Botschafter der Bundesrepublik Deutschland
Überreichung des Beglaubigungsschreibens
Ansprache von Papst Benedikt XVI: an den Botschafter der Bundesrepublik Deutschland, Herrn Reinhard Schweppe
Montag, 7. November 2011
Exzellenz!
Sehr geehrter Herr Botschafter!
Es ist mir eine Freude, Sie aus Anlass der Überreichung Ihres Beglaubigungsschreibens als ausserordentlicher und bevollmächtigter Botschafter der Bundesrepublik Deutschland beim Heiligen Stuhl willkommen zu heissen.
Ich danke Ihnen für Ihre freundlichen Worte und darf Sie bitten, dem Herrn Bundespräsidenten sowie der Frau Bundeskanzlerin und den Mitgliedern der Bundesregierung meinen aufrichtigen Dank zum Ausdruck zu bringen. Zugleich drängt es mich, alle Landsleute meiner tiefen Zuneigung und meines Wohlwollens zu versichern.
Wir alle haben noch die frohen Bilder meiner Deutschlandreise im vergangenen September vor Augen. Die vielfältigen Erweise der Sympathie und Wertschätzung, die mir auf den Stationen meines Besuchs in Berlin, in Erfurt und Etzelsbach sowie in Freiburg entgegengebracht wurden, haben die Erwartungen weit übertroffen. Überall habe ich erlebt, wie sich Menschen nach der Wahrheit ausstrecken. Von ihr sollen wir Christen Zeugnis ablegen, um ihr im persönlichen wie im familiären und gemeinschaftlichen Leben Gestalt zu geben.
Der offizielle Besuch eines Papstes in Deutschland mag Anlass sein, einmal darüber nachzudenken, welchen Dienst die katholische Kirche bzw. der Heilige Stuhl in einer pluralistischen Gesellschaft, wie sie in unserem Heimatland gegeben ist, leisten kann. Viele Zeitgenossen sehen den Einfluss des Christentums wie auch anderer Religionen darin, eine bestimmte Kultur und Lebensweise in der Gesellschaft zu prägen. Eine Gruppe von Gläubigen markiert durch ihr Verhalten bestimmte Formen des sozialen Lebens, die von anderen Menschen übernommen werden und so der Gesellschaft einen spezifischen Charakter geben. Diese Auffassung ist nicht falsch, aber sie schöpft das Selbstverständnis der katholischen Kirche nicht aus. Zweifellos bildet die Kirche auch eine kulturelle Gemeinschaft und wirkt auf diese Weise in die jeweiligen Gesellschaften hinein, in denen sie besteht. Aber sie ist dennoch überzeugt, nicht nur kulturelle Gemeinsamkeiten in verschiedenen Formen in den Ländern gebildet zu haben, wie sie umgekehrt von deren Überlieferungen mitgeformt wird. Sie hat darüber hinaus das Bewusstsein, durch ihren Glauben Wahrheit über den Menschen zu wissen und damit zum Eintreten für die Werte verpflichtet zu sein, die unabhängig von den jeweiligen Kulturen für den Menschen als solchen gelten. Sie unterscheidet zwischen dem Spezifischen ihres Glaubens und den Vernunftwahrheiten, für die er den Blick öffnet und die auch unabhängig von diesem Glauben dem Menschen als Menschen zugänglich sind. Glücklicherweise ist ein Grundbestand an allgemeinen menschlichen Werten in unserer Verfassung von 1949 und in den Menschenrechtserklärungen nach dem Zweiten Weltkrieg zu positivem Recht geworden, weil Menschen nach den Schrecknissen der Diktatur die auf ihre anthropologische Wahrheit gründende Allgemeingültigkeit dieser Werte erkannt und zu geltendem Recht gestaltet haben. Heute stehen aber erneut Grundwerte des Menschseins zur Debatte, in denen es um die Würde des Menschen als Menschen geht. Hier sieht die Kirche über den Raum ihres Glaubens hinaus eine Pflicht, im Ganzen unserer Gesellschaft für die Wahrheiten und Werte einzutreten, bei denen die Menschenwürde als solche auf dem Spiel steht. So kommt uns – um einen besonders wichtigen Punkt anzusprechen – keinerlei Urteil darüber zu, ob ein Individuum “schon Mensch” oder “noch Mensch” ist, und ebensowenig steht uns zu, den Menschen zu manipulieren und sozusagen machen zu wollen. Eine Gesellschaft ist nur dann wahrhaft menschlich, wenn sie die Würde jeder Person von der Zeugung bis zum natürlichen Tod respektiert und uneingeschränkt schützt. Wenn sie sich aber entschliessen würde, ihre schutzbedürftigsten Mitglieder auszusortieren, Menschen vom Menschsein auszuschliessen, verhielte sie sich zutiefst inhuman und auch unwahrhaftig angesichts der für jeden Menschen guten Willens einsichtigen Gleichheit der Würde aller Menschen in allen Lebensstadien. Wenn der Heilige Stuhl in Grundfragen der Menschenwürde, wie sie sich heute in vielen Bereichen der pränatalen Existenz des Menschen stellen, in den Bereich der Gesetzgebung hineinspricht, so tut er es nicht, um den Glauben indirekt anderen aufzuzwingen, sondern um Werte zu verteidigen, die als Wahrheiten des Menschseins grundsätzlich für alle einsichtig sind, auch wenn Interessen verschiedener Art diese Einsichtigkeit vielfach zu verdunkeln suchen.
An dieser Stelle möchte ich noch einen anderen bedenklichen Aspekt ansprechen, der, wie es scheint, durch materialistische und hedonistische Tendenzen vor allem in den Ländern der sogenannten westlichen Welt um sich greift, nämlich die geschlechtliche Diskriminierung von Frauen. Jeder Mensch, ob Mann oder Frau, ist dazu bestimmt, für den anderen da zu sein. Eine Beziehung, welche nicht beachtet, dass Mann und Frau die gleiche Würde besitzen, bedeutet ein schweres Vergehen gegen die Menschlichkeit. Hier ist es an der Zeit, Prostitution wie auch die weite Verbreitung von Material erotischen oder pornographischen Inhalts, gerade auch über das Internet, energisch einzuschränken. Der Heilige Stuhl wird darauf achten, dass der notwendige Einsatz gegenüber diesen Missständen seitens der katholischen Kirche in Deutschland entschiedener und deutlicher erfolgt.
Bei den langjährigen und einvernehmlichen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Heiligen Stuhl dürfen wir insgesamt viele gute Ergebnisse vermerken. Es ist erfreulich, dass die katholische Kirche in Deutschland ausgezeichnete Möglichkeiten des Wirkens hat, dass sie das Evangelium frei verkünden und in zahlreichen sozialen und karitativen Einrichtungen bedürftigen Menschen helfen kann. Für die konkrete Unterstützung dieser Arbeit seitens des Bundes, der Länder und der Gemeinden bin ich wirklich dankbar. Unter den vielen Aspekten einer dankenswert positiven Zusammenarbeit zwischen dem Staat und der katholischen Kirche will ich nur als Beispiel den Schutz des kirchlichen Arbeitsrechts durch das staatliche Recht anführen sowie des weiteren die Unterstützung der katholischen Schulen wie auch der kirchlichen Einrichtungen im karitativen Bereich, deren Arbeit ja letztlich dem Wohl aller Bürger dient.
Ihnen, verehrter Herr Botschafter, wünsche ich einen guten Beginn Ihrer Mission und viel Erfolg in dieser Aufgabe; zugleich versichere ich Ihnen das Entgegenkommen und die Hilfe der Vertreter der Römischen Kurie bei der Erfüllung Ihres Dienstes. Von Herzen erbitte ich Ihnen, Ihrer Gattin sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland beim Heiligen Stuhl Gottes beständigen Schutz und seinen reichen Segen.
Aus dem Vatikan, am 7. November 2011
Deutschlandreise: September 2011
Quelle
Deutsche.Botschaft beim Heiligen Stuhl
Schreibe einen Kommentar