Lästige Hausaufgaben für Österreichs Bischöfe

Mit einer manipulativen Umfrage setzt der Wiener Pastoralsoziologe Paul Zulehner die Bischofskonferenz unter Druck

Der Pfarrer-Initiative ist der angebotene Dialog nicht genug.

Wien, Die Tagespost, 09.11.201,  von Stephan Baier

Es war den Bischöfen Österreichs natürlich bewusst, dass es nicht eine ihrer ruhigeren Tagungen werden würde, und dass sie sich auch nicht nur mit den im kommenden Jahr anstehenden Pfarrgemeinderatswahlen befassen können. Als die Österreichische Bischofskonferenz am Montag zu ihrer Herbstvollversammlung in Salzburg zusammentrat, hatte die “Pfarrer-Initiative” gerade in ihrer sonntäglichen Generalversammlung in Linz ihren Willen zum Ungehorsam bekräftigt – und zwar nicht nur in der Sache, sondern ausdrücklich auch in der Terminologie.

Dabei hatten die Bischöfe seit Mitte August ihren rebellischen Pfarrern geradezu goldene Brücken gebaut, hatte Kardinal Christoph Schönborn ihnen grundsätzliche Loyalität zugesprochen und milde erläutert, dass er sich angesichts des einst geleisteten Gehorsamsversprechens am Ausdruck “Ungehorsam” stosse. Die kirchenamtliche Strategie lautete: Deeskalation. Gegen den früheren Caritas-Präsidenten und Wiener Ex-Generalvikar Helmut Schüller sei keine Medienschlacht zu gewinnen, wussten kirchliche Medienexperten. An Kirchenstrafen sei schon gar nicht zu denken, denn das würde nur einen Effekt der Solidarisierung mit Schüller auslösen, hiess es am Wiener Stephansplatz.

Trotz aller Deeskalation verschwanden Pfarrer Schüller und sein “Aufruf zum Ungehorsam” nicht aus der österreichischen Öffentlichkeit. Und zwar nicht etwa, weil sich die Greisenriege von “Wir sind Kirche” und “Laieninitiative” mit Schüller & Co solidarisierte. Der rhetorisch gewandte Priester ist ein auskunftsfreudiger Interviewpartner und populärer ORF-Studiogast. Und nicht ganz unerwartet sprang ihm nun noch ein Partner zur Seite, dem viele in Österreich bei allen Kirchenthemen nahezu ein Deutungs- und Interpretationsmonopol zuschreiben: Paul M. Zulehner, emeritierter Professor für Pastoraltheologie, ehemaliger Dekan der Wiener katholisch-theologischen Fakultät, Autor zahlloser Bücher, fallweise Berater von Bischöfen sowie nicht zuletzt Dauerkommentator des ORF für alles, was irgendwie mit Religion zu tun haben könnte.

Konnte Schüller am Sonntag in Linz gerade einmal 81 Pfarrer und Diakone versammeln, so gibt ihm Zulehner nun eine Dimension, die den Bischöfen wirklich Kopfschmerzen bereiten muss: Auf der Grundlage einer – natürlich vom ORF-Kirchenmagazin “kreuz und quer” initiierten – Umfrage behauptet der Pastoralsoziologe nun, dass nicht die Kirchenleitung, sondern Pfarrer Schüller die Mehrheiten hinter sich hat. Zwei Drittel der Pfarrer in Österreich würden einen “bedrohlichen Reformstau” in der Kirche und eine “dramatische Kluft” zwischen Kirche und moderner Kultur sehen. Bei der Umfrage, die die “Abteilung Religion” des ORF beim Meinungsforscher GfK Austria in Auftrag gab, und die Zulehner leitete, sollen 500 der rund 3 500 Pfarrer “mit einem repräsentativen Sample für die österreichischen Diözesen” befragt worden sein. Nicht transparent gemacht wurde, wie viele Priester eine Befragung durch Zulehner & Co ablehnten; laut Kirchenkreisen 560. Das wäre nicht erstaunlich, denn Zulehner hat nicht erst seit der Veröffentlichung einer ähnlichen Umfrage im Vorjahr seinen Ruf. Damals propagierte der ORF die Umfrage wie eine Jahrhundertsensation, doch erwies sich das professorale Zahlenspiel nach Veröffentlichung des gesamten Buchs als manipulativer Trick. Nicht die Umfrageergebnisse bestimmten hier offenbar die Interpretation, sondern umgekehrt: Die in Zahlen gefasste Wirklichkeit wurde in die bereits fertige Form der Kirchenreform-Ideologie des Professors gegossen. Ein Beispiel: Wüst zog Zulehner über junge Pfarrer her, die – trotz seiner jahrzehntelangen Lehrtätigkeit – “zur Modernitätsskepsis” neigten und “in die Weltabschottung gehen”. Weil die jungen Priester eine andere Vision von Kirche haben als angegraute Professoren und Kollegen es wünschen, bekommen sie von Zulehner schlechte Noten: Sie würden “das Leben in den Pfarrgemeinden autoritativ/autoritär-klerikal bestimmen”, ahnt der Professor. Und: “Kirche wird zu einer Art antimoderner Oase inmitten einer modernen Welt, ein Zufluchtsort für Weltflüchter.”

Während nun Österreichs Bischöfe in Salzburg in der Oase ihrer Herbstvollversammlung tagten, trat Professor Zulehner mit seinen aus 500 Befragungen gewonnenen neuesten Erkenntnissen an die staunende Öffentlichkeit. Und siehe da: Die neuen Ergebnisse gleichen den alten. Die österreichischen Pfarrer liessen sich “auf drei Typen verteilen”, verkündet der ORF: “31 Prozent sind Radikalreformer” (stimmen dem “Aufruf zum Ungehorsam” in Inhalt wie Form uneingeschränkt zu), “41 Prozent sind gemässigte Reformer” und nur 28 Prozent sind “entschiedene Gegner”. Fazit: 72 Prozent der Pfarrer stehen grundsätzlich hinter Helmut Schüller. Deutlicher kann man den Bischöfen, die wider Schüllers Forderungen hartnäckig darauf beharren, die Ordnung der Kirche nicht über Bord zu werfen, nicht mit dem Zaunpfahl winken.

Das Kirchenrecht droht mit “gerechten Strafen”

Oder doch: “77 Prozent widersprechen der Sanktionsforderung” – also der Auffassung, dass man im Kirchenrecht nachschlagen sollte, welche Konsequenzen ein hartnäckiges Verharren im Ungehorsam haben kann. Nicht Österreichs Bischöfe, sondern der aus Ratingen stammende Aymans-Schüler Ludger Müller, Professor für Kirchenrecht an der Universität Wien, brachte am Dienstagabend im ORF den relevanten Canon 1373 des Kirchenrechts ins Spiel. Dort heisst es: “Wer öffentlich wegen irgendeiner Massnahme der kirchlichen Gewalt oder eines kirchlichen Amtes Streit der Untergebenen oder Hass gegen den Apostolischen Stuhl oder den Ordinarius hervorruft oder die Untergebenen zum Ungehorsam gegen diese auffordert, soll mit dem Interdikt oder anderen gerechten Strafen belegt werden.” Laut der aktuellen Zulehner-Studie befürworten nur zwölf Prozent der befragten Pfarrer solche Sanktionen. Die Botschaft an die Bischöfe ist klar: Wenn sie zu Kirchenstrafen gegen die Rebellen-Pfarrer greifen, steht nur mehr ein verschwindend kleiner Flügel des Klerus hinter ihnen. Mit Suggestionen dieser Art arbeitete Zulehner bereits in seiner im Vorjahr veröffentlichten Studie, die in Buchform als Bestseller gepriesen wurde und mittlerweile über Zulehners eigene Homepage für zwei Euro inklusive Mehrwertsteuer verramscht wird.

Auch in seiner aktuellen Umfrage hat der grosse Manipulator wieder zugeschlagen: Der Aussage “Es gibt eine dramatisch tiefe Kluft zwischen der aktuellen Lebenssituation der Menschen von heute und dem Evangelium” stimmen angeblich nur 39 Prozent der Befragten zu. Sollten 61 Prozent der Pfarrer tatsächlich glauben, in einer Gesellschaft von Heiligen zu leben, in der das Evangelium gelebter Alltag ist?

71 Prozent sehen angeblich “verheiratete Priesterkollegen mit eigener Familie als Bereicherung”. Online schrieb der ORF noch dazu: “gemeint sind verheiratete katholische Priester aus den mit Rom unierten Ostkirchen, die in Österreich wirken, und einzelne römisch-katholische Priester, die eine Dispens von der Zölibatsverpflichtung erhalten haben”. In der “kreuz und quer”-Sendung am Dienstag fehlte dieser Zusatz, wodurch eine Abstimmung über den Zölibat suggeriert wurde.

55 Prozent der befragten Priester sollen folgender Aussage zugestimmt haben: “Die Forderung, Frauen zu kirchlichen Ämtern zuzulassen, steht im Einklang mit dem Evangelium.” 53 Prozent lehnen diese Position ab. Macht zusammen 108 Prozent, also 540 von 500 Befragten. Abgesehen von einem mathematischen Problem, gibt es schon heute Frauen in “kirchlichen Ämtern”. So amtiert etwa in der Erzdiözese Wien eine Pastoralamtsleiterin. Gemeint, aber nicht erfragt war vermutlich das Weiheamt. Deutungsoffen sind auch die Antworten, wie der Konflikt wohl ausgehen werde: “Man wird sich arrangieren” meinen 57 Prozent, doch dass “die Pfarrer einlenken werden” glauben nur 19 Prozent.

Bei den ihm zugeschriebenen Mehrheiten sieht Schüller natürlich keinen Grund für ein Einlenken: “Wir artikulieren etwas für das gesamte Kirchenvolk”, meinte er am Montag im ORF, die Umfrageergebnisse noch dehnend. Auch genügt ihm der von der Kirchenleitung angebotene Dialog nicht mehr. Er will vielmehr Klarheit darüber, wo sich jene, die sich auf die Weltkirche und ihre Ordnung berufen, persönlich positionieren.

Und das ist tatsächlich nicht immer ganz leicht zu erkennen: Anders als Kardinal Schönborn, der mehrfach klarstellte, dass er die Sorgen der Pfarrer-Initiative teile, “nicht aber deren Lösungsansätze”, meinte der Erzbischof von Salzburg, Alois Kothgasser, am Montag gegenüber dem ORF: “Zielführend ist das Gespräch miteinander, um miteinander festzustellen, was momentan möglich ist und was nicht möglich ist, und dann alle Kräfte dafür einzusetzen, was möglich ist, und nicht alle möglichen Dinge erträumen, die jetzt nicht möglich sind.” Genau dies empfiehlt auch Paul Zulehner: “Schnüren wir das Paket auf. Dann haben wir vielleicht mehr Chancen.”

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