Pater Karl Wallner über Ungehorsamsaufruf: Ich bin todunglücklich

Deshalb sind wir vom Wesen her religiös, deshalb gibt es so viele Religionen

Pater Karl Wallner im Interview über das Herz des Christentums, die Ehe, die Effizienz unserer Sakramentenpastoral und den “Aufruf zum Ungehorsam”. Von Petra Lorleberg

Karlsruhe, kath.net, 07. Oktober 2011

Der Zisterziensermönch und Theologieprofessor Pater Dr. Karl Wallner, Rektor der Phil.-Theol. Hochschule Benedikt XVI. Heiligenkreuz und Jugendseelsorger des Stiftes, ging in einem Interview beim Kongress “Freude am Glauben” auf aktuelle Fragen ein. So sprach er sich dafür aus, über eine Änderung der Sakramentenabfolge nach dem Beispiel der altkirchlichen Tradition – Taufe, Firmung, Erstkommunion – nachzudenken.

Pater Karl Wallner, wenn Sie jemandem in wenigen Sätzen das Herz des Christentums erklären möchten – vielleicht einem jungen Menschen, der Sie fragt – wie würden Sie das erklären?

Pater Karl Wallner: Zunächst einmal wird jeder Mensch feststellen können, dass er eine grosse Sehnsucht in sich trägt. Wir Menschen sind gleichsam verwundet auf eine Ewigkeit zu. Deshalb sind wir vom Wesen her religiös, deshalb gibt es so viele Religionen. Die Religionen zeigen, dass wir auf der Suche nach dem Letzten, Schönen und Ganzen sind. Nun stehen wir Christen vor dem unfasslichen Geheimnis, dass nicht nur wir Gott suchen, sondern er auch uns. Gott, das unaussprechliche Geheimnis, das das natürliche Denken schon in der Philosophie auszuloten versucht, hat sich uns in der Geschichte genähert. In einer Geschichte, die bereits im Alten Testament beginnt, wo der aussprechliche Gott den Menschen anspricht.

Mich fasziniert am Alten Testament vor allem, dass es meist Menschen trifft, die überhaupt nicht so sehr religiös auf der Suche waren. Es handelt sich etwa bei den prophetischen Berufungen um keine eifrig Religiösen. Ob das jetzt Mose, ob das Jesaja, Jeremia usw. ist, – es sind Menschen, die überraschend mitten in ihrem Leben getroffen wurden. Gott bricht in ihre Welt, in ihr Leben, in ihre Lebensgeschichte ein. Das ist das Charakteristikum des biblischen Gottes, dass er von sich her den Menschen aus seiner Ewigkeit her anspricht. Das Wirken Gottes in der Geschichte erreicht schliesslich seinen Höhepunkt darin, dass er in Jesus Christus Mensch wird. Das Wesen der christlichen Religion lautet: Gott kommt zum Menschen. Gott will den Menschen. Gott liebt den Menschen.

Deshalb besteht der Kern des christlichen Glaubens darin, dass Gott uns ganz nahe sein möchte. Das 2. Vatikanische Konzil sagt, dass Gott sich in gewisser Weise durch Jesus Christus mit jedem Menschen verbunden hat. Seit 2000 Jahren trägt das Christentum die Botschaft in diese Welt, dass Gott uns Menschen nahe sein möchte, dass Gott uns liebend umarmen möchte.

Sie sprachen gerade in der Jugendkatechese davon, wie Sie in einem Jahr sieben junge Menschen erlebt haben, die sich für eine Ordensberufung entschieden haben. Und Sie haben erzählt, dass Sie im selben Jahr sieben junge Menschen, die mit Heiligenkreuz verbunden waren, getraut haben. Die Berufung zur Ehe: Ist das etwas, das manchmal in unserer heutigen Verkündigung zu kurz kommt? Denken wir in der Katholischen Kirche bei dem Stichwort “Berufung” nicht automatisch an Ordensberufung und vergessen zu betonen, dass auch die Ehe eine christliche Berufung ist?

Wir müssen das theologisch unterscheiden: Einerseits trägt jeder Mensch aufgrund seines Mann- oder Frauseins von Natur aus eine “natürliche” Berufung in sich: Die Berufung, erfüllt zu werden in einer liebevollen Beziehung, in einer ehelichen, geistigen und leiblichen Gemeinschaft durch einen Ehepartner. Die Zweigeschlechtlichkeit ist kein Produktionsfehler Gottes, sie veranlagt Mann und Frau von Natur aus auf diese Einheit hin, die in der Ehe zu einem definitiven Bund wird. Die Ehe ist eine Stiftung Gottes des Schöpfers. Darüberhinaus gibt es aber eine “übernatürliche” Berufung: Das ist die Berufung zum Priestertum, zum Ordensstand, zum gottgeweihten Leben ist eine übernatürliche Berufung. Man könnte sagen: Berufung im eigentlichen Sinn. Sie wird nur im Geheimnis Gottes verständlich, der dem Menschen auf anderer Ebene das ersetzen (und erfüllen) kann, worauf er auf natürlicher Ebene verzichtet.

Über das Stichwort “Kommunionempfang für wiederverheiratete Geschiedene” wird derzeit eifrig diskutiert, möchten Sie dazu etwas sagen?

Dass die Ehe ist heute auch deshalb keine Selbstverständlichkeit mehr ist, weil der gesellschaftliche Druck weg ist. Heute werden alle Lebensformen faktisch toleriert. Das ist unter anderem eine Folge der 1968-er Revolution, die im wesentlichen eine sexuelle Revolution war. Erstmals in der Geschichte der Menschheit kann der Mensch durch hormonelle oder andere technische Manipulation die Ausübung seiner Geschlechtlichkeit glatt von geistiger Hingabe und auch von Fortpflanzung trennen. Sexualität ist zu einem Genussartikel “nebenher” geworden. Da Nachkommenschaft ausgeschlossen werden kann, kann sie als etwas praktiziert werden, wo es nur mehr um mich geht. Sex ist zu einem Getue geworden, das man heute irgendwann und irgendwo mit irgendwem und irgendwie haben kann. Diese Beliebigkeit der Sexualität ist unser Problem, denn echte Liebe ist geistig. Echte Liebe ist leidensbereite Partnerschaft. Echte Liebe will das Glück des anderen und nicht bloss die eigene Lust.

Die Krise des Ehesakramentes ist meines Erachtens viel grösser als die Krise des Priestertums. Wir brauchen deshalb eine verbesserte Ehevorbereitung, um das besser zu vermitteln, was wir Christen unter dem Ehesakrament verstehen: nämlich eine geistige Hingabe, die sich dann eben im Leiblichen äussert. Hier ist ein echter Nachholbedarf. In dieser Erosion des Christlichen, die wir heute erleben, ist die Verbesserung der Ehepastoral ein wichtiger Stabilitätsfaktor. Ich sehe hier aber sehr gute Ansätze. Es sind nicht nur gesellschaftliche Konventionen weggefallen, sondern auch die Situation der Grossfamilie, in welche die Zweierbeziehung früher meistens eingebettet waren. Die beiden müssen es praktisch allein aus sich selbst leisten, was sie in der Ehe versprechen: in guten und in bösen Tagen, in Gesundheit und in Krankheit zusammen zu sein.

Aber Ehevorbereitung alleine ist zu wenig. Wir brauchen eine umfassende Erneuerung des Eheideals und eine attraktivere Vermittlung dieses Ideals. Und dann brauchen wir auch eine bessere spirituelle Aufarbeitung dessen, was Familie ist. Das Familiengebet ist über weite Strecken abgekommen. Der Begriff “Hauskirche”, den das 2. Vatikanische Konzil geprägt hat, ist – wie leider soviele richtige Impulse des Konzils – unbeachtet. Mutter Teresa sagt so richtig: “A family that prays together stays together” [Eine Familie, die zusammen betet, bleibt zusammen].

Und was die gescheiterten Ehen betrifft, so ist das falsch, was derzeit in der öffentlichen Meinung transportiert wird. Die Kirche ist nicht unbarmherzig gegenüber jenen, deren Ehe zerbrochen ist; aber sie steht zu dem Ideal, zu dem die beiden ursprünglich Ja gesagt haben: “Ich will dich lieben, achten und ehren… solange ich lebe. Bis der Tod uns scheidet.” Jesus hat dieses hohe Ideal der Unauflöslichkeit der Ehe, obwohl es zu seiner Zeit im Judentum eine andersläufige Praxis der Ehescheidung und Wiederverheiratung gab, mit scharfen Worten eingemahnt. Wir können uns doch nicht Christen nennen und dann zugleich den Anspruch Christi aufgeben.

Dieses Ideal ist ja auch bei den Menschen da. Als Pfarrer, der dutzende und hunderte Hochzeiten gehalten hat, habe ich es ja erlebt, dass die jungen Leute ja keineswegs kommen, um bloss einen “Lebensabschnittsgefährten” auf Zeit zu heiraten. Die Absicht ist sehr ernst, sich bis zum Tod treu zu sein. Wäre es barmherzig von uns, wenn wir als Priester diese Eheversprechen der Heiratenden “bis zum Tod” entgegennehmen, aber durch unsere kirchliche Praxis signalisieren, dass wir das eigentlich nicht so ernst nehmen…

Noch einmal Stichwort Ehe, Ehescheidung, Wiederverheiratung: Sie haben vorhin in einem Gespräch formuliert, dass es auch einen sensibleren Umgang mit dem eigenen Gang zur Kommunion geben müsste.

Ich habe das Gefühl, dass wir in der Sakramentenkatechese überhaupt viel weiter nach- und umdenken müssten. Die Probleme mit der Weitergabe des Glaubens sind heute ja keine hochtheologischen Irrlehren, sondern einfache ein pastorale Praxis, die nicht wirklich greift. Als Hochschulrektor muss ich die Studien permanent evaluieren. Wir sollten auch einmal unsere Sakramentenpastoral evaluieren: Was bleibt von einer Erstkommunionvorbereitung, wo wir Kinder statt auf den Empfang des Leibes Christi auf eine Art Superkinderfest mit inkludiertem Brötchenessen samt einem gewissen Jesus vorbereiten. Es gibt Erstkommunionbehelfe, wo vom katholischen Sakramentenverständnis keine Spur mehr zu finden ist. Sodann bringen wir Kinder im pubertierenden Alter zur Firmung. Vielfach läuft der Firmunterricht nach dem “Fun-Faktor” ab. Ich möchte nicht, dass das jetzt pauschal klingt, denn ich kenne hervorragende Firmhelferinnen und -helfer, die sich alle Mühe geben, in den Pubertierenden Glaubensbegeisterung zu wecken. Ich habe über Jahrzehnte selbst Firmunterricht für 13-jährige erteilt. Wenn ich das aber überblicke, so sind am meisten die geblieben, die erst später zur Firmung gekommen sind. Oder wo man nach der Firmung “nachgearbeitet” hat. Aber das geschieht in den seltensten Fällen, weil fast alle Kräfte einer Pfarrgemeinde für den Erstkommunion- und Firmunterricht aufgebraucht werden.

Und dass die Ehevorbereitung nicht ausreichend ist, habe ich schon gesagt. Oft aus strukturellen Gründen: Zu uns kommen Paare, die bereits die gesamte Hochzeitsfeier organisiert haben, bevor sie zum Pfarrer gehen. Ich habe das oft erlebt, dass man dann gleichsam mit der Absicht zum Pfarrer kommt, auf alles, was auch immer der Pfarrer fragt, mit Ja und Amen zu antworten, damit einem nicht noch die schöne Feier durch irgendwelche Glaubenssachen verdorben wird…

Die Sakramentenpastoral ist der Krankheitsherd der Kirche. Mir tut es weh, dass man die Diskussion verschiebt auf bestimmte kirchenstrukturelle Themen wie den Zölibat. Als Rektor der Hochschule, die die grösste Priesterausbildungsstätte im deutschen Sprachraum ist, erlebe ich, dass wir eigentlich genügend Berufungen haben. Die Zahl der praktizierenden Gläubigen sinkt viel dramatischer. Wenn ich die Zahlen richtig im Kopf habe, so hatte ein Priester vor 20 Jahren noch 260 Gläubige in einem Sonntagsgottesdienst vor sich. Heute sind es nur noch 160 Gläubige pro Priester, der die Messe feiert. Der Rückgang der Gläubigen ist weit dramatischer als der Rückgang der geistlichen Berufungen. Ich verstehe nicht, warum wir nicht endlich mal den Laienmangel thematisieren! Wenn mich mein Prior auf Aushilfe schickt, so erlebe ich oft Sonntagsgottesdienste, wo jetzt soviele Leute in der Kirche sind wie früher an Wochentagen.

In der innerkirchlichen Diskussion werden Probleme einfach verschoben oder ausgeblendet. Bei den Sakramenten meine ich, dass man über Grundsätzliches nachdenken sollte: Papst Benedikt XVI. hat etwa zu Beginn seiner Amtszeit angeregt, Überlegungen anzustellen, die urkirchliche Ordnung der Sakramentenfolge wiederherzustellen. So war es in der Urkirche üblich: Taufe – Firmung – und dann Zulassung zur Eucharistie. Das hat sich aus historischen Gründen auf die Abfolge Taufe – Kommunion – Firmung verschoben. Was wäre, wenn man Erstkommunion und Firmung tauschen würde, denn als Sakramententheologe muss ich sagen, dass die Firmung ein absolut “nachhaltiges” Sakrament ist, eine Salbung die die Seele übernatürlich prägt. Die Gnade eines Kommunionempfanges hingegen ist – ich sage es einmal salopp – “schnell verspielt”. Ich weiss auch nicht, ob es gut wäre, 8-jährige zu firmen und erst 14-jährige zum Tisch des Herrn zu führen, aber ich möchte anregen, dass wir einmal über solche Themen reden. Weil ich fürchte, dass die Effizienz unserer Sakramentenpastoral im Augenblick derart Richtung Null geht, dass es erlaubt ist, hier zu evaluieren, zu thematisieren und vielleicht auch ein bisschen zu phantasieren.

Stichwort Gehorsam und Ungehorsam: In Österreich war jetzt vor einigen Wochen der „Aufruf zum Ungehorsam“ ein großes Medienthema. Sie als Mönch leben ausdrücklich und freiwillig den Gehorsam. Wie erleben Sie diese Diskussion?

Ich bin über den Aufruf zum Ungehorsam todunglücklich, ich leide darunter. Diese Mitbrüder haben so wie ich bei der Priesterweihe und bei der Übernahme kirchlicher Ämter den Gehorsam versprochen. Mir hat Kardinal Schönborn aus der Seele gesprochen, als er am 24. Juni 2011 bei der Priesterweihe im Stephansdom darauf hingewiesen hat, dass ein solches Verhalten in keiner weltlichen Firma möglich wäre… Ich fürchte aber, dass hier persönliche Gekränktheit und Enttäuschung im Spiel ist, also seelische Verwundungen. Und das macht es immer schwierig. Darum habe ich mir vorgenommen, nicht durch öffentliche Statements auf diese Mitbrüder einzuschlagen, – das heilt sie ja nicht -, sondern für sie zu beten.

Was hier im Ungehorsam praktiziert werden soll, ist nicht vom Heiligen Geist. Es ist Zeitgeist pur, und darum nicht nur gegen das Evangelium, sondern auch nicht zukunftsfähig. Die Kirche erneuert sich aus dem Glauben und dem Ernstnehmen des Evangeliums. Wo das geschieht, ist sie jung. “Wer mit der Zeit geht, muss mit der Zeit gehen.” Ich erlebe es hier vor Ort in Heiligenkreuz, dass dort wo normal Theologie getrieben wird, wo normal gepredigt wird, wo normal verkündigt wird, wo normal eben das getan wird, was katholisch ist, dass dort ein frischer, lebendiger Geist weht. Das ist keine “Rederei” vom Pater Karl, sondern das kann man gleichsam “statistisch” sehen: vom Zustrom zu unserer Jugendvigil bis zu den zahlreichen jungen Berufungen, die Gott uns schenkt. Warum trauen wir uns nicht, unkompliziert katholisch zu sein?! Für mich persönlich kann ich nur sagen: Ich liebe die Kirche, ich stehe hundertprozentig hinter dem Papst und ich möchte ein lehramtstreuer Theologe und gehorsamer Priester und Mönch sein. Und die lebendigen Aufbrüche, die ich um mich herum wie ein Wunder erleben darf, zeigen mir doch deutlich, dass ich damit genau auf die richtige Karte gesetzt habe.

Ich danke Ihnen sehr herzlich für das Interview!

Pater.Karl.Wallner
Pfarrer-Initiative Aufruf zum Ungehorsam

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