ohne Religionsbezug sind es 59 Prozent. Vertieften Analysen zeigen zudem, dass schon die religiöse Prägung in Kindheit und Jugend einen positiven Effekt hat und auch im Erwachsenenalter nachhallt, selbst wenn sich die Menschen später weniger mit der Religion verbunden fühlen. Die Hilfsbereitschaft für Geflüchtete ist bei religiösen Personen ebenfalls tendenziell stärker. 73 Prozent der befragten Christ:innen und 88 Prozent der befragten Muslim:innen würden Syrer:innen unterstützen, während es bei den Personen ohne Religionszugehörigkeit 67 Prozent sind. Bei der Unterstützung für Geflüchtete aus der Ukraine zeigt sich, dass die Hilfsbereitschaft bei Befragten mit christlicher Religiosität ausgeprägter ist als bei nichtreligiösen Personen: 82 Prozent der Christ:innen würden hier helfen, im Vergleich zu 76 Prozent bei den Menschen ohne Religionszugehörigkeit. Bei den Muslim*innen liegt die Bereitschaft, den meist christlichen Ukrainer:innen zu helfen, allerdings etwas niedriger (72 Prozent).

Misstrauen untergräbt Solidarität – aber Solidaritätsverhalten insgesamt stark verbreitet

Der Religionsmonitor zeigt weiter, dass neben dem Religionsbezug das Vertrauen in andere Menschen eine wichtige Rolle für das eigene Solidaritätsverhalten spielt. Während unter denjenigen Befragten, die den meisten Menschen im Allgemeinen vertrauen, 74 Prozent spenden, sind es bei den persönlich eher misstrauischen Befragten nur 52 Prozent. Bei der hypothetischen Spendenbereitschaft im Falle eines Lottogewinns ist der Unterschied sogar noch größer: 76 Prozent gegenüber 40 Prozent. Wer also auf die Hilfe der anderen vertraut, ist eher bereit, anderen zu helfen.

Insgesamt sind laut Religionsmonitor zwei Drittel der Befragten der Meinung, dass sich Arme und in Not Geratene hierzulande auf Unterstützung verlassen können. Dieses generelle Sozialvertrauen ist auf den ersten Blick erstaunlich – angesichts dessen, dass laut den Befragungen des Religionsmonitors rund drei Viertel der Bevölkerung in Deutschland ein eher pessimistisches Menschenbild haben und überzeugt sind, dass die meisten Mitmenschen nur an sich selbst und nicht an andere denken. Der vermeintliche Widerspruch löst sich auf, wenn die Befunde zu den verschiedenen Solidarebenen berücksichtigt werden. Denn Garanten der Solidarität sind für die Befragten nicht abstrakte Einzelpersonen, sondern die Familie (89 Prozent), Nachbarschaft und Freundeskreis (79 Prozent) sowie religiöse Gemeinden (44 Prozent). Nicht zuletzt setzt eine große Mehrheit (78 Prozent) auf den Staat, der dem möglichen Mangel an individueller Solidarität durch Umverteilung entgegenwirkt. Diese Zahlen sind ein positives Signal. Es gibt aber andererseits noch einiges zu tun und zu verbessern: Denn drei Viertel der Befragten nehmen Gerechtigkeitslücken in Deutschland wahr und bezweifeln, dass die sozialen Unterschiede im Land im Großen und Ganzen gerecht sind. “Wenn es Staat und Gesellschaft nicht gelingt, hier gegenzusteuern, droht das Sozialvertrauen zu erodieren”, sagt El-Menouar. “Und das wiederum hätte auf Dauer auch Konsequenzen für das Solidaritätsverhalten in unserer Gesellschaft. Noch zeigt sich ein hohes Maß an Solidarität. Kirchen, Zivilgesellschaft und politische Akteure müssen gemeinsam daran arbeiten, dass dies so bleibt.”

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