Der Westen ringt um Kiews Perspektive

Verstärkte russische Offensiven, der Wintereinbruch und die wachsende Kriegsmüdigkeit der Europäer machen der Ukraine zu schaffen

Quelle
Putin setzt Stalins Werk fort
Welkulturerbe Sophienkathedrale in Kiew (weltkulturerbe.com)
Ukraine: Weiterhin große Sorge um Kiewer Sophienkathedrale – Vatican News
Weshalb bombardiert Russland Kirchen in der Ukraine? – DOMRADIO.DE
Chronik des Ukraine-Konflikts von 2014 bis 2023 – Zeitleiste Ukraine – Ukraine aktuell – Russland Ukraine Krieg – Chronologie der Ereignisse – News – Liveblog (lpb-bw.de)
Ukraine

29.11.2023

Stephan Baier

Nun hat es die Kiewer Kathedrale der mit Rom unierten Katholiken des byzantinischen Ritus getroffen. Eine der vielen Drohnen, mit denen Russland die ukrainische Hauptstadt terrorisiert, beschädigte sechs Fenster der griechisch-katholischen Auferstehungs-Kathedrale und riss Türen aus der Verankerung. “Der Feind” greife ständig friedliche Dörfer und Städte an, sagte Großerzbischof Swjatoslaw Schewtschuk in einer Videoansprache. “Man kann ihre tödliche Hand spüren.”

Das trifft aktuell nicht nur im Osten zu, wo Russland wieder massiv angreift. Stundenlangen Luftalarm und intensiven Beschuss gibt es in vielen Regionen. Dazu kommt der frühe Wintereinbruch, der den ukrainischen Truppen wie der Zivilbevölkerung zu schaffen macht. In der Hafenstadt Odessa am Schwarzen Meer kamen fünf Menschen bei einem Unwetter zu Tode, 19 weitere wurden verletzt. 1.500 Orte waren zeitweise ohne Strom. Angesichts der stark beschädigten Infrastruktur und der verstärkten Angriffe droht der Ukraine ein harter Winter. Dennoch warnen die USA, Friedensgespräche wären derzeit für die Ukraine “sinnlos” und ein “Kapitulationsmonolog”, wie ein Vertreter des US-Außenministeriums am Montag sagte. Es gebe “keine Anzeichen dafür, dass Russland bereit ist, substanzielle, echte Friedensverhandlungen zu führen”.

Lässt das Engagement der Europäer und der USA nach?

In Kiew fürchtet man, dass das Engagement der Europäer und der USA nachlassen könnte. Vizeregierungschefin Olha Stefanischyna warnte bei einer Rundreise durch europäische Metropolen vor wachsender Kriegsmüdigkeit. Eine Niederlage der Ukraine werde einen Domino-Effekt für Europa zur Folge haben, denn die Machtansprüche Moskaus endeten nicht an den ukrainischen Grenzen. Die Ukraine brauche dringend mehr Rüstungshilfe und eine klare EU-Beitrittsperspektive. Ihre Befürchtungen sind nicht unbegründet. Mit Blick auf den EU-Gipfel am 14./15. Dezember droht Ungarns Regierungschef Viktor Orbán mit einem Veto gegen EU-Beitrittsverhandlungen mit Kiew und gegen eine weitere EU-Finanzierung von Militärhilfe.

Gleichzeitig stellt Orbán die EU-Sanktionspakete gegen Russland infrage. In einem Brief an seine EU-Kollegen schrieb Ungarns Ministerpräsident, es gelte zunächst zu klären, ob das EU-Ziel eines Sieges der Ukraine in Verbindung mit grundlegenden politischen Veränderungen in Russland noch immer als realistisch angesehen werden kann, welche Sicherheitsarchitektur nach dem Krieg denkbar sei und wie der EU-Beitrittswunsch der Ukraine mit den politischen und wirtschaftlichen Realitäten in Einklang gebracht werden könne.

Dabei geht es Orbán, dessen Land von russischem Öl und Gas abhängig ist, wohl nicht nur darum, Volksgruppenrechte für die ungarische Minderheit in der Ukraine und die Freigabe der Budapest zustehenden, aber blockierten EU-Gelder zu erzwingen. Seine guten Beziehungen zu Putin stoßen in Brüssel auf Misstrauen. EU-Ratspräsident Charles Michel eilte nun am Montag nach Budapest, um solche und andere Fragen mit Orbán zu verhandeln. Dass es dabei auch die von Brüssel zurückgehaltenen Milliarden aus dem EU-Kohäsionsfonds und aus den Corona-Wiederaufbauhilfen ging, kann man nur ahnen, denn beide Seiten gaben sich nach dem Gespräch zugeknöpft.

Ob es zu EU-Beitrittsgesprächen kommt, entscheidet sich am 15. Dezember

Spätestens am 15. Dezember wird sich zeigen, ob es den EU-Spitzen gelingt, Budapest eine Zustimmung zum Start der ukrainischen EU-Beitrittsgespräche abzukaufen. Kiew ist dazu jedenfalls bereit, und auch die EU-Kommission hat die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen empfohlen. Viele Reformen hat die Ukraine trotz des Kriegs bereits auf den Weg gebracht; noch nicht abgeschlossen sind die notwendigen Reformen in den Bereichen Korruptionsbekämpfung, Verwaltungsreform und Minderheitenrechte. Wenn es Ungarns Regierung also tatsächlich um die Rechte der ungarischen Volksgruppe in der Ukraine geht, ist ein Start der Beitrittsverhandlungen der sicherste Weg, um hier Fortschritte zu erreichen. Dafür aber bedarf es einer einstimmigen Entscheidung der EU-Mitgliedstaaten.

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