Der Vatikan antwortet auf die Vorwürfe aus Irland
Klare Antwort auf polemische Vorwürfe
Über einen Monat nach der von irischen Regierungsstellen vorgebrachten scharfen Kritik dokumentiert der Heilige Stuhl mit einer klaren Antwort sein Verhalten und reagiert auf polemische Vorwürfe. Von Armin Schwibach
Rom, kath.net/as, 03.09.2011
Am Mittwoch, den 13. Juli 2011, wurde der vierte Bericht zu sexuellen Missbräuchen veröffentlicht, die von Klerikern in Irland begangen worden sind. Der erste Bericht stammt aus dem Jahr 2005 über die Missbräuche in der Diözese Ferns. Im Jahr 2009 folgten der “Ryan Report” über die Missbräuche in einigen von Kongregationen und Orden geleiteten Instituten sowie der “Murphy Report” über die Erzdiözese Dublin. Letztere Berichte hatten Papst Benedikt XVI. veranlasst, sich mit einem Hirtenwort an die Katholiken Irlands zu wenden sowie eine Apostolische Visitation der Diözesen, Seminare und Ordenshäuser anzuordnen.
Der neue Bericht ist der südirischen Diözese Cloyne gewidmet, deren Bischof bis zum Jahr 2010 der ehemalige Sekretär von drei Päpsten (Paul VI., Johannes Paul I. und Johannes Paul II.) John Magee (74) war. Der Bericht der Untersuchungskommission, den der irische Justizminister Alan Shatter sowie der für die Kindheit zuständige Minister Frances Fitzgerald vorstellten, wirft dem von Benedikt XVI. seines Amtes enthobenen Magee vor, die von der Irischen Bischofskonferenz aufgestellten Kinderschutzrichtlinen missachtet zu haben. Dabei werden Vorwürfe auch gegenüber dem Vatikan und der Kongregation für den Klerus erhoben. Sie werden beschuldigt, die Anweisungen der Irischen Bischofskonferenz aus dem Jahr 1996 übergangen zu haben. In einem Schreiben aus dem Jahr 1997 weise Rom auf die Rechte der Bischöfe hin und rate ab, des sexuellen Missbrauchs beschuldigte Priester automatisch der Polizei zu melden.
Der 341 Seiten umfassende Bericht beschreibt 19 Fälle sexuellen Missbrauch in der Diözese Cloyne und beschuldigt den Bischof, zwischen 1996 und 2008 nicht angemessen auf die Fälle reagiert zu haben. Einer der Punkte, auf den sich die öffentliche Meinung in Irland und Grossbritannien am meisten konzentriert, betrifft das zitierte Schreiben der Kongregation für den Klerus aus dem Jahr 1997.
Die Kongregation, der damals als Präfekt der kolumbianische Kardinal Darío Castrillón Hoyos vorstand, liess nach der Untersuchung der von der Irischen Bischofskonferenz verabschiedeten Leitlinien den Bischöfen über den Apostolischen Nuntius mitteilen, dass das Dokument Prozeduren und Dispositionen enthalte, die gegen die kanonische Disziplin seien. Sollten diese zur Anwendung kommen, so die Kongregation weiter, könne es dazu führen, dass die Massnahmen der Bischöfe, die versuchten, dem Problem ein Ende zu setzen, zu Schaden kämen, sollten die angeklagten Priester in Rom Berufung einlegen. Wie dies in jenen Jahren nicht zum ersten Mal der Fall war, beklagte die Kongregation insbesondere das “mandatory reporting”, das heisst die Verpflichtung zur Anzeige bei den zuständigen staatlichen Stellen.
Der irische Premierminister Enda Kenny hatte im Juli erklärt, dass es “absolut schändlich” sei, dass der Vatikan sein Kirchenrecht über das irische Strafrecht stelle. Das Irland des 21. Jahrhunderts werde sich nicht länger katholischer Macht fügen. Auch der Justizminister Alan Shatter äusserte, dass kein ausländischer Staat “irgendeiner Organisation” Vorgaben machen sollte, wenn es um den Schutz von Kindern gehe, dies gelte vor allem für die katholische Kirche. Im Juli wurde auch der Apostolische Nuntius zu Beratungen mit der Regierung einbestellt, der im Anschluss daran in den Vatikan zurückberufen wurde.
Die Antwort des Heiligen Stuhles, die unter der Leitung des Staatssekretariats in Zusammenarbeit mit den verschiedenen zuständigen Dikasterien verfasst wurde, zeigt die Absicht, auf polemisch orientierte Äusserungen nicht mit eben solcher Polemik zu reagieren, sondern mit einer die Faktenlage darstellenden Dokumentation. Ebenso war es für den Vatikan notwendig gewesen, den 341 Seiten umfassenden Cloyne-Bericht eingehend zu studieren.
Wie deutlich aus dem Schreiben hervorgeht, liegt es dem Heiligen Stuhl in erster Linie daran, eine Zusammenarbeit mit den irischen Instanzen zu suchen, dabei jedoch die Faktenlage nicht aus den Augen zu verlieren. Aus diesem Grund basiert jeder Detailpunkt der Antwort auf Tatsachen, verschiedenen Dokumenten und historischen Rekonstruktionen und Einordnungen. Es wird bewiesen, dass die in der Öffentlichkeit grosse Aufmerksamkeit erregt habenden Äusserungen von Regierungsvertretern Irlands ohne das geringste Fundament waren und durch geringe Information verursacht worden sind.
Das Schreiben verdeutlicht, dass es nie in der Absicht des Heiligen Stuhls gewesen sei, Einfluss auf die irische Regierung bei der Formulierung von Gesetzen zu nehmen, die das Verbrechen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger betreffen. Zum als Beweis der Einmischung vorgebrachten Brief der Kongregation für den Klerus an die irischen Bischöfe aus dem Jahr 1997 hinsichtlich der Problematik der verpflichtenden Anzeige von Klerikern, die des sexuellen Missbrauchs beschuldigt werden, wird erklärt, dass es sich bei dem untersuchten Dokument der irischen Bischofskonferenz um einen Arbeitstext und nicht um offizielle Normen der Bischöfe gehandelt habe.
Die Kongregation für den Klerus habe ihre Zweifel hinsichtlich der Anzeigepflicht von Tätern geäussert, da auf diese Weise die Gefahr bestanden habe, dass nach dem damals gültigen Kirchenrecht die örtlichen kanonischen Prozesse annulliert hätten werden können, da die Angeklagten die Möglichkeit gehabt hätten, sich direkt an die römischen Instanzen zu wenden. Es wird deutlich, dass es nie in der Absicht des Vatikans gelegen hat, zivile Gesetzgebungen zu umgehen oder bestehende Gesetze zu verletzen.
In diesem Zusammenhang ist daran erinnern, dass die Sexualskandale der letzten Jahrzehnte und dabei vor allem in der Kirche der Vereinigten Staaten, die ganze Diözesen in den Bankrott getrieben hatten, Papst Johannes Paul II. im Jahr 2001 zur Veröffentlichung des Motu proprio “Sacramentorum sanctitatis tutela” zu den Normen über die schwereren Vergehen veranlassten, die der Kongregation für die Glaubenslehre vorbehalten sind.
Am 18. Mai 2001 sandte Kardinal Ratzinger den Brief “Ad exsequendam” an alle Bischöfe der Kirche und die interessierten Ordinarien und Hierarchen. Der Brief handelt von den der Kongregation für die Glaubenslehre vorbehaltenen schweren Vergehen und bringt nun klar das Gegenteil einer Vertuschung von Sexualdelikten gerade gegenüber Minderjährigen zum Ausdruck. Der Brief sagt eindeutig, “ut non solum graviora delicta omnino vitentur, sed praesertim ad clericorum et fidelium sanctitatem etiam per necessarias sanctiones procurandam sollicita pastoralis cura ab Ordinariis et Hierarchis habeatur” (dass nicht nur die schwereren Delikte vermieden werden sollen, sondern dass die Ordinarien und Hierarchen vor allem für die Heiligkeit der Kleriker und der Gläubigen, die auch durch notwendige Sanktionen sicherzustellen ist, eine eilfertige pastorale Sorge haben sollen).
Sowohl das Motu proprio Johannes Pauls II. als auch gerade der Brief Kardinal Ratzingers brachten den klaren Willen Roms zum Ausdruck, jeglicher Vertuschung entgegenzutreten, indem den lokalen Autoritäten die gerichtliche Kompetenz gerade bei den schwersten Fällen entzogen und der Kompetenz eines der wichtigsten Dikasterien des Heiligen Stuhls unterstellt wird.
Die bis zum Jahrtausendwechsel weit verbreitete Unterbewertung des Dramas des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen durch Kleriker begann, durch die explizite Initiative Johannes Paul II. und Kardinal Ratzingers ein Ende zu nehmen.
Die gerade auch im deutschen Missbrauchsskandal sichtbar gewordene “Null-Toleranz-Haltung” hat besonders durch das Wirken Papst Benedikts XVI. zu einer neuen und irreversiblen Mentalität gerade der vatikanischen Instanzen geführt. Auch die jetzige Antwort des Vatikans auf die Kritiken aus Irland folgt der Denklinie Benedikts XVI. Gleichzeitig wird der Schmerz und die Scham für die Schwere der Lage des Missbrauchs von Minderjährigen zum Ausdruck gebracht, zu der es in Irland gekommen ist, und eine effektive Zusammenarbeit angeboten.
Quelle
Radio.Vatikan
Vatikan: Missbrauch von Minderjährigen. Stellungnahme der Kirche
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