Glaube ist keine Gewohnheit

Papst Franziskus Frühmesse im Vatikanischen Gästehaus “Domus Sanctae Marthae”

Quelle
Hl. Lukas – Informationen über die Heiligen des Tages – Vatican News

Glaube ist keine Gewohnheit

Freitag, 5. Oktober 2018

(aus: L’Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 44, 2. November 2018)

Man kann nicht “zur Hälfte” Christ sein, Jesus hinter den Mauern der Kirche zurücklassen und es versäumen, den eigenen Glauben “in der Familie, bei der Erziehung der Kinder, in der Schule, im Stadtviertel” zu bezeugen. Vor dieser “Heuchelei der Gerechten” warnte Papst Franziskus bei der heiligen Messe in Santa Marta am Freitag, 5. Oktober.

Die Betrachtungen des Papstes gingen vom Abschnitt aus dem Tagesevangelium nach Lukas (10,13-16) aus, in dem Jesus “drei Städte – Chorazin, Betsaida, Kafarnaum – tadelt, weil sie nicht auf sein Wort gehört haben. Sie hatten ihn nur gehört, doch jenes Wort war nicht in ihre Herzen gedrungen, da sie nicht an die Zeichen, an die Wunder, die er getan hatte, glaubten.” Die Mahnung des Herrn sei explizit: “Doch wenn ich in jenen heidnischen Städten Tyros und Sidon diese Wunder gewirkt hätte, dann hätten sie sicher geglaubt. Doch ihr tut es nicht.”

Franziskus machte darauf aufmerksam, dass “es so scheint, als sei Jesus zornig”. Und er rief in Erinnerung, dass er direkt nach diesem Abschnitt in diesem Evangelium “von Umkehr spricht, und zwar mit der Verkündigung des Propheten Jona: ‘Und ihr, kehrt ihr nicht um?'” Es handle sich dabei, so unterstrich der Papst, um “einen starken Tadel, den Jesus an diese Städte richtet, an diese Völker, die ihn zwar bei sich haben und seine Wunder sehen, die aber immer in der Logik des ‘Ja, ja, aber … man weiss nie’ verharren und nicht den Schritt machten, ihn als Messias anzuerkennen”.

Hinter “diesem Tadel”, so stellte der Papst fest, “stecken Tränen”, denn Jesus “schmerzt es, abgewiesen zu werden, nicht aufgenommen zu werden”. Der Herr “hat diese Leute gern, doch es schmerzt ihn”. Das bedeute: “Hinter dem Tadel stecken die Tränen Jesu”, betonte Franziskus erneut, der in Erinnerung rief, dass der Herr geweint habe, als er “vom Berg aus in der Ferne Jerusalem sah”. Denn “Jesus wollte alle Herzen erreichen, mit einer Botschaft, die keine diktatorische Botschaft war, sondern eine Botschaft der Liebe. Und Jesus weinte, da diese Leute unfähig waren zu lieben.” An diesem Punkt aktualisierte der Papst seine Betrachtung und schlug vor, “ein wenig die Protagonisten dieses Ereignisses” auszutauschen.

An die Stelle der Städte Chorazin, Betsaida, Kafarnaum “setzen wir uns, setzen wir das Wort Ich: Ich, der ich so viel vom Herrn empfangen habe, ein jeder von uns.” Daher die Aufforderung zu einer Gewissenserforschung: “Ein jeder denke an sein Leben. Daran, dass ich so viel vom Herrn empfangen habe. Ich wurde in einer christlichen Gesellschaft geboren, ich habe Jesus Christus gekannt, ich habe das Heil erkannt, ich wurde im Glauben erzogen. Und mit wie grosser Leichtigkeit vergesse ich und lasse Jesus beiseite.” Eine Haltung, die im Widerspruch zu der Haltung “anderer Leute” stehe, “die sofort auf die Verkündigung Jesu hören, die umkehren und ihm nachfolgen”. Wir hingegen “sind daran ‘gewöhnt'”. Und “diese Gewohnheit tut uns nicht gut, weil wir das Evangelium auf etwas Soziales, etwas Soziologisches reduzieren und nicht auf eine persönliche Beziehung zu Jesus”.

Tatsächlich, so Franziskus weiter, “spricht Jesus zu mir, er spricht zu einem jeden von uns. Der Aufruf Jesu gilt einem jeden von uns.” So stelle sich die Frage: “Wie kommt es, dass jene Heiden zu ihm gehen, sobald sie die Verkündigung Jesu hören, und ich, der ich hier in einer christlichen Gesellschaft geboren wurde, mich daran gewöhne, und dass das Christentum dann wie eine gesellschaftliche Gewohnheit ist, wie ein Gewand, das ich anziehe und dann zurücklasse?” So komme es, dass “Jesus weint, über einen jeden von uns, wenn wir das Christentum nur formell, nicht aber wirklich leben”.

Auf diese Weise “sind wir ein wenig heuchlerisch”, so sagte der Papst mit Nachdruck. Dies sei “die Heuchelei der Gerechten”. Es gebe nämlich “die Heuchelei der Sünder, doch die Heuchelei der Gerechten besteht in der Angst vor der Liebe Jesu, in der Angst, sich lieben zu lassen”. Und “wenn wir das tun, dann versuchen wir in Wirklichkeit, die Beziehung mit Jesus selbst zu gestalten”. Es sei, als sagten wir: “Ja, ich gehe zur Messe, aber du bleibst dann in der Kirche und ich gehe nach Hause.” So “kehrt Jesus nicht mit uns nach Hause zurück: in die Familie, zur Erziehung der Kinder, in die Schule, in das Stadtviertel… Nein, Jesus bleibt dort. Oder er bleibt im Kruzifix oder in irgendeinem Bildchen, aber er bleibt dort.”

Abschliessend schlug der Papst den Gläubigen erneut “einen Tag der Gewissenserforschung” vor und empfahl ihnen als geistlichen “Refrain” die Worte, die der Herr an die Städte gerichtet habe, die seinen Lehren nicht gefolgt seien: “‘Wehe dir, wehe dir’, denn ich habe dir so viel gegeben, ich habe dir mich selbst gegeben, ich habe dich erwählt, Christ zu sein, und du ziehst ein Leben halb hier, halb da vor, ein oberflächliches Leben: schon ein wenig Christentum und etwas Weihwasser, aber nichts weiter.” In Wirklichkeit sei es so: “Wenn wir in dieser christlichen Heuchelei leben, dann verjagen wir Jesus aus unserem Herzen. Wir tun so, als hätten wir ihn bei uns, aber wir haben ihn hinausgejagt. Wir sind Christen, stolz darauf, Christen zu sein, doch wir leben wie die Heiden.”

“Ein jeder von uns denke nach: ‘Bin ich Chorazin, bin ich Betsaida? Bin ich Kafarnaum?'”, mahnte Franziskus, verbunden mit der Aufforderung, um die Gnade zu bitten, dass auch wir mit ihm weinen, wenn Jesus weint: ‘Ach Herr, du hast mir so viel gegeben. Mein Herz ist so hart, dass es dich nicht eintreten lässt. Ich habe gesündigt, Herr, durch Undankbarkeit. Ich bin ein undankbarer Mensch.'” So “soll das Gebet von heute sein. Und wir wollen die Herzen öffnen und den Heiligen Geist bitten, dass er die Türen des Herzens weit aufmache, damit Jesus eintreten kann, damit wir Jesus nicht nur zuhören, sondern dass wir seine Botschaft des Heils wirklich hören und für die vielen guten Dinge danken, die er für einen jeden uns getan hat.”

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